Themenüberblick

Netanjahu in der Defensive

Wenige Tage vor den israelischen Parlamentswahlen haben die Herausforderer aus der linken Mitte in den Umfragen ihren äußerst knappen Vorsprung auf die konservative Regierungspartei Likud ausgebaut.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Eine am Mittwoch veröffentlichte Umfrage im Auftrag des Armeeradios ergab für die aus einer linken und einer liberalen Partei gebildete Liste HaMahane haZioni (Das Zionistische Lager) 24 und für den Likud von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu 21 Mandate. Weder im linken noch im rechten Lager gab es aber Aussichten auf eine Koalitionsmehrheit von mindestens 61 der 120 Knesset-Sitze.

Am Dienstag veröffentlichte Umfrageergebnisse des TV-Senders Kanal 2 und des Parlamentsfernsehens kamen zu sehr ähnlichen Resultaten. Während laut Knesset-Kanal das Zionistische Lager mit 25 Abgeordnetensitzen rechnen kann, waren es bei Kanal 2 ebenfalls 24; in allen drei Umfragen landete der Likud bei 21 Sitzen.

Bisher war die vom Chef der Arbeitspartei, Jizchak Herzog, angeführte größte Oppositionsliste in den Umfragen gleichauf mit Netanjahus Partei gelegen oder hatte nur leicht geführt. Für umso mehr Aufregung und Hektik sorgten die Umfragen daher im Wahlkampffinale. Am Sonntag versucht der Rechtsblock mit einer Großkundgebung in Tel Aviv nochmals zu mobilisieren.

Nach dem Wahltag beginnt das Ringen

In allen drei Wahlumfragen vom Dienstag und Mittwoch zeichnete sich aber keine Mehrheit für ein politisches Lager ab. Eine entscheidende Rolle würde demnach der vom früheren Minister Mosche Kachlon neu gegründeten Partei Kulanu zufallen, der durchwegs acht Mandate vorausgesagt wurden.

Herzog könnte damit am Wahlabend als Wahlsieger dastehen - doch Netanjahu trotzdem die besseren Karten für die Regierungsbildung in Händen halten. Den Auftrag zur Regierungsbildung dürfte zunächst Präsident Reuven Rivlin aber dem Führer der stimmenstärksten Fraktion erteilen.

Frage des Verhandlungsgeschicks

Ob es - im Fall eines Siegs für Herzog - aber tatsächlich zu einem Wechsel von einer Mitte-rechts-Koalition zu einem von Mitte-Links angeführten Regierungsbündnis kommt, hängt davon ab, wer welche Unterstützer in anderen Teilen des politischen Spektrums findet. Entscheidend könnte werden, die neue, rechtsliberale Formation Kulanu einzubinden, oder dieses Mal vor allem auch die streng religiösen Parteien, wie die Shas.

Letztere konnte sich der im Schmieden von Multi-Parteien-Koalitionen erfahrene Netanjahu, der 1996 bis 1999 regierte und seit 2009 wieder regiert, schon früher ins Boot holen, so dass Beobachter ihm mehr als Herzog einen flexiblen Deal mit mehreren Partnern trotz gravierender politischer Unterschiede zutrauen.

„Bibi“ unter Druck

Dabei ist „Bibi“, wie seine Anhänger Netanjahu gerne nennen, zuletzt mehr und mehr unter Druck geraten und hat bisherige Koalitionspartner verloren. Zu der vorgezogenen Parlamentswahl nur zwei Jahre nach dem letzten Urnengang 2013 kam es nämlich, nachdem Zipi Livni und Jair Lapid von der Zukunftspartei (Jesch Atid) Ende des Vorjahres im Streit mit Netanjahu um die Regierungspolitik ihrer Ministerämter enthoben wurden.

Die beiden Vertreter der Mitte kritisierten etwa einen Gesetzentwurf zur Stärkung des Charakters Israels als jüdischer Staat und gerieten so in einen unüberbrückbaren Gegensatz zu Netanjahu und den Koalitionären vom extrem rechten und siedlerfreundlichen Rand: Es kam zum Bruch.

Brennende soziale Fragen

Im Inland geriet Netanjahu in seiner zweiten und dritten Amtszeit ab 2009 bzw. 2013 wegen brennender Sozialfragen, aber auch wegen seiner Politik im Nahost-Konflikt unter Druck, obwohl dieser zunächst gar kein Wahlkampfthema war. Am vorigen Samstag demonstrierten Zehntausende in Tel Aviv jedoch für einen umfassenden Wandel: für ein Friedensabkommen mit den Palästinensern und für Lösungen in Sachen explodierende Mietpreise und steigende Lebenserhaltungskosten.

Unter Netanjahu, der zuletzt nur noch mit den siedlerfreundlichen Parteien Israel Beitenu (Unser Haus Israel) und HaBai haJehudi (Das Jüdische Haus) regierte, ist der Friedensprozess zum Erliegen gekommen. Die Palästinenser setzen längst nicht mehr auf Verhandlungen mit dem „ewigen Taktierer“, sondern auf Schritte auf internationaler Ebene beim Aufbau ihres Staates.

Kein Erfolg bei Wohnungsmisere

Der wirtschaftsliberale Netanjahu kann zwar auf eine niedrige Arbeitslosigkeit und Wirtschaftswachstum verweisen, der Wohnungsmisere, welche die Jungen der Mittelschicht voll trifft, und der wachsenden Kluft zwischen Armen und Reichen hatte er aber nichts entgegenzusetzen. Mehrmals kam es zu sozialen Massenprotesten, zu den größten 2011.

Die Opposition unter Führung von Herzog dockt bei beiden Problemfeldern an und fordert in ihrem Wahlprogramm: „Israels diplomatische Isolation stoppen und den anhaltenden Anstieg der Lebenshaltungskosten aufhalten.“ Sie will mehr für Bildung, Wohnen und Gesundheit ausgeben und ist für einen entmilitarisierten Palästinenserstaat bei Erhalt der großen jüdischen Siedlungsgebiete.

Mit „Isolation“ spielt das oppositionelle Bündnis nicht zuletzt auf die traditionell engen Beziehungen Israels zu Washington an, die unter Netanjahu so abgekühlt sind wie nie zuvor. Jüngster Höhepunkt der Krise: Netanjahus Rede vor dem US-Kongress auf Einladung der Republikaner - am Weißen Haus vorbei und offensichtlich gegen den Willen von Präsident Barack Obama, eine Rede mit scharfer Kritik an dem Abkommen, das die US-Regierung gerade mit dem Iran im langjährigen Streit um das Atomprogramm Teherans anstrebt.

Vorwurf von Verschwendung und Korruption

Dann kam im Wahlkampf auch noch eine umstrittene Japan-Reise des Ministerpräsidenten aufs Tapet, bei der laut Rechnungshof der Staat für die mitreisenden zwei Söhne Netanjahus, der schon am Ende seiner ersten Amtszeit als Premier Ende der 90er Jahre Bekanntschaft mit Korruptionsvorwürfen machte, aufkam. Dazu kam ein kritischer Bericht des Staatskontrollors Joseph Schapira, der dem Ehepaar Netanjahu Verschwendung bei den Ausgaben in der Residenz des Ministerpräsidenten vorwarf. Die Ausgaben für Empfänge und Lebensmittel - etwa Wein - verdoppelten sich nach deren Einzug binnen zwei Jahren.

Ob das alles Netanjahu und den Likud so stark belastet hat, dass sie das Wahlsieg und Macht kosten wird, lassen die Umfragen offen. Ein zusätzlicher Unsicherheitsfaktor für den Ausgang der Wahl ist die neue, von 2,0 auf 3,25 Prozent Stimmenanteil hinaufgesetzte Hürde für den Einzug ins Parlament. Die 5,3 Millionen wahlberechtigten Israelis werden die Antworten darauf geben.

Links: