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„RIIIP“: der letzte Weg des „Wildschweins“

Vom Monster zum gefeierten Monarchen: 530 Jahre nach seinem Tod in der Schlacht von Bosworth ist König Richard III. am Donnerstag in Leicester zum zweiten Mal beigesetzt worden. „Die Wiederbestattung ist ein Ereignis von großer nationaler und internationaler Bedeutung“, ließ Königin Elizabeth II., die den Feierlichkeiten fernblieb, ausrichten. „Wir erkennen Richard III. heute als einen König an, der in turbulenten Zeiten seinem tiefen christlichen Glauben treu blieb.“

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Der Sarg war bereits am Sonntag von der Universität der Stadt zur Kathedrale gebracht worden und dort drei Tage lang ausgestellt. Tausende standen stundenlang an, um dem König Respekt zu zollen. Auch am Donnerstag waren die Straßen Leicesters mit Schaulustigen gesäumt, die die Messe über Großbildleinwände verfolgten und hofften, einen Blick auf die geladenen Gäste der Zeremonie zu erhaschen. Die Messe in der Kathedrale und die Beisetzung wurden im Fernsehen live übertragen - im Rahmen eines Schwerpunkts zu Richard III. mit dem Titel „RIIIP“.

Benedict Cumberbatch

Reuters/Darren Staples

Benedict Cumberbatch entpuppte sich unlängst als Nachfahre Richards III.

Die Kirche selbst war bis auf den letzten Platz gefüllt - neben Universitätsangehörigen und 600 per Los ausgewählten Briten nahmen auch einige Mitglieder des Königshauses wie Queen-Cousin Prinz Richard, Herzog von Gloucester, und Sophie, die Herzogin von Wessex, an der Zeremonie teil. Aber auch einige Verwandte Richards III. fanden sich ein - darunter der überraschend als Großneffe 16. Grades identifizierte Schauspieler Benedict Cumberbatch, der ein Gedicht zu Ehren des Königs vortrug.

„Beerdigt sie, wie’s ihrem Rang gebührt“

Mit dem einem Staatsakt nahekommenden Begräbnis scheint ein Kapitel in der britischen Geschichte nach einer radikalen Umdeutung zu Ende gebracht. Und Richard III., der letzte englische Herrscher, der im Kampf gefallen ist, hat eine Beisetzung erfahren, die eines Königs würdig ist. „Beerdigt sie, wie’s ihrem Rang gebührt“, lässt William Shakespeare den späteren König Heinrich VII. zwar sagen, nachdem dieser Richard III., seinen Vorgänger, im Zweikampf getötet hat. Genauere Ausführungen erspart der Dichter dem Publikum aber zugunsten eines raschen Happy Ends. Die Geschichtsbücher wissen jedoch mehr, wenn auch wenig Positives über die erste Beisetzung des Königs zu berichten. Geschändet soll seine Leiche nackt zur Schau gestellt und ohne Grabstein im Franziskanerkloster von Leicester bestattet worden sein.

Herzogin Sophie

Reuters/Darren Staples

Sophie, Herzogin von Wessex, bei der zweiten Beisetzung

Der Sieger schreibt die Geschichte

Möglich, dass Richard III. danach in Vergessenheit geraten wäre. Doch mit dem Ende der Rosenkriege ließen seine Nachfolger aus dem verfeindeten Geschlecht der Tudors wenige Möglichkeiten aus, den Gefallenen als Monster darzustellen, nach Bertolt Brecht: „Der Sieger schreibt dem Besiegtem die Geschichte.“ Mit Hilfe Shakespeares, in dessen um 1593 entstandenem Historiendrama Richard III. als verkrüppelter und machtgeiler Mörder porträtiert wurde, war die Mythenbildung damit jahrhundertelang ein Selbstläufer.

Gemälde von König Richard III.

Reuters/Neil Hall

König Richard III. - Verwandtenmörder oder progressiver Herrscher?

Die Ermordung seiner kleinen Neffen im Tower von London, das Ertränken seines Bruders in einem Weinfass und andere Grausamkeiten wurden zwar gerade von Historikern nicht immer für bare Münze genommen, im kollektiven Gedächtnis aber dennoch als zumindest teilweise wahr anerkannt.

Richard als Monster: Ein Kind seiner Zeit?

In den 1920er Jahren formierte sich erstmals größerer Widerstand gegen die „Verleumdung“ des Königs. In Liverpool versammelte sich eine Gruppe von Hobbyhistorikern zur Gründung der Fellowship of the White Boar (Kameradschaft des weißen Wildschweins, als Referenz an das Wappentier des Königs), später in Richard III Society umbenannt. Ihr Ziel: die Reputation Richards III. wiederherzustellen und seine Regentschaft ins rechte Licht zu rücken. Man müsse außerdem die ihm vorgeworfenen Taten auch im zeitlichen Kontext bewerten und nicht nur aus Sicht heutiger Moralvorstellungen, heißt es auf der Website der Gesellschaft.

Vorerst blieben diese Bemühungen nur mit mäßigem Erfolg gekrönt, ohne rechtes Aufsehen in der Öffentlichkeit zu erregen. Einige Jahrzehnte und einen spektakulären Fund später sieht das jetzt anders aus. Denn wie britische Medien berichteten, war vor allem ein besonders aktives Mitglied der Richard III Society treibende Kraft hinter den Grabungsarbeiten. Drehbuchautorin Philippa Langley, die über den König forschte, hatte nach eigenen Aussagen eine übersinnliche Wahrnehmung auf dem Parkplatz in Leicester.

Mit hartnäckiger Lobbyarbeit gelang es ihr daraufhin tatsächlich, das Geld für die Ausgrabungsarbeiten aufzutreiben - und tatsächlich: Schon am ersten Tag der Grabungsarbeiten stießen die Archäologen auf das Skelett, das später mittels DNA-Abgleichs als jenes von Richard III. identifiziert wurde.

Die Überreste des Königs Richard III.

APA/EPA/University of Leicester

Das Skelett vom Parkplatz - ein Sensationsfund 2012

Reger Devotionalienhandel in Leicester

Mit einer Analyse des Skeletts alleine wäre die Reputation des Königs dennoch nicht so schnell wiederhergestellt worden, würden hinter der Relativierung des Schurkenimages nicht auch handfeste wirtschaftliche Interessen stecken. Der Fund vor mehr als zwei Jahren hat Leicester schon bis jetzt sehr viel Geld eingebracht. Ein im Juli eröffnetes Museum erfreut sich größter Beliebtheit, und auch der Verkauf von Devotionalien aller Art boomt. Friseure bieten den „Richard III. Haircut“ an, Restaurants bieten Menüs nach Art der York-Herrscher an, und weiße Rosen, das Symbol des Hauses York, sind ohnehin allgegenwärtig.

Dass Richard III. kein Monster war, dafür treten mittlerweile aber nicht nur Hardcore-Fans ein. Kardinal Vincent Nichols, Erzbischof von Westminster erklärte den König am Sonntag beim Auftakt der Begräbnisfeierlichkeiten gar zum „progressiven Herrscher“, der sich in seiner kurzen Regentschaft mit besonderem Einsatz für sein Volk und Land ausgezeichnet habe. Dem „Wildschwein“, wie Shakespeares Monster von seinen Gegnern beschimpft wurde, sind damit wohl auch offiziell die Stoßzähne gezogen.

Sophia Felbermair, ORF.at

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