Viele offene Baustellen in VW-Konzern
Wie geht es weiter nach dem Beben bei Volkswagen? Klar ist: Das langjährige Erfolgsduo Ferdinand Piech und Martin Winterkorn scheint Geschichte zu sein, nachdem der Patriarch seinem langjährigen „Ziehsohn“ das Vertrauen entzogen hat - in aller Öffentlichkeit. Bei der nächsten VW-Aufsichtsratssitzung Ende April dürfte es intern hoch hergehen.
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Und schon am 5. Mai, zur VW-Hauptversammlung vor den Aktionären in Hannover, müssen Winterkorn und Piech gemeinsam auf die Bühne. In der jetzigen Gemengelage scheint das kaum denkbar. Was steckt aber hinter Piechs Äußerungen? Sind es, wie der „Spiegel“ mutmaßt, sachliche Gründe - oder gibt es auch persönliche Motive für die Entfremdung? Offensichtlich ist nur: Der 77-Jährige Piech hat das Vertrauen in den zehn Jahre jüngeren Vorstandschef verloren.
Auf den ersten Blick eine Erfolgsbilanz
Zwar eilte der Konzern in den vergangenen Jahren von Rekord zu Rekord bei Absatz und Gewinn. Der seit Langem angestrebte Titel „Weltgrößter Autokonzern“ ist zum Greifen nahe. Bei Winterkorns Antritt 2007 zählte der Konzern 329.000 Mitarbeiter. Heute sind es, auch dank vier neuer Marken, fast 600.000 Menschen. Beinahe die Hälfte davon arbeiten in Deutschland, wo der Konzern der größte private Arbeitgeber ist. Doch gleichzeitig häuften sich im riesigen, hochkomplexen VW-Reich mit zwölf Marken zuletzt die offenen Baustellen.
Auf dem wichtigen US-Markt kommt der Konzern nicht voran. In den USA fehlen Modelle, sodass VW seit Jahren in einem wachsenden Markt - dem zweitgrößten der Welt - Anteile verliert. Betriebsratschef Bernd Osterloh hatte den US-Markt als „Katastrophenveranstaltung“ für VW bezeichnet, und Piech selbst sagte vor rund eineinhalb Jahren: „Wir verstehen Europa, wir verstehen China, und wir verstehen Brasilien, aber wir verstehen die USA bislang nur in einem begrenzten Maße.“ Inzwischen lässt sich daraus eine Winterkorn-Schelte ablesen.
„Haben wir die richtigen Produkte?“
Ebenso verhält es sich beim schon vor Jahren angekündigten Budget-Car, mit dem der Konzern in Schwellenländer vorstoßen will. Laut VW-Führung ist das Thema längst „entscheidungsreif“ - mehr aber bisher auch nicht. Dazu kommt die angespannte Lage der Kernmarke VW mit Bestsellern wie dem Golf, die eine schwache Rendite aufweist - gerade im Vergleich zum größten Rivalen Toyota.
Winterkorn lenkte zwar gegen und brachte ein milliardenschweres Sparprogramm auf den Weg - wann aber die Marke in die Spur kommt, ist ungewiss. Mitte 2014 sagte Winterkorn in interner Runde vor Führungskräften: „Ich frage selbstkritisch: Haben wir die richtigen Produkte zum richtigen Zeitpunkt? Oder realisieren wir manches eher, weil es machbar ist und begeistert? Und nicht so sehr, weil es sich gut verkauft oder uns beim Ergebnis voranbringt?“
Personalkarussell beginnt sich zu drehen
Wie die gesamte Branche muss VW zudem auf den Wandel in der Autowelt reagieren: die digitale Vernetzung mit möglichen neuen Größen wie Google und Apple sowie das Zukunftsthema alternative Antriebe und die damit auch verbundenen strikten Abgasvorgaben aus Brüssel. Während sich aber etwa BMW mit dem völlig neuen Elektroauto i3 positionierte, ist bei VW von Elektro-Euphorie wenig zu spüren. Und schließlich: Die Lkw-Allianz aus MAN und Scania, die bisher nur kriecht.
Richten soll das nun der neue VW-Nutzfahrzeug-Vorstand Andreas Renschler, den VW von Daimler holte. Von BMW kommt der Topmanager Herbert Diess, der im Juli die Führung der Kernmarke VW-Pkw übernimmt - die Winterkorn bisher in Personalunion führt. Auch diese Personalie erscheint nun in einem neuen Licht. Renschler und Diess gelten als mögliche Nachfolger Winterkorns, wie auch Finanzchef Hans Dieter Pötsch, Porsche-Boss Matthias Müller und Skoda-Cheflenker Winfried Vahland. Oder holt Piech einen Mann aus zweiter Reihe?
Techniker gesucht
„Ich strebe an, dass an die Spitze des Aufsichtsrats und des Vorstands die Richtigen kommen“, sagte er dem „Spiegel“ - ein typischer Piech-Satz, der zeigt, wo die Macht bei Volkswagen liegt. Die Kandidaten dafür seien bereits im Unternehmen. In Vorstand und Aufsichtsrat müssten jeweils Techniker die Führung bekleiden. Damit ist Audi-Chef Rupert Stadler als Betriebswirt aus dem Rennen.
Auch seine Ehefrau, Ursula Piech, werde nicht seine Nachfolgerin an der Spitze des Kontrollgremiums, kündigte Piech an. Das galt als eine mögliche Variante. Nun schwenkte Piech um - möglicherweise auf Druck der Porsche-Familie, die zusammen mit den Piechs die VW-Mehrheit hält. Einer Personalie Ursula Piech würde der Porsche-Familienzweig nicht zustimmen, zitierte der „Spiegel“ ein Mitglied dieses Clans.
Heiko Lossie und Andreas Hoenig, dpa