Fast 25 Jahre und 53.800 Flugstunden
Der am Dienstag in den südfranzösischen Alpen abgestürzte Airbus A320 der deutschen Lufthansa-Tocher Germanwings mit 150 Menschen an Bord war fast 25 Jahre alt. Fast automatisch tauchte die Frage auf: Könnte auch das eine Ursache für das Unglück gewesen sein?
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Die „Frankfurter Neue Presse“ etwa fragte sich unmittelbar nach dem Unglück, ob „vielleicht“ aus Gründen des Konkurrenzdrucks „auf dem Unglücksflug ein mehr als 24 Jahre alter Airbus eingesetzt“ worden sei. Die Lufthansa betonte, dass die letzte Inspektion erst Anfang der Woche und eine umfassende Wartung im Sommer 2013 erfolgt sei. Spielt das Alter der Maschine nun eine Rolle oder nicht?
Nicht automatisch, hieß es dazu am Mittwoch in der deutschen „Zeit“. Die 24 Dienstjahre und mehr - der Jungfernflug des Jets fand laut der Zeitung am 29. November 1990 statt - seien für „eines der sichersten Flugzeuge der Welt“ (den A320, Anm.) „nichts Ungewöhnliches, aber sie liegen an der oberen Grenze der Nutzungszeit“.
Material „arbeitet und ermüdet“
Allerdings nehme mit dem Alter die Wartungsintensität zu, sagte ein namentlich nicht genannter „technischer Mitarbeiter“, der für die Lufthansa an Maschinen des Typs arbeite, der „Zeit“ (Onlineausgabe). „Der Airbus A320 ist ein sehr sicheres Flugzeug, aber bei Maschinen in diesem Alter wird das Material zu einer immer größeren Schwachstelle.“
Das sei so, weil sich die Flugzeughülle bei jedem Flug um ein paar Millimeter ausdehne und bei der Landung wieder zusammenziehe. Das Material „arbeitet und ermüdet mit der Zeit“. So könnten feine Risse entstehen, die im schlimmsten Fall ein Loch in der Außenhaut verursachen könnten. Der verunglückte Airbus mit der Flugnummer 4U9525 hatte 46.700 Starts und 58.300 Flugstunden hinter sich.
Bei guter Wartung „spielt Alter keine Rolle“
Klaus Wolf, Experte für Luftfahrzeugtechnik an der Technischen Universität (TU) Dresden, äußerte an diesem Punkt Zweifel: „Wenn ein Flugzeug gut gewartet ist, wovon ich in diesem Fall ausgehe, spielt das Alter keine Rolle.“ Laut „Zeit“ wird die Germanwings-Flotte von der Konzernmutter Lufthansa gewartet, alle zwei Tage erfolge ein rund eineinhalb Stunden dauernder Routinecheck („Two-Day-Check“), außerdem gebe es wöchentliche Wartungen und alle zwei Monate einen genaueren „A-Check“.
Bei den „D-Checks“ genannten, wochenlang dauernden größeren Wartungen werden die Flugzeuge zerlegt. Beim Unglücksjet sei ein technisches Problem am Montag „vollständig“ behoben worden, hieß es von der Lufthansa. Die Wartung sei teuer, das Thema Alter daher für die Fluglinien eher ein wirtschaftliches als ein Sicherheitsproblem, so Wolf gegenüber der „Zeit“.
Ein „Verdacht“ und ein kritischer Zwischenfall
Die deutsche Zeitung verwies allerdings auf einen „Verdacht“: Probleme mit Sensoren und dem Flugcomputer beim Airbus A320. Im November hatte das auf einem Lufthansa-Flug von Bilbao nach München für eine kritische Situation gesorgt. Der deutsche „Spiegel“ berichtete damals, dass Sensoren vereist seien und der Flugcomputer deshalb mit falschen Informationen „gefüttert“ worden sei. Die Maschine sei aus 9.000 Meter Höhe mit 1.000 Metern pro Stunde in den Sinkflug gegangen. Erst durch Abschalten der Bordcomputer sei es der Crew gelungen, das Flugzeug wieder unter Kontrolle zu bekommen. Es landete sicher.
Studie konnte keinen Zusammenhang nachweisen
Im Vorjahr kam eine Studie des Internationalen Zentrums für Lufttransport (ICAT) am Massachusetts Institute of Technology in Cambridge (USA) zu dem Schluss, dass es keinen nachweisbaren Zusammenhang zwischen dem Alter eines Flugzeugs und Unfällen gebe. Die US-Wissenschaftler stellten nach Auswertung aller Flugzeugkatastrophen der jüngeren Vergangenheit fest, dass es bis zu einem Alter der Flugzeuge von 18 Jahren keinerlei Zusammenhang mit der Unfallrate gab.
Nur bei Maschinen ab 20 Jahren wurde statistisch eine „leichte Tendenz“ zu mehr Unfällen registriert - allerdings nur bei Fluggesellschaften, die in Afrika operierten. Doch in anderen Teilen der Welt wie etwa Europa und Nordamerika ist laut Studie auch bei Maschinen von 20 Jahren Lebensdauer und mehr kein Zusammenhang zwischen dem Alter und der Unfallhäufigkeit feststellbar.
„Weniger Komfort, aber nicht weniger Sicherheit“
Ähnlich sieht es beim Thema Billigflieger aus: Das Unglück in Frankreich ist der zweite Absturz einer Maschine einer Billigairline seit 2005, nachdem 2005 eine Boeing 737 der zypriotischen Fluggesellschaft Helios in Griechenland verunglückt war. „Günstige Preise bedeuten weniger Komfort, aber nicht weniger Sicherheit“, so der Luftsicherheitsexperte Xavier Tytelman. Die günstigeren Ticketpreise kommen durch die Reduzierung anderer Kosten zustande, etwa durch die Abschaffung von Mahlzeiten an Bord und die Erhebung von Zusatzkosten dafür. Außerdem wurde das Bodenpersonal ausgedünnt.
Seit der Deregulierung des europäischen Luftfahrtmarktes Anfang der 1990er Jahre hätten Billigairlines 30 bis 40 Prozent des Marktes für Mittelstreckenflüge übernommen, wie der Luftfahrtexperte Bertrand Mouly-Aigrot sagte. Billigflug-Pionier Ryanair ist mit seiner Flotte von 300 Boeing-737-Maschinen einer der wichtigsten Akteure in der Branche in Europa geworden. Die Airline fertigt pro Tag 1.600 Flüge ab. Angeflogen werden 186 Flughäfen in 30 Ländern. Der britische Rivale easyJet, der bald über 226 Airbus A320 verfügt, fertigt pro Tag 1.400 Flüge ab. Die Lufthansa verlagerte ihre innereuropäischen Flüge zu der 2002 gegründeten Germanwings mit Ausnahme der Drehkreuze Frankfurt und München.
International große Altersunterschiede
Die Maschinen von Germanwings sind laut „Zeit“ durchschnittlich 13,8 Jahre alt. Beim Konkuerrenten easyJet sind es nur 6,2 Jahre, bei der US-Fluggesellschaft Delta Airlines sind es 16,9 Jahre. 2012 hatte des deutsche „Handelsblatt“ unter Berufung auf Daten der Fachzeitschrift „Aviation Week“ ein Ranking der ältesten Flugzeugflotten der Welt erstellt. Die Ergebnisse der „Top Ten“ bewegten sich zwischen 11,7 (Brasilien) und 32,5 Jahren (Venezuela), wobei damals US-Passagiermaschinen im Durchschnitt um gute drei Jahre älter waren als russische.
Was die Statistik sagt
Laut einer aktuellen Studie der Allianz-Versicherungsgruppe verbesserte sich die Flugsicherheit in den zurückliegenden Jahrzehnten stark. Zugleich stieg die Zahl der Fluggäste enorm. 2014 flogen weltweit etwa 3,3 Milliarden Menschen. 1960 waren es nur 106 Millionen. 1959 betrug das Risiko eines tödlichen Flugzeugabsturzes der Allianz-Studie zufolge für einen Passagier 1:25.000 bei Abflügen in den USA und Kanada. Heute liege das Risiko eines Fluggasts, in den USA oder in der EU bei einem Absturz sein Leben zu verlieren, bei 1:29 Millionen. Dagegen geben Statistiker das Risiko, an einem Blitzschlag zu sterben, mit 1:10,5 Millionen an.
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