Teheran „auf dem aufsteigenden Ast“
Eigentlich ist der Zirkel um den iranischen Klerus und die Revolutionsgarden die Speerspitze, wenn es um die Abwehr von Interessen von außen geht. Die nun offenbar finalen Atomverhandlungen galten lange als Sammelbecken solcher Interessen. Darum war es bisher stets Ziel des Iran, auf das Selbstbestimmungsrecht in Sachen Atomprogramm zu pochen und die USA gleichzeitig zu denunzieren.
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Doch mittlerweile stellt sich die Lage anders als gewohnt dar. So waren die klerikalen Hardliner um den obersten geistlichen Führer Ajatollah Ali Chamenei zuletzt „bemerkenswert zurückhaltend“, wie ein früheres Mitglied der Revolutionsgarden und der Basidsch-e Mostaz’afin, einer paramilitärischen Freiwilligenmiliz, vor wenigen Tagen gegenüber der „New York Times“ („NYT“) betonte.
Machtpolitische Interessen in Nahost
Diese neue Zurückhaltung hat einen gewichtigen Grund, nämlich politisches Kalkül. Experten sehen den iranischen Machtzirkel angesichts der bevorstehenden Einigung gar „mit Genugtuung erfüllt“ - schließlich ebnet ein Abkommen nicht nur den Weg zum Abbau der wirtschaftlichen Hürden infolge der Sanktionen.

APA/AP/Brian Snyder
US-Außenminister John Kerry und sein iranischer Kollege Dschawad Sarif leiten die Verhandlungen
Auch ist es eine potenzielle Ausweitung von macht- und geopolitischen Interessen, die zu dieser Zufriedenheit in Teheran Anlass geben. Im Endspurt der Verhandlungen fürchten die sunnitischen Machthaber der Golfstaaten und in Ägypten nicht so sehr das Abkommen selbst, das bis Mitte des Jahres stehen könnte, sondern dessen Konsequenzen für die Machtverhältnisse im Nahen Osten. Konkret geht es um einen gesteigerten Einfluss in den zerrütteten Staaten Irak, Syrien, Jemen und Libanon.
Sorge in Golfstaaten wächst
Das ist freilich nichts völlig Neues, schließlich nutzt der Iran seit Jahren die Krisen in der Region zur Stärkung der eigenen Position. Doch je näher das Abkommen rückt, desto offenkundiger wird die Vorfreude des Iran. Die Islamische Republik ist tief in die Kriege in Syrien und dem Irak verwickelt und hat ihre Hände auch im Libanon (Hisbollah) und im Jemen, der offenbar vor dem Zerfall steht, im Spiel.
Mit jeder weiteren Annäherung zwischen dem Westen und dem Iran im Atomstreit wächst die Sorge in den Golfstaaten. Ein Atomabkommen dürfte dem Iran zudem im Hinblick auf den Gegenspieler Saudi-Arabien eine neue Position verleihen, schließlich würde die Position des sunnitischen Staats geschwächt. Einige Experten sprechen bereits von einem neuen Versuch, ein persisch-schiitisches Imperium auf arabischem Boden zu gründen.
Wie „groß“ wird der Deal?
Sunnitische Herrscher fürchten, dass die USA ihrem einstigen Erzfeind dabei nicht Einhalt gebieten werden, weil iranische Truppen und mit ihnen verbündete Milizen den Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) im Irak und Syrien anführen - ein klares Zeichen für den großen Einfluss der Islamischen Republik in der Region. Zwar versicherte US-Außenminister John Kerry den Saudis kürzlich, es werde keinen „großen Deal“ mit dem Iran im Zuge eines Atomabkommens geben.
Dazu äußerte sich der Experte Sultan al-Kassemi, ein prominenter Kommentator aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, folgendermaßen: „Das Atomabkommen wird die Karten in der Region neu mischen - und ich glaube, es wird den Iran ermutigen, eine noch selbstbewusstere Außenpolitik zu verfolgen“, sagt er. „Es ist genau der ‚große Deal‘, den es nach Kerrys Worten nicht geben soll. Es gibt dem Iran einen Blankoscheck im Tausch für leere Versprechen. Der Iran ist auf dem aufsteigenden Ast und im Irak, Syrien, Libanon und dem Jemen auf dem Vormarsch.“
„Massive Offensive“ im Schatten der USA
Riad Kahwadschi, Leiter der Denkfabrik INEGMA in Dubai, warnt gar vor einem „totalen Krieg“ zwischen Sunniten und Schiiten. „Die Ereignisse im Irak, Syrien und dem Jemen zeigen, dass der Iran im Schatten des US-geführten Krieges gegen den Terror eine massive Offensive vorantreibt, um mehr strategische Tiefe zu gewinnen - bis hin zum Roten Meer und dem Mittelmeer“, sagt er. Der britische Ex-Botschafter in Saudi-Arabien, John Jenkins, hält hingegen vor allem die fehlende Aufmerksamkeit der USA für besorgniserregend.
„Die US-Präsenz dort ist so groß wie eh und je, aber die Golfstaaten stellen den Willen des Westens zu handeln infrage“, sagt der Experte, der heute für das Internationale Institut für Strategische Studien (IISS) mit Hauptsitz in London arbeitet. „Sie haben gesehen, was die Tatenlosigkeit der USA im Libanon und in Syrien angerichtet hat - und im Jemen fühlen die Saudis die Speerspitze bereits in ihrer Seite. Hinter dem Irak, Syrien, dem Libanon und dem Jemen steht der Iran.“
Einigung „gießt Öl in die Feuer der Region“
Während die USA sich bemühen, den Arabern ihre Verbundenheit zu versichern, gehen Experten davon aus, dass die Prioritäten der Führung in Washington anderswo liegen. „Obama will ein Atomabkommen erreichen, weil es die politische Hinterlassenschaft seiner Amtszeit wäre. Die Amerikaner sehen dabei nicht die regionalen Auswirkungen“, sagt Fawaz Gerges, ein Nahost-Experte an der London School of Economics (LSE). „Eine Einigung mit dem Iran würde den neuen Kalten Krieg zwischen Saudi-Arabien und seinen Verbündeten und dem Iran massiv verschärfen. Sie würde mehr Öl in die in der Region tobenden Feuer gießen.“
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