Annäherung an EU
Europas Zwergstaaten haben eine Fläche von weniger als fünf bis 468 Quadratkilometer, etwas mehr als die Größe von Wien. Dennoch galten viele unter ihnen, darunter Andorra, Monaco und San Marino, als Oasen für Steuerflüchtlinge. Der verstärkte europaweite Kampf gegen Steuerbetrug bedroht diese paradiesischen Zuständen und zwingt Europas Kleinststaaten, sich neu zu orientieren.
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Einige suchen nun nicht zuletzt deshalb eine engere Anbindung an die EU. Schon jetzt ist der Euro Zahlungsmittel, und durch Zollunionen mit den Nachbarländern profitieren einige Zwergstaaten auch ohne Mitgliedschaft von Vorzügen der EU. Das geht manchen offenbar nicht weit genug.
Andorra, Monaco und die von Italien umgebene Enklave San Marino suchten erst Mitte März das Gespräch mit der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini, um einen Annäherungsprozess zu beginnen. Das Ersuchen wurde erhört: Die EU-Kommission empfiehlt, mit den drei Staaten Verhandlungen zu eröffnen. Ziel ist die Teilnahme am EU-Binnenmarkt - ähnlich wie Norwegen, Island und Liechtenstein.
San Marino will sich von Abhängigkeit von Rom lösen
Budgetdefizit, Geldwäschevorwürfe und die Abhängigkeit von Italien weckten in der Minirepublik San Marino schon früher das Interesse an der EU. Bereits 2013 sprach sich rund die Hälfte der Sanmarinesen in einem Referendum dafür aus, dass ihre Regierung Sondierungsgespräche für einen EU-Beitritt aufnehmen solle. Gültig war das Ergebnis aufgrund einer zu geringen Beteiligung aber nicht. Kritiker einer EU-Annäherung befürchten, ihren Sonderstatus mit niedrigen Steuern, geheimen Bankkonten und großzügigen Pensionen zu verlieren.
Das Finanzbusiness ist eine wichtige Säule für die im Jahr 301 gegründete und damit wohl älteste Republik der Welt. Auf 61 Quadratkilometern tummeln sich insgesamt zwölf Banken und 55 weitere Finanzinstitutionen wie Versicherungen. Steuerflüchtlinge aus Italien brachten Zigtausende Euro über die Grenze nach San Marino. Der EU-weite Kampf gegen Steueroasen und die von Rom verhängte Amnestie für Steuersünder machten der Republik aber schwer zu schaffen.

Reuters/Stefano Rellandini
San Marino ist die älteste bestehende Republik der Welt
Auch die Grenzfahrten der Italiener mit Tausenden Euro in der Tasche wurden nicht zuletzt aufgrund verschärfter Kontrollen weniger. „Italien kann ein Problem für uns darstellen, weil wir so klein sind und von so vielen Dingen abhängig sind - sogar unser Wasser“, warnte die Politikerin Antonella Mularoni, als sie noch in der Regierung San Marinos war.
Die Minirepublik will sich nun stärker von der Abhängigkeit und Umklammerung ihres Nachbarn lösen. Entsprechend versucht die Regierung in San Marino nun, sich als Tourismuszentrum an der Adria neu zu positionieren. Als Exportgut sind auch die Briefmarken aus San Marino nicht zu vernachlässigen. Sie haben einen Anteil am Bruttonationaleinkommen von bis zu zehn Prozent.
Geschäftsmodell in Andorra wackelt
Der 468 Quadratkilometer große Zwergstaat Andorra in den Pyrenäen zwischen Frankreich und Spanien geriet erst kürzlich aufgrund eines Geldwäscheskandals in die Schlagzeilen. Die Banca Privada D’Andorra (BPA) soll Milliarden reingewaschen haben, lautet der Vorwurf der US-Antibetrugsbehörde FinCEN. Gelder sollen von mafiösen Organisationen aus Russland, China und Venezuela über die Bank in Andorra gewaschen worden sein. Die Bankaufsicht INAF übernahm die BPA-Kontrolle.

Corbis/Karl Thomas/Robert Harding World Imagery
Das Parlament des Pyrenäen-Staats Andorra
Konsequenzen hatte der Skandal auch für die spanische BPA-Tochter Banco de Madrid. Die Bank mit rund 15.000 vorrangig vermögenden Kunden mit Spareinlagen ab 500.000 Euro schlitterte in die Pleite. Viele hatten nach den Geldwäschevorwürfen ihre Konten geleert - die Klärung der Vorwürfe kann Monate in Anspruch nehmen. Die Banco de Madrid wurde von der spanischen Zentralbank übernommen. Es seien verschiedene Maßnahmen ergriffen worden, um „den Finanzplatz Andorra zu erhalten“, betonte der Finanzminister in Andorra, Jordi Cinca. Auch INAF-Generaldirektorin Maria Cosan versuchte zu beschwichtigen: „Der Vorfall stellt den Finanzplatz nicht infrage, weder seine Liquidität noch die Solvenz.“ Doch das Geschäftsmodell, auf dem Andorras Wirtschaft beruht, wackelt
Von der Piste in die Luxusboutique
Steuerfreies Einkaufen in Luxusboutiquen und Skifahren im größten Skigebiet der Pyrenäen mit über sieben Millionen Gästen pro Jahr ermöglichten Andorra, vom landwirtschaftlich geprägten Bergstaat zu einem international orientierten Finanzplatz zu werden. Fünf Banken verwalten ein Vermögen von rund 40 Mrd. Euro und erwirtschaften 18 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Medienberichten zufolge reichten für die Geldanlage in Andorra falscher Name und erfundene Adresse. Das enorme Wirtschaftswachstum überflügelte insbesondere in den 60er und 70er Jahren sogar das von Spanien.
Doch in den Boomjahren wurde in dem konstitutionellen Fürstentum, dem zwei Co-Fürsten - der französische Präsident und der Bischof von Urgell - vorstehen, kaum in die Zukunft geschaut. Investitionen in Produktion und Handel wurden vernachlässigt. „Wir spekulierten zu viel und haben uns auch nicht um den Handel gekümmert“, analysiert ein Andorraner, der selbst in der Politik involviert war, im „El Pais“-Interview. Die Finanz- und Wirtschaftskrise ging auch nicht spurlos an Andorra vorüber.
Tabubruch Einkommenssteuer
Inzwischen wird auch in Andorra trotz heftiger Proteste eine Mehrwertsteuer in Höhe von 4,5 Prozent eingehoben. An den Grenzen wurde ebenfalls stärker kontrolliert. Allein 2013 wurden über drei Millionen Euro Bargeld beschlagnahmt - der dreifache Wert von 2012. Eine Kapital- und Erbschaftssteuer gibt es zwar weiterhin nicht, doch beging das traditionell konservativ eingestellte Land Anfang des Jahres einen weiteren Tabubruch: Es führte Einkommenssteuern ein - mit einem Spitzensteuersatz von zehn Prozent.
Aufgrund eines 2011 mit Spanien geschlossenen Abkommens zum Informationsaustausch wird Andorra offiziell nicht mehr als Steuerparadies geführt. Die erzwungene Neuorientierung greift auch auf andere Wirtschaftszweige über. Aus Andorra soll eine Tourismusdestination werden, die ganzjährig und nicht nur zur Skisaison genutzt werden kann. Ein neuer Flughafen wird gebaut. Bis Sommer soll das Glücksspiel legalisiert werden - ein Casino ist geplant. Zudem wird an Plänen für ein Thyssen-Museum gefeilt, um abseits der Pisten etwas zu bieten.
Verblasster Casinoglanz in Monaco
Der zwei Quadratkilometer große Stadtstaat Monaco an der französischen Riviera setzt schon seit Jahrzehnten auf das Glücksspiel. Das berühmte Casino von Monte Carlo finanzierte lange den Großteil des gesamten Staatshaushaltes. Mittlerweile ist das Casino in manchen Jahren selbst defizitär. Nach einem heftigen Einbruch der monegassischen Wirtschaft im Zuge der Wirtschafts- und Finanzkrise wurde erst 2012 wieder der Stand von 2008 erreicht, zeigen die offiziellen Zahlen.

Reuters/Eric Gaillard
Das berühmte Casino in Monte Carlo ist immer wieder defizitär
Nach wie vor gilt Monaco als der mondäne Wohnsitz der Reichen - mit Wohnungskosten von bis zu 100.000 Euro pro Quadratmeter in manchen Gegenden. Es werden knapp 20 Prozent Mehrwertsteuer eingehoben, doch Einkommens- und Erbschaftssteuern müssen nicht bezahlt werden. Ausgang für den wirtschaftlichen Aufschwung brachte das Glücksspiel und mit ihm der Tourismus, heute prägt der Finanzsektor die monegassische Wirtschaft - mit knapp 40 Banken und über 50 Treuhandgesellschaften, die ein Vermögen von rund 100 Milliarden Euro verwalten. Der Finanzsektor erwirtschaftet etwa 16 Prozent des BIPs, berichtete das französische Magazin „Les Echos“.
Strafe für Bruch der Verschwiegenheitspflicht
Auf Druck von außen musste Monaco seine Kooperation im Kampf gegen Steuerbetrug in den letzten Jahren verstärken. Fürst Albert II. versucht gegen das Image Monacos als verschwiegene Steueroase anzukämpfen und wirbt um Investoren und Unternehmen insbesondere im Hightechbereich, die wenig Platz brauchen - Platznot ist ein ständiges Thema in dem Stadtstaat, der zwei Drittel der Größe des ersten Wiener Gemeindebezirks umfasst. Auch die entsprechend qualifizierten Mitarbeiter sind nicht leicht zu finden, trotz eines zusätzlichen „Prinzenbonus“ auf Gehälter in Höhe von fünf Prozent.
Briefkastenfirmen sind offiziell tabu in Monaco. Die Errichtung von Offshore-Gesellschaften, mit denen die Steuerpflicht in anderen Ländern umgangen wird, ist gesetzlich verboten. Seit 2009 erfüllt der Zwergstaat auch die OECD-Standards im Kampf gegen die Steuerhinterziehung. Anleger können aber offenbar weiterhin auf die Verschwiegenheit des Finanzsektors zählen. Denn auf der Website Private Banking Monte Carlo wird weiterhin gepriesen, dass in Monaco ein Bruch der Verschwiegenheitspflicht durch Banken strafrechtlich verfolgt werde. Ziel sei, damit „das im Bankensektor erforderliche Vertrauen herzustellen, um wirksam zu operieren“.
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