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„Absichtliche Tötung“

Die französische Staatsanwaltschaft hat heute Mittag bei einer Pressekonferenz mitgeteilt, dass der Kopilot bewusst den Sinkflug der am Dienstag abgestürzten Germanwings-Maschine einleitete, während der Flugkapitän aus dem Cockpit ausgesperrt war. Der Kopilot habe keinen Grund gehabt, den Sinkflug einzuleiten.

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„Es sieht so aus, als ob der Kopilot das Flugzeug vorsätzlich zum Absturz gebracht und so zerstört hat“, so der Marseiller Staatsanwalt Brice Robin. Hinweise auf einen terroristischen Anschlag gebe es nicht. Die Motive des 28-jährigen Kopiloten sind unklar. Er habe laut Auswertung des Stimmrekorders bis zum Crash normal geatmet und kein Wort gesprochen. Es sei ein bewusstes Handeln des Kopiloten gewesen, so Robin. Es könne sich nicht um einen Schwächeanfall gehandelt haben. Ein Notruf sei nicht abgesetzt worden.

Für Ermittler kein Suizid

„Wir müssen von einer absichtlichen Tötung“ ausgehen, so der französische Staatsanwalt Brice Robin bei einer Pressekonferenz in Marseille. Derzeit gebe es keine Hinweise auf einen terroristischen Hintergrund. Das bestätigte auch der deutsche Innenminister Thomas de Maiziere. Robin betonte, er wolle nicht von einem Suizid sprechen angesichts der Tatsache, dass der Kopilot 149 Menschen mit in den Tod riss.

Marseiller Staatsanwalt Brice Robin

ORF

Staatsanwalt Robin bei der Pressekonferenz

Der Kopilot namens Andreas Lubitz sei 28 Jahre alt gewesen. Er habe sich geweigert, den Kapitän, der das Cockpit kurz verlassen hatte, wieder hineinzulassen, und er habe bewusst den Sinkflug eingeleitet - noch dazu zu einem Zeitpunkt, als der Airbus auf die Berge zuflog ohne eine Landemöglichkeit für einen Airbus in der Nähe. Der Kopilot sei ausreichend ausgebildet gewesen, um das Flugzeug allein zu fliegen. Der Kapitän sei sehr erfahren gewesen.

Ermittlungen in alle Richtungen

Der Staatsanwalt betonte, die Familien der Opfer seien vorab informiert worden. Die Ermittler wüssten erst seit Donnerstagfrüh, dass „der Kopilot das Problem“ gewesen sei. Der Kopilot sei nirgendwo als Terrorist verdächtig gemeldet. Man warte nun auf die Ermittlungen der deutschen Behörden, die das Umfeld des Kopiloten derzeit genau untersuchten.

Die letzten Minuten im Cockpit

Die Ermittler stützen ihre Schlussfolgerungen auf die Auswertung des am Mittwoch geborgenen Stimmrekorders. Darauf ist laut Robin zu hören, wie der Kapitän den Kopiloten bittet, die Verantwortung für das „Flight Monitoring System“ zu übernehmen. Dann ist zu hören, dass jemand - offenbar der Kapitän - das Cockpit verlässt.

Daraufhin wurde der Sinkflug eingeleitet, und zwar absichtlich durch das Drehen eines Knopfes. Der Kapitän, der das Cockpit kurz verlassen hatte, um aufs WC zu gehen, stand schließlich vor der verschlossenen Cockpittür und erhielt auf sein Einlassbegehren via Gegensprechanlage und schließlich Klopfen keine Antwort.

Atemgeräusche bis zum Aufprall

Im Cockpit seien bis zum Aufprall Atemgeräusche zu hören gewesen, was bedeute, dass der deutsche Kopilot bis zuletzt am Leben war. Er habe nicht mehr gesprochen, obwohl neben der Flugsicherung auch andere Maschinen um Kontaktaufnahme mit der Germanwings-Maschine bemüht waren.

Im letzten Abschnitt der Aufzeichnung sei ein Alarm zu hören gewesen, offenbar durch die Annäherung an den Boden, auch eine Art Einschlag, weil die Maschine möglicherweise einen Berg streifte. Schreie der Passagiere seien erst in der letzten Minute zu hören – vermutlich, als diese mitbekommen hätten, was vor sich geht. In den ersten 20 Minuten nach dem Start hatten sich Pilot und Copilot demnach ganz normal unterhalten. Der Kopilot habe die letzten acht Minuten nie versucht, mit dem Tower in Kontakt zu treten, obwohl von den Flugbehörden mehrmals versucht worden war, Kontakt mit dem Flugzeug aufzunehmen.

Kein Code zum Öffnen der Tür

An der Cockpittür der Unglücksmaschine war nach Angaben von Staatsanwalt Robin kein Code zum Öffnen, sondern einer, mit dem sich der jeweils Zugangsberechtigte identifiziert. Die Tür verriegle sich automatisch und werde dann von innen geöffnet, sagte der Vertreter der Anklagebehörde in Marseille, die weiterhin wegen fahrlässiger Körperverletzung ermittelt.

Zweite Blackbox noch nicht gefunden

Die zweite Blackbox, auf der die Flugdaten aufgezeichnet werden, ist nach Angaben von Robin noch nicht gefunden worden. Die Menschen an Bord seien wegen der hohen Geschwindigkeit, mit der die Maschine zerschellte, sofort nach dem Aufprall tot gewesen, so der Staatsanwalt. Die sterblichen Überreste der Opfer werden derzeit mühsam an der Unglücksstelle geborgen und per Helikopter abtransportiert. Die Identifizierung der Leichen ist schwierig.

Ausbildung des Kopiloten wurde unterbrochen

Germanwings-Vorstandschef Carsten Spohr betonte Donnerstagnachmittag bei einer Pressekonferenz, Lufthansa und Germanwings wählten ihr Personal sehr sorgfältig aus. Es werde auch viel Raum für die Überprüfung der psychischen Eignung der Kandidaten eingeräumt. Spohr wies darauf hin, dass es bei der Ausbildung des Kopiloten vor sechs Jahren eine elfmonatige Unterbrechung gegeben habe. Nach der Unterbrechung hätten die Eignungstests aber grünes Licht für die Fortsetzung der Ausbildung gegeben.

Details über die Gründe für die Unterbrechung nannte Spohr unter Verweis auf die Verschwiegenheitspflicht nicht. Eine solche Unterbrechung sei nicht unüblich, betonte Spohr. Der 28-Jährige sei zu 100 Prozent flugtauglich gewesen, ohne Einschränkungen und Auflagen, sagte Spohr.

„Schlimmstes Ereignis in Geschichte der Lufthansa“

Der psychologische Eignungstest werde gemeinsam mit dem Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin durchgeführt, der weltweit als das führende Verfahren zur Auswahl von Cockpitpersonal gelte. Spohr betonte mehrfach, er habe weiter volles Vertrauen in die Piloten des Unternehmens und das Ausbildungsverfahren.

Spohr sprach vom „schlimmsten Ereignis in der Geschichte der Lufthansa“. Dass der Kopilot offenbar absichtlich die Katastrophe einleitete, mache den Konzern fassungslos. „Wir hätten uns nicht vorstellen können, dass sich das (Gefühl der Betroffenheit, Anm.) nochmals verstärkt.“

Strenge Eignungstests nur zu Berufsbeginn

Verkehrspiloten werden nach Einschätzung des deutschen Luftverkehrsexperten Gerold Wissel nur zu Beginn ihres Berufslebens intensiv auf ihre psychische Eignung und Stabilität getestet. Später folgten regelmäßige medizinische Checks, in denen auch Gespräche über die allgemeine Lebenssituation der Piloten geführt würden, sagte Wissel am Donnerstag. Regelmäßige Persönlichkeitstests gebe es nicht.

Meldung von auffälligem Verhalten

Es gebe bei der Lufthansa wie auch bei anderen Fluggesellschaften klare Vorgaben an die Crews, auffälliges Verhalten bei Kollegen zu melden, was auch anonym geschehen könne, berichtete der Experte. Die Beschäftigten seien angehalten, schon bei kleinsten Anzeichen etwa von Alkoholismus, Depressionen oder psychischer Instabilität Alarm zu schlagen.

„Das geschieht auch. Selbst beim Briefing vor dem Start kann der Kapitän noch jedes Besatzungsmitglied vom Flug ausschließen, wenn es sich auffällig verhält.“ Auch habe der Kopilot das Recht, den Kapitän abzulehnen. Nach seiner Kenntnis gebe es bei Lufthansa in dieser Beziehung sehr hohe Sicherheitsstandards, sagte Wissel. Das Unternehmen müsse aber nachweisen, dass das in gleicher Weise auch für die Tochtergesellschaften gelte.

Der Airbus mit der Flugnummer 4U9525 war am Dienstag auf dem Weg von Barcelona nach Düsseldorf, als er über Südfrankreich minutenlang an Flughöhe verlor und im Bergmassiv Les Trois-Eveches zerschellte. An Bord waren 72 Deutsche. Aus Spanien stammten nach Angaben aus Regierungskreisen in Madrid 50 Opfer.

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