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Der Bogen Libyen-Griechenland-Russland

Wenn es richtig ernst wird, erfindet die vor Regeln strotzende EU schon einmal unkonventionelle Lösungen: In der Nacht zu Freitag traf sich in Brüssel ein Minigipfel, um über die bedrohliche Lage in Griechenland zu beraten.

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Die Staats- und Regierungschefs von Griechenland, Deutschland und Frankreich sowie drei Chefs von EU-Institutionen vermittelten danach den Eindruck, man sei auf dem Weg weitergekommen, den drohenden Finanzkollaps des hoch verschuldeten Landes doch noch abwenden zu können.

Ob das gelingt, ist allerdings weiter offen. „Aber die Hauptbotschaft ist, dass sich jetzt endlich die EU-Regierungschefs des Themas angenommen haben. Denn bei Griechenland geht es eben nicht nur um ein Finanzproblem, sondern eine geostrategische Herausforderung“, sagt Jan Techau, Chef des Europabüros der Carnegie-Stiftung. Sehr deutlich zeigte sich auf diesem EU-Gipfel, wie sehr die außenpolitischen Bedrohungen der EU mit internen Problemen in Europa zusammenhängen.

Bei Athen geht es nicht nur um Geld

So wurde in Brüssel etwa der offiziell immer wieder zurückgewiesene Zusammenhang zwischen Griechenland-Hilfen und Russland-Sanktionen überdeutlich. Unmittelbar vor dem informellen Treffen mit Tsipras hatten die 28 EU-Staats- und Regierungschefs beschlossen, die Aufhebung der Sanktionen an die vollständige Umsetzung des Minsker Friedensabkommens für die Ostukraine zu knüpfen. Einen formellen Beschluss über die Verlängerung fassten sie aber nicht.

Während die deutsche Kanzlerin Angela Merkel das als Zeichen der Entschlossenheit und Einheit lobte, sieht Carnegie-Experte Techau dies als genaues Gegenteil - als Zeichen von Schwäche und Uneinigkeit. „Es ist eine Logik der Schwäche, aus der heraus die Europäer arbeiten“, sagt Techau. Denn die übergeordnete Erkenntnis der EU-Chefs sei, dass man sich an der Südostflanke von EU und NATO kein kollabierendes Griechenland leisten könne. Also müsse man Rücksicht nehmen.

Niemand will den „Grexit“

Das dürfte auch erklären, warum in Brüssel von allen Seiten betont wurde, dass niemand einen „Grexit“ wolle - bei aller Verärgerung über das Finanzgebaren der neuen griechischen Führung. Denn ein Ausscheiden aus dem Euro könnte eine Kette dramatischer weiterer Entwicklungen auslösen: Vor allem griechische Politiker selbst hatten in den vergangenen Wochen je nach Sichtweise immer wieder gewarnt oder gedroht, eine griechische Zahlungsunfähigkeit könne Auswirkungen etwa auf die Flüchtlings- oder die Russland-Politik haben. Solche Bemerkungen wurden zwar immer wieder zurückgenommen. Aber nicht ohne Grund wiederholte Merkel ihre alte Warnung, dass der Euro mehr als eine Währung sei und mit ihm auch Europa scheitern könnte.

Deshalb sehen osteuropäische Diplomaten die Russland-Sanktionsbeschlüsse mit gemischten Gefühlen. „Niemand weiß doch, ob ein finanziell zusammenbrechendes Griechenland im Juni noch einer Verlängerung der Sanktionen zustimmen wird“, sagte ein Diplomat in Brüssel. Immerhin reist Tsipras Anfang April nach Moskau - und Russland sucht wegen des Ukraine-Streits nach Wegen, die EU durch Sonderbeziehungen zu einzelnen Staaten zu spalten. „Die Sanktionen hätten jetzt verlängert werden müssen“, kritisierte die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europaparlament, Rebecca Harms.

Doppelte Herausforderung Libyen

Am Freitag zeigte sich an einem weiteren Thema, dass die EU es längst mit einem ganzen Krisenbogen zu tun hat, der mittlerweile die gesamte Süd- und Ostgrenze umfasst und miteinander verknüpft ist. So berieten die 28 EU-Regierungschefs über die Terroranschläge in Tunis und die damit zusammenhängende chaotische Lage in dem zerfallenden Nachbarland Libyen.

Die dortige Situation wiederum hat direkte Auswirkungen auf die Flüchtlingssituation in Europa, die EU-intern wegen der strittigen Verteilung der schutzsuchenden Menschen zu Spannungen führt. In deutschen Regierungskreisen wird besorgt darauf verwiesen, dass mittlerweile 70 Prozent der Flüchtlinge, die aus Afrika über das Mittelmeer in die EU kommen, aus oder über Libyen kämen. Über Nordafrika - oder eben Griechenland - drohten zudem islamistische Terroristen in die EU einzusickern.

„Die Grenze zu Europa“

Bisher hatten sich vor allem die Innen- und Außenminister separat um die einzelnen Themen gekümmert. Jetzt ist die Lage so bedrohlich, dass sich die Chefs der Thematik annehmen müssen. „Libyen ist die Grenze zu Europa. Wenn die Probleme in Libyen nicht gelöst werden, wird die EU insgesamt ein großes Problem haben“, warnte Merkel.

Carnegie-Experte Techau wirft der EU vor, viel zu spät die geostrategische Herausforderung und den Zusammenhang zwischen verschiedenen Politikbereichen erkannt zu haben. „Bisher hat strategische Blindheit verhindert, dass die Europäer die politischen Bedrohungen aus dem Süden und Osten wahrgenommen haben.“ Auch die Kanzlerin und die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini räumten das auf dem Gipfel in Brüssel ein. Mogherini habe betont, dass die Justiz-, Innen- und Außenminister gemeinsam eine Strategie entwickeln müssten, sagte Merkel. „Ich glaube, das ist ein sehr guter Ansatz.“

Andreas Rinke, Reuters

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