Für raschere Vertiefung
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat vor einem Zusammenbruch der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) gewarnt. Nach dem EU-Gipfel am Freitag in Brüssel sagte Juncker, die WWU sei „nicht nur eine Union fester Wechselkurse. Das System, das wir erarbeitet haben, stützt sich auf feste Wechselkurse, und in der Vergangenheit sind solche Systeme oft zusammengebrochen.“
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Juncker weiter: „Der EU darf nicht das Gleiche passieren. Ich glaube das auch nicht. Aber denen, die uns aus der Ferne zusehen, müssen wir nachweisen, dass das wirklich nicht eintritt.“
In Wahrheit müsse die WWU rascher vorankommen und vertieft werden. Sowohl Juncker als auch EU-Ratspräsident Donald Tusk zeigten sich erfreut über den sich abzeichnenden Konjunkturaufschwung. Die Lage habe sich deutlich verbessert, doch wesentlich sei ein struktureller Aufschwung, so Juncker. Dazu sei es aber auch notwendig, die Strukturreformen durchzuführen, sonst „kann es leicht passieren, dass wir uns in einer weniger günstigen Lage befinden“.
Merkel und Tsipras uneins im Schuldenstreit
Der Burgfrieden zwischen Deutschland und Griechenland im Schuldenstreit hielt unterdessen nur wenige Stunden. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras bewerteten die Vereinbarungen nach dem nächtlichen Spitzengespräch in Brüssel am Freitag höchst unterschiedlich. Uneinigkeit herrschte vor allem darin, unter welchen Bedingungen das von der Pleite bedrohte Griechenland an frisches Geld der Euro-Partner kommt.
Merkel betonte nach dem EU-Gipfel, dass die griechische Regierung Reformen umsetzen und das billigen lassen müsse, bevor Finanzmittel fließen könnten. Dagegen erklärte Tsipras, die Hilfen sollten graduell ausgezahlt werden, sobald seine Regierung eine detaillierte Reformliste vorgelegt habe. Dass sein Land kurz vor der Zahlungsunfähigkeit stehen könnte, wies der linksradikale Regierungschef zurück: „Es gibt absolut kein Problem bei der kurzfristigen Liquidität.“
Zuerst wird geprüft
Dessen ungeachtet betonten sowohl Merkel als auch Tsipras, dass die Vereinbarung der Euro-Finanzminister vom 20. Februar vollumfänglich gelten solle. Darin heißt es, dass die Institutionen - bestehend aus EU-Kommission, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Zentralbank - die Reformvorschläge aus Athen zunächst überprüfen sollen. Anschließend müssen die Euro-Finanzminister die Maßnahmen billigen. Danach können sowohl die verbleibenden Hilfen in Höhe von 1,8 Milliarden Euro aus dem Euro-Rettungsfonds EFSF als auch EZB-Mittel in Höhe von 1,9 Milliarden Euro überwiesen werden.
Kein genauer Zeitplan
Wann genau die griechische Regierung ihre neue, detaillierte Reformliste vorlegen soll, blieb unklar. Nach Darstellung von Tsipras hätten ihm sowohl Merkel als auch Frankreichs Präsident Francois Hollande versichert, sie wollten nicht, dass er vereinbarte Reformmaßnahmen der Vorgängerregierung noch umsetze. Diese Beschlüsse sollten „vergessen werden“. Merkel erwähnte eine solche Vereinbarung nicht. Sie beendete ihre Pressekonferenz in Brüssel, bevor Tsipras sprach.
Dieser kam seinen Worten zufolge mit der Kanzlerin überein, dass die „Rezessionsmaßnahmen“ für sein Land vorbei seien. Merkel erklärte lediglich, dass einzelne Reformen durch die griechische Regierung ausgetauscht werden könnten. Wichtig sei aber, dass unter dem Strich die gleichen Effekte auf den Staatshaushalt erzielt würden. Eine frühere Auszahlung von Hilfsmitteln könne es nur dann geben, wenn das bis Ende Juni laufende Programm komplett umgesetzt sei.
Juncker bietet Athen zwei Milliarden
Unabhängig vom Streit über das Rettungsprogramm könnte Tsipras nach dem Spitzentreffen in Brüssel auf baldige Mittel aus Brüssel und Berlin hoffen. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker stellte Griechenland zwei Milliarden Euro im Kampf gegen die soziale Not in Aussicht. Wie beim Besuch von Tsipras bei Juncker vorige Woche vereinbart, soll ein Stab der EU-Kommission das klamme Ägäis-Land bei den Anträgen für die Gelder beraten.
Merkel sagte zudem, dass sie mit Tsipras bei dessen Besuch in Berlin am Montag auch darüber sprechen werde, bilaterale Hilfe für Projekte etwa in der Kommunalverwaltung zur Verfügung zu stellen. Ob das Thema Entschädigungen für die Opfer der Verbrechen im Zweiten Weltkrieg eine Rolle spielen werde, müsse man sehen. Der Sprecher des Auswärtigen Amts in Berlin wies Medienberichte zurück, wonach die Bundesregierung Kompromissbereitschaft beim Thema Reparationszahlungen an Griechenland signalisiert habe.
Faymann sieht psychologische Wirkung
Faymann sagte, er hoffe, dass Griechenland unterstützt werde „und nicht ein paar darauf warten, dass sie scheitern“, um belegen zu können, dass die Wahl der Linksregierung falsch gewesen sei. Wie die von Griechenland zu erstellende Reformenliste ausschaue, habe sich in der Nacht auf Freitag noch nicht geklärt. „In einem politischen Gespräch kann man den Motor anwerfen, dass man wieder zueinander kommt“, sah Faymann vor allem eine psychologische und politische Wirkung im Minigipfel.
Erstes langes Gespräch Merkel - Tsipras
An dem dreistündigen Gespräch am Rande des EU-Gipfels nahmen neben Tsipras, Merkel und Juncker sowie EU-Ratspräsident Donald Tusk, Euro-Gruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem und EZB-Präsident Mario Draghi teil. Es war das erste längere Gespräch zwischen Merkel und Tsipras. Griechenland hatte das Spitzentreffen angeregt, nachdem der Ton in der Öffentlichkeit von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und seinem griechischen Kollegen Gianis Varoufakis im Schuldenstreit immer rauer geworden war. Deutschland ist der größte bilaterale Gläubiger des südosteuropäischen Landes, das von den Euro-Partnern mit rund 240 Milliarden Euro von der Staatspleite gerettet worden war.
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