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Konzern in Schockstarre

Ein erbitterter Machtkampf droht den Autokonzern Volkswagen auf unbestimmte Zeit hinaus zu lähmen. Dabei geht es um die Zukunft von Vorstandschef Martin Winterkorn, nachdem dieser offenbar beim mächtigen Aufsichtsratschef Ferdinand Piech in Ungnade gefallen ist. Unabhängig voneinander berichteten mehrere Medien am Samstag, dass Winterkorn sich nicht von Piech aus dem Konzern drängen lassen will.

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Die unerwartete Krise bei VW war am Freitag mit einem einzigen Satz Piechs aufgebrochen. Im deutschen Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ hatte er sich mit dem Satz zitieren lassen: „Ich bin auf Distanz zu Winterkorn.“ Winterkorn war über Jahre hinweg der protegierte firmeninterne „Ziehsohn“ von VW-Patriarch Piech. Branchenexperten hatten noch am Freitag gemeint, Piechs Aussage über die Distanz zu Winterkorn komme für diesen einem Todesurteil gleich. Winterkorn sieht das offenbar anders.

Betriebsrat und Niedersachsen hinter Winterkorn

„Winterkorn wird nicht aufgeben, er wird weitermachen“, zitierte die Nachrichtenagentur Reuters am Samstag aus Unternehmenskreisen. „Winterkorn hat starke Verbündete - Niedersachsen und den Betriebsrat.“ Auch die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ berichtete unter Berufung auf Unternehmenskreise, dass Winterkorn sich nicht vom Hof jagen lassen will. Der VW-Chef blicke auf eine außerordentlich erfolgreiche Managerkarriere zurück. So schnell werde er „den Bettel nicht hinwerfen“.

Zuvor hatten sich VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh und der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) hinter Winterkorn gestellt. Beide sitzen im VW-Aufsichtsrat. Mit Winterkorn habe der Konzern „den erfolgreichsten Automobilmanager an Bord“, erklärte Osterloh am Freitag. Wenn es nach dem Willen der Arbeitnehmer gehe, solle Winterkorns Vertrag über 2016 hinaus verlängert werden. Weil zeigte sich wiederum „unangenehm überrascht“ über Piechs Aussagen. Niedersachsen sehe die Entwicklung von VW positiv und pflege eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Winterkorn.

Wen hält Piech für die „Richtigen“?

Inner- und außerhalb von VW war damit gerechnet worden, dass Winterkorns derzeitiger Vertrag mit Piechs Einverständnis verlängert wird, damit er etwa 2018 an Piechs Stelle als Aufsichtsratschef treten kann und damit die Hofübergabe fixiert. Piech meinte nun jedoch gegenüber dem „Spiegel“: „Ich strebe an, dass an die Spitze des Aufsichtsrats und des Vorstands die Richtigen kommen.“ Die Kandidaten dafür seien bereits im Unternehmen.

Der VW-Konzern wollte am Samstag nicht zu den Vorkommnissen Stellung nehmen. Hinter den Kulissen dürfte es nun aber darum gehen, wie viel Rückhalt Winterkorn und Piech haben. Im VW-Aufsichtsrat brauchte es rein rechtlich eine Mehrheit von elf aus zwanzig Stimmen, um Winterkorn abzusetzen. Zwar könnte Piech als Vorsitzender von seinem Doppelstimmrecht Gebrauch machen, er müsste aber auch noch die weiteren Mitglieder der Familien Porsche und Piech und Niedersachsen auf seine Seite ziehen.

Die „Bild am Sonntag“ berichtete, dass die Porsche-Familie als Konzernmiteigentümer bis auf Weiteres in der Öffentlichkeit keine Stellung beziehen möchte. „Die Familie Porsche möchte sich zu den Vorgängen zurzeit nicht äußern“, hieß es in dem Bericht. Die Familien Porsche und Piech halten zusammen die Mehrheit am Volkswagen-Konzern. Aus dem Umfeld von Wolfgang Porsche, dem Sprecher des Familienclans, hieß es: „Am Ende ziehen die Familien bei wichtigen Entscheidungen an einem Strang.“

Ein paar Silben wie ein Erdbeben

Piechs einsilbige Äußerungen gegenüber dem „Spiegel“ kommen einem Erdbeben bei Volkswagen gleich. Piech hatte die Konzernspitze vor Winterkorn, zu dem er jahrzehntelang ein großes Vertrauensverhältnis besaß, selbst geführt. Die Familien Porsche und Piech haben die Stimmenmehrheit bei Volkswagen. Ohne Piech, das ist Konsens, fällt keine zentrale Entscheidung bei VW. Der deutsche Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer sagte, mit Piechs Äußerungen wisse „jetzt auch der Pförtner bei VW“, dass Winterkorn eine „lame duck“ (lahme Ente) sei.

Streit über strategische Ausrichtung

Der „Spiegel“ führt für die Verstimmung zwischen Winterkorn und Piech auch die großen strategischen Probleme an, vor denen Volkswagen allem Erfolg zum Trotz seit Jahren steht. Die Gewinnkraft der Kernmarke VW-Pkw hinkt der Konkurrenz beständig hinterher. Daher greift seit vergangenem Sommer ein milliardenschwerer Sparplan. Im Juli gibt Winterkorn das Amt als VW-Markenchef, das er in Personalunion mit dem Konzernvorstand führt, an den früheren BMW-Entwicklungsvorstand Herbert Diess ab.

In den USA fehlen zudem die richtigen Modelle, sodass VW seit Jahren in einem wachsenden Markt - dem nach China zweitgrößten der Welt - Anteile verliert. Und das schon vor Jahren angekündigte Budget-Car, mit dem der Konzern in die jungen Schwellenländer vorstoßen will, ist noch immer nicht da. In Summe werden diese Probleme verdeckt durch den insgesamt seit Jahren laufenden Rekordkurs des Konzerns, der sich mit großem Tempo bei Absatz, Umsatz und Gewinn verbessert. Der Rivale General Motors (GM) ist schon überholt. Nur noch Toyota liegt vorne.

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