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Warum nicht Usbekistan?

Statt immer nur von den Problemen zu sprechen, die damit einhergehen, kann man sich auch einmal freuen, dass Menschen immer älter werden. Denn auch nach der Erwerbstätigkeit bleibt man für die Wirtschaft ein interessanter Kunde - und kann sein Leben genießen. Beides trifft sich in der Boom-Branche Seniorenreisen.

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Mit reisenden Senioren sind viele Vorurteile verbunden. So mancher denkt dabei an eine Busfahrt nach Bratislava - samt keppelnden Heimkehrern, die das Schnitzel zum Mittagessen vermisst haben. Da können Helmut Wurm und Monika Stocker nur müde lächeln. Die beiden sitzen im Reisebüro Seniorenreisen und blättern die aktuellen Broschüren durch. Stocker schüttelt den Kopf, Wurm sagt: „Das Prinzip ‚Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht‘ findet man nur noch selten. Diese Generation ist so gut wie ausgestorben.“

Seniorengruppe

Reisebüro Seniorenreisen

Helmut Wurm, Monika Stocker und Leopold Plainer sondieren das Angebot im Seniorenreisebüro: Von Peking über Usbekistan bis in die US-Südstaaten

Vor einigen Jahren war das noch anders. Da gingen Menschen in Pension, die während ihrer Berufstätigkeit nicht das Geld und nicht die Zeit gehabt hatten, zu verreisen. Die holten im Ruhestand naheliegende - im wahrsten Sinne des Wortes - Urlaube nach. Wer aber heute alt ist, hat zumeist viel Reiseerfahrung. Da müssen sich Veranstalter schon mehr einfallen lassen. Von „konsumerfahrenen“ Senioren ist die Rede. Und von Senioren, die mehr Geld zur Verfügung haben als früher.

Im Sommer in den Norden, im Winter in den Süden

Das bestätigt auch Birgit Reitbauer von Ruefa Reisen. Während Familien in der Krise weniger Geld für Reisen zur Verfügung haben, bleiben Senioren als Zielgruppe stabil - schließlich müssen sie keine Angst vor Kündigungen und schlechter bezahlten Jobs haben. Tendenziell würden Pensionisten sogar immer öfter verreisen und auch immer mehr Geld dafür ausgeben. Kreuzfahrten seien besonders gefragt, auch zu entfernten Zielen wie Grönland und Spitzbergen. Individuelle Reiseziele wie Dubai und Tel Aviv spielen ebenfalls eine große Rolle.

Ähnliches weiß Kathrin Limpel von TUI zu berichten. Senioren flüchten demnach im Sommer gerne in kühlere Gefilde wie nordische Länder - und würden dann im Winter gleich drei, vier Wochen bei milden Temperaturen in Spanien oder der Türkei verbringen. Die TUI-„Klassik“-Schiene sei dabei für ältere Menschen besonders interessant. Hier würde auf die Anwesenheit eines deutschsprachigen Arztes und einer ebensolchen Reisebegleitung Wert gelegt, genauso wie auf kurze Wege am Reiseort - etwa vom Hotelzimmer zum Strand.

22.000 Buchungen pro Jahr - bei einem Anbieter

Der unangefochtene Platzhirsch aber ist Seniorenreisen, das Reisebüro des Pensionistenverbandes, das seit über 40 Jahren alte Menschen, gerne aber auch Enkelkinder, Freunde und Verwandte in alle Welt verschickt. 22.000 Buchungen pro Jahr sind kein Honiglecken. Das geht nur durch die örtlichen Sektionen des Pensionistenverbandes. Da läuft ein Funktionär noch herum und fragt, wer heuer wieder mitfährt. Und am Ende kommt aus ein und demselben Dorf oder Stadtviertel eine ordentliche Partie zusammen.

Seniorengruppe

Reisebüro Seniorenreisen

Immer dabei: ein Arzt (hier mit roter Jacke) und ein Reisebegleiter, der selbst österreichischer Pensionist ist. Barrieren soll es keine geben.

Herr Wurm und Frau Stocker sind zufriedene Kunden und waren beide schon mehrmals mit Seniorenreisen unterwegs. Sie schätzen den spezifischen Service für ihre Altersgruppe. Abgeholt wird man von zu Hause. Weder um das Gepäck noch um die Flugtickets muss man sich kümmern. Schon im Bus ist ein Reisebegleiter dabei, der ebenfalls bereits in Pension ist. Wenn er während der Busfahrt zum Flughafen die Schnapsflasche auspackt, wird er mit Standing Ovations bedacht. Herr Wurm grinst verschmitzt in sich hinein. So wird schon einmal die Nervosität vor dem Flug neutralisiert.

Medizinische Betreuung rund um die Uhr

Auf dem Flughafen wird beim Einchecken geholfen. Und ein besonderer Service wartet nach der Landung: Die Reisebusse dürfen meist bis zum Rollfeld vorfahren. Das Gepäck wird gleich verladen und erst im Hotel ausgehändigt. Am Reiseort kümmern sich dann ein Reiseführer, der Deutsch kann und speziell geschult wurde, gemeinsam mit dem Reisebegleiter um jedes noch so kleine Anliegen der Senioren. Das geht vom Zimmertausch bis hin zum medizinischen Notfall. Hier kommt das Spezialangebot besonders zum Tragen.

Monika Stocker

Reisebüro Seniorenreisen

Gerlinde Zehetner, Geschäftsführerin von Seniorenreisen

Denn bei jeder Reise sind ein Arzt oder eine Ärztin dabei. Manchmal braucht es nur eine Thrombosespritze oder ein Aspirin. Manchmal wird dabei geholfen, Medikamente zu besorgen, falls sie jemandem ausgehen - schließlich heißen viele Produkte im Reiseland anders. Und wenn das Essen gar so gut schmeckt, schrumpft der Insulinvorrat von Diabetikern schneller als gedacht. In seltenen medizinischen Notfällen stehen die Ärztinnen und Ärzte bereit und begleiten Patienten ins Krankenhaus, damit die Sprachbarriere wegfällt.

Jesolo? Usbekistan, Sri Lanka und Co.

Dazu kommt, dass bei Ausflügen auf ein geringeres Schritttempo geachtet wird und immer wieder Toilettenpausen eingeplant sind. Alles in allem ist eines wichtig: Stress und Angst zu vermeiden, wo immer es nur geht, sagt Gerlinde Zehetner, die gleichzeitig Geschäftsführerin von Seniorenreisen und vom Pensionistenverband ist. Den Kunden sei dieses Sicherheitsgefühl auch etwas wert. Denn es kann schon einmal vorkommen, dass eine Reise statt 799 wie im Supermarktprospekt bei Seniorenreisen 999 Euro kostet.

Ein Tourist schiebt auf Sri Lanka mit Einheimischen ein Boot aus dem Wasser

Reisebüro Seniorenreisen

Man kommt mit Einheimischen in Kontakt - und kann manchmal mit anpacken wie hier bei einer Reise 2012 in Sri Lanka

Ähnliches wie bei TUI und Ruefa ist auch bei Seniorenreisen zu beobachten. Die Zahl jener, die im Frühjahr und im Herbst zu den großen, „Treffen“ genannten Massenreisen nach Griechenland, Spanien oder an ähnliche Destinationen mitfahren, geht kontinuierlich zurück - obwohl auch hier Urlaubsziele gewählt werden, die abseits der großen Tourismusrouten liegen. Doch Individualität und ungewöhnliche Reiseziele sind immer gefragter. Dubai, Sri Lanka, die US-Südstaaten, Australien, Südafrika, China, Kanada, Albanien und Usbekistan etwa stehen oder standen auf dem Programm.

Und wie ist dort das Pensionssystem?

Dabei reicht es längst nicht mehr, die älteren Touristen von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit zu karren. Sie sind gebildet und stark an sozialen Themen interessiert. Ein Vortrag über das Pensionssystem eines Landes, sagt Seniorenreisen-Geschäftsführerin Zehetner, lockt die Pensionisten weit mehr als der Besuch des 15. Gotteshauses oder das Vorbeten von historischen Jahreszahlen. Am ehesten noch dem Klischee entsprechend: Folklore ist ein Dauerbrenner, vor allem wenn Kinder mitmachen.

Seniorengruppe

Reisebüro Seniorenreisen

Im Hintergrund zu sehen: Die Brücke von Mostar in Bosnien und Herzegowina

Und Ausflüge sind sowieso ein absolutes Muss. Wer nicht mehr arbeiten geht und nicht bei den Enkeln im Rund-um-die-Uhr-Einsatz ist, hat keinen Bedarf nach dem, was sich Erwerbstätige unter „Urlaub“ vorstellen. Ältere Reisende strotzen mehr vor Energie, als es den jüngeren, bald schon erschöpften Reiseführern manchmal lieb ist. Eine ganze Woche lang jeden Tag stundenlang herumzulaufen ist anstrengend - auch wenn natürlich von Laufen keine Rede sein kann.

Wenn der Elefant aus dem Gebüsch bricht

Reisebegleiter Leopold Plainer, selbst 67 Jahre alt, hat seit 2009 an die 50 Reisen betreut. Bezahlter Urlaub? Nicht wirklich. Eher setzt Plainer im Ruhestand seinen alten Job fort - er hatte in einem Reisebüro gearbeitet. Zu tun und zu organisieren gibt es ständig etwas, wenn er mit Pensionistengruppen in aller Welt unterwegs ist. Aber natürlich ist auch er aus Leidenschaft dabei und kommt ins Schwärmen, wenn er von seinen schönsten Trips erzählt.

Seniorengruppe

Reisebüro Seniorenreisen

Auf Safari in Südafrika: „Eine gigantisch tolle Reise“

Florida ist ihm besonders in Erinnerung geblieben, das absolute Highlight war jedoch Südafrika mit seinen Wildparks. Es sei einfach etwas ganz anderes als in einem Zoo, wenn hinter Dir etwas knackst und plötzlich ein Elefant mit wackelnden Ohren aus dem Gebüsch hervorbricht. Dazu die Giraffen, die Sonnenuntergänge, Kapstadt - „eine gigantisch tolle Reise“. Und in Florida: eine beeindrucke Delfinschau und Alligatoren überall, wo man hinblickt.

Ein schwimmendes Hotel und rote Iren

Monika Stocker wiederum hat Europa aus einem ganz speziellen Blickwinkel entdeckt: vom Schiff aus, bei einer Donaukreuzfahrt. Sie spricht mit leuchtenden Augen von einem schwimmenden Hotel, von dem aus man Länder zu sehen bekommt, die man sonst nie besucht hätte - samt wundervoller Natur entlang des Flusses. Dazu kommen Busreisen ins Landesinnere. Durch die vielen Einschusslöcher, die man in Serbien immer noch sehe, habe sie erst richtig begriffen, was der Krieg dort für die Menschen bedeutet haben muss. Und auch der gewaltige Palast des ehemaligen rumänischen Diktators Nicolae Ceausescu geht ihr nicht aus dem Kopf.

Helmut Wurm hat seinen Irland-Aufenthalt geliebt, die traumhafte Landschaft und die lustigen Leute haben ihn begeistert. Und er gibt eine Anekdote zum Besten. Ungewöhnlich heiß und andauernd sonnig sei es gewesen - nicht unbedingt typisches Irland-Wetter. In den Pubs seien dann viele Menschen, die sonst einen ausnehmend hellen Teint haben, mit hochroten Köpfen gesessen - was sie aber zum Amüsement von Herrn Wurm nicht daran gehindert hat, am nächsten Tag wieder in der Sonne zu braten. Und das Bier? Das Bier war gut.

Mit 102 noch live dabei

Das durchschnittliche Alter der Urlaubsteilnehmer bei Seniorenreisen liegt übrigens bei rund 70 Jahren. Der älteste Mitreisende war Dauergast und auch mit 102 Jahren noch dabei. Er wurde bei den großen Treffen immer auf die Bühne geholt und sorgte dort wegen seines Namens für Furore. Stets raunte er gut gelaunt ins Mikro: „Griaß Eich, i bin’s, der Toth.“ Die Lacher waren auf seiner Seite.

Simon Hadler, ORF.at

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