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Las Vegas auf Besuch in Wien

Überkandidelten Kitsch ist man aus Katy Perrys Videos gewohnt - so übertrieben, dass man mit viel gutem Willen so etwas wie Selbstironie herauslesen kann. In der ordentlich gefüllten Wiener Stadthalle bewies die 30-jährige Kalifornierin am Donnerstag selten, aber doch, dass man ironisches Augenzwinkern bei ihr entdecken könnte – wenn man nicht vorher vom Bombast der Show mit Blindheit geschlagen wäre.

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Punkt 21.00 Uhr entstieg Perry einem sich entfaltenden Tetraeder (manche sagen: Pyramide), in dem sie satte zwei Stunden später wieder verschwinden sollte. Dazwischen zeigte sie, dass sie - im Vergleich zu anderen - eher zu Recht ein Superstar ist, auch wenn die Show mit ihrer Musik an sich kaum noch etwas zu tun hat.

Perry treibt es sehr bunt

In den vergangenen Jahren ist es modisch geworden, sich bei Konzerten Ohrenstöpsel zu verpassen. Aus Angst vor dem Hörsturz oder weil man es in Wohnzimmerlautstärke doch lieber hat – beides recht symptomatisch für Konzertbesucher und die Gesellschaft dieser Tage - siehe auch koffeinfreier Kaffee, alkoholfreies Bier und Tofuwürstel. Und bei Konzerten ist ja mittlerweile offenbar Sehen und Fotografieren wichtiger als Hören.

Katy Perry

APA/Herbert P. Oczeret

Es wurde noch bunter, viel bunter

Setzt man den Sicherheitsgedanken fort, dann wären in der Stadthalle nicht nur Ohropax (es war schon ordentlich laut), sondern auch irgendwelche Schutzbrillen sehr hilfreich gewesen, die entweder irgendwas ausblenden oder die vielen Farben in Richtung Schwarz-Weiß umblenden.

Was hat die Revue mit der Musik zu tun?

Denn Perrys Auftritt entpuppte sich nach fast spartanischem Beginn rasch zu einer gigantomanischen Revueshow im Las-Vegas-Stil. Zuerst leuchten nur die Kostüme, dann ist man im alten Ägypten, dann in „Cats“. Perry schwebt über Bühne und Publikum, verschwindet irgendwann und taucht im neuen Outfit woanders wieder auf.

Am Schluss ist alles bunt, Perry trägt eine grüne Perücke und einen gelben Sport-BH mit Smileys vorne drauf. Wie das alles zusammenpassen und was die Nummernrevue mit der Musik zu tun haben soll, man weiß es nicht. Egal, spektakulär ist es. In einem Videoeinspieler während eines Kostümwechsels wird Perry mit Zwangsjacke in einer weißen Gummizelle mit Farbe beschossen. Vielleicht war das ein versteckter Hinweis: Zu viel bunt ist doch nicht gesund.

Super-Bowl-Auftritt im Schatten des Hais

Aber die heimischen Zuschauer waren eigentlich vorgewarnt: Vor einigen Wochen wurde der Auftritt Perrys in der Super-Bowl-Pause bejubelt. Vollkommen zu Recht: Neun Songs, zwei Gaststars und vier Kostümwechsel in knapp 13 Minuten unterzubringen ist schon eine Leistung. Blöd nur, dass ein Tänzer im Haikostüm („Der linke Hai“), der recht asynchron zum Takt aus der Reihe tanzte, fast noch mehr Schlagzeilen bekam. Müsste einem Künstler eigentlich schon zu denken geben.

Katy Perry mit zwei Backgroundtänzern als Haie

APA/AP/David J. Phillip

Ein Hai tanzte damals aus der Reihe

Zerschossene Hits

Künstler? Stimmt, da war noch Musik - in zweiter Linie. Denn das Konzert bewies einmal mehr, dass „live“ ein dehnbarer Begriff ist. Erst bei der vierten Nummer zeigten sich neben den omnipräsenten Tänzern ein paar Musiker auf der Bühne. Ob man das, was sie taten, auch hörte? Egal, auch die Gitarren leuchteten bunt und konnten sogar ein bisschen Feuer speien. Und Perry singt gerade bei den streng tänzerisch choreographierten Nummern so halb mit - vielleicht auch deswegen, weil die Hits „live“ ziemlich zerschossen werden – allen voran das durch Dance-Ballerei und Gitarrensoli entstellte „I Kissed a Girl“.

Katy Perry

APA/Herbert P. Oczeret

Die Tänzer hingen öfters irgendwo herunter

Irgendwann sollte es nach einer semikomödiantischen Einlage Perrys ganz vorne auf der spitz bis in die Mitte des Saales zulaufenden Bühne doch „musikalisch“ werden. Das Klavier spielte halt schon, bevor der Klavierspieler da war. Und Perry schnallte sich die Gitarre um. Das Publikum, eh schon vorher brav euphorisch, ging erst dann voll mit.

Später Erfolg

Mehrfach bedankte sich Perry - glaubwürdig oder nicht – beim Publikum fürs Fansein. Denn die einfache Karriere hatte sie tatsächlich nicht: In eine Pastorenfamilie in Kalifornien geboren, zog Perry schon in Teenagerjahren aus, um Musik zu machen. Ein erstes Album 2001 unter ihrem bürgerlichen Namen Katy Hudson mit christlichen Gospeln floppte.

Sie wurde von zwei Plattenfirmen gefeuert, ehe sie 2008 bei Capitol landete und man dort ihr Potenzial entdeckte und sie marketingtechnisch neu positionierte - wie das in der Branche heißt: Schon die erste Single „I Kissed a Girl“ wurde zum Superhit, das Album „One of the Boys“ sollte allerdings noch nicht so gut funktionieren wie der Nachfolger. Aus „Teenage Dream“ 2010 erreichten gleich fünf Singles die US-Chartspitze, das hatte seit Michael Jackson niemand mehr geschafft.

Ausgeweitete Imagezone

Zu verdanken hat sie das zunächst einem cleveren Marketingkonzept: Als reiner Popact wurde sie etwa 2008 auf die „Warped“-Tour geschickt, eigentlich eine - im weitesten Sinne - Punk-Veranstaltung. Damit wurde sie über Genregrenzen hinweg akzeptabel gemacht. Dazu passte auch der Support-Act Charlie XCX: Zuckersüße Popsongs im Girlrockgewand mit Plateauschuhen, ein bisschen harmlos, aber zumindest eingängig – mehr dazu in fm4.ORF.at.

Zurück zu Perry: Einen deutlichen PR-Schub brachte vor allem ihre Hochzeit 2010 mit dem britischen Komiker und Schauspieler Russell Brand. Ein gutes Jahr danach erfolgte die Trennung. Wen Brand, der mit seinem Buch „Revolution“ mittlerweile ins Volkstribunenfach gewechselt ist, heiratet, kann kein ganz schlechter Mensch sein. Wer sich von ihm rasch wieder scheiden lässt, schon gar nicht.

Ein Schwede richtet es

Schon vorher standen vor allem zwei andere Herren hinter dem Erfolg Perrys: die Songwriter und Produzenten Lukasz Gottwald alias Dr. Luke und Martin Sandberg alias Max Martin. Die beiden schreiben und produzieren Hits für praktisch jeden US-Superstar. Vor allem der gebürtige Schwede Martin gilt als Wunderwuzzi der Branche, rund 20 US-Nummer-eins-Hits gehen auf sein Konto. Sein Geschäft gelernt hatte er in den 90er Jahren mit europäischen Acts wie Ace of Base und Dr. Alban (ja, der singende Zahnarzt).

Weiß man das, wird einem einiges klarer. Dann schlug Martin aber als Songschreiber für die Backstreet Boys und Britney Spears in den USA groß ein. Und seither hat er nicht nur sehr prominente Kunden, sondern auch jede Menge schwedisches Know-how importiert. Die ellenlange Liste der Mitwirkenden an Perrys aktuellem Album „Prism“ liest sich streckenweise wie das Stockholmer Telefonbuch.

Familienfreundlichkeit als Programm

Es sollte übrigens ein für heutige Verhältnisse erstaunlich jugendfreier Abend werden - was ein täglich erscheinendes Printerzeugnis, das sich nach seinem Erscheinungsland benannt hat, freilich nicht davon abhielt, mit „Katy Perry versext ganz Wien“ zu titeln, also genauso wie bei jedem Konzert eines weiblichen Stars. Vielleicht könnte jemand der dortigen Redaktion einmal ein Zweitverb schenken.

Ganz überraschend ist die Sittsamkeit nicht: In einer „Variety“-Umfrage von 2014 liegt Perry bei den US-Teeny-Idolen nebst ein paar Schauspielern und hierzulande unbekannten YouTube-Stars als einziger Musikstar in den Top 20. Insofern ist ein bisschen Familienfreundlichkeit durchaus Programm. Und das wirkte auch in Wien: Selbst die Begleitpersonen, die ihren Töchtern zuvor Popcorn, essbares Gummizeugs und blinkende Katy-Perry-Kätzchenohren gekauft hatten, mussten am Ende auf den Sitzplätzen gehörig mitshaken.

Christian Körber, ORF.at

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