Das wäre doch gelacht
Milan Kundera - bei diesem Namen seufzen viele Leser auf: ein Meister des Erzählens, der zeitlose Geschichten in die Zeitgeschichte einzuweben verstand wie kein Zweiter. Von den 70er bis in die 90er Jahre als Inbegriff des Schriftstellers gefeiert, galt sein Werk als abgeschlossen. Doch plötzlich meldet sich der 85-Jährige nach 14 Jahren der Abwesenheit mit einem Roman zurück.
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Einem kleinen Roman, dessen 140 Seiten der deutschen Ausgabe bei etwas vollgeschriebeneren Blättern und etwas größerem Format auch 70 hätten sein können. Die Spannung stieg in den Wochen und Monaten vor der Veröffentlichung: Kehrt der frühe Kundera im Alterswerk wieder, der zugänglichere, den man aus einer Zeit kennt, als er noch auf Tschechisch schrieb? Der Autor von „Der Scherz“, „Das Buch der lächerlichen Liebe“ und „Die Unerträgliche Leichtigkeit des Seins“?

Hanser Verlag
Buchhinweis
Milan Kundera: Das Fest der Bedeutungslosigkeit. Hanser, 140 Seiten, 17,40 Euro.
Oder führt Kundera fort, was er 1993 mit seinem ersten auf Französisch verfassten Roman „Die Langsamkeit“ begonnen hatte? Viele seiner Anhänger wollten ihm damals nicht folgen. Die neue Sprache hatte einen neuen Stil bedingt. Am Ortswechsel kann es nicht gelegen sein, denn Kundera war wegen seiner Ächtung in der damaligen Tschechoslowakei bereits 1975 von Brünn nach Rennes aus- und später nach Paris weitergewandert. Die Bücher der 90er Jahre waren knapper, glatter, man könnte es auf die vereinfachte Formel bringen: geistreicher, geschliffener, aber weniger gefühlig, weniger sympathisch und weniger verschroben.
Unbändige Fantasie
Zwei Thesen lassen sich argumentieren. Erstens: „Das Fest der Bedeutungslosigkeit“ ist weder noch, Kundera hat sich im hohen Alter noch einmal neu erfunden. Zweitens: „Das Fest der Bedeutungslosigkeit“ ist die späte Vermählung der zwei Kunderas, die knappe Synthese eines Lebenswerks. Für letztere These spricht einerseits die Wahl der Themen, die an den frühen Kundera erinnert: Kommunismus, Humor, Sexualität, Männerfreundschaft. Dazu der lakonische Grundton der Erzählung. Vom späten Kundera findet sich hier neben dem Schauplatz Paris und dem mondänen Flair des Settings auch eine Handlung, die auf ihr Minimum reduziert wurde.
Die erste These - dass sich hier ein noch unbekannter Kundera entdecken lässt -, ist ebenfalls nicht von der Hand zu weisen. Denn der lakonische, ironische Grundton wird plötzlich von einem pessimistischen, verzweifelten Unterton begleitet. Und der narrativen Verschrobenheit des Erzählten sowie dem knapp gehaltenen Duktus wird ein ausschweifendes, unbändiges Element hinzugefügt: Das Buch besteht zum Großteil aus den kafkaesken Fantasien seiner Protagonisten.
Busen, Po, Schenkel, Nabel
Nach den ersten paar Seiten würde man hierbei vor allem von Altherrenfantasien sprechen. Philip Roth und Martin Walser fallen einem ein, die, boshaft formuliert, ihre Alter Egos im hohen Alter mit jungen Frauen rammeln lassen wie die Hasen. Bei Kundera sitzt der gesetzte Herr jedoch auf der Parkbank, gafft vorbeigehende Mädchen im nabelfreien Outfit an und sinniert darüber, ob Eva wohl einen Nabel hatte. Sie brauchte ja keinen, war sie doch von Gott erschaffen und nicht geboren worden. Und darüber, ob der Nabel nun Hintern, Busen und - Kundera formuliert es ungewohnt verschämt - die „Schenkel“ einer Frau als Stimulans männlicher Erregtheit abgelöst hat.
Im weiteren Verlauf der Handlung werden der Nabelfetischist und drei seiner Freunde aus jungen Tagen zufällig aufeinandertreffen und sich schon tags darauf bei einer Cocktailparty wiedersehen, zwei als Gäste, einer als Chef des Caterings, einer als Kellner. Das Buch besteht vor allem aus den Gesprächen dieser vier betagten Männer, und deren Nacherzählung kommt einer essayistischen Anekdotensammlung gleich.

APA/dpa/EFE
Milan Kundera
Kein Spaß
Im Zentrum stehen Überlegungen zum Humor. Bereits in seinem ersten Buch „Der Scherz“ hatte sich Kundera mit der Humorlosigkeit der Kommunisten auseinandergesetzt, die einen Studenten wegen einer als Witz gemeinten Postkartenbotschaft Strafarbeit leisten ließen. In „Das Fest der Bedeutungslosigkeit“ geht es um den Humor Stalins. Der habe Witze gemacht, über die sich sein Umfeld niemals zu lachen getraute - oder die gar nicht als Witze erkannt wurden, weil man in Anwesenheit Stalins in eine Art heiligen Ernst verfiel.
So habe Stalin einst erzählt, dass er beim Jagen 24 Rebhühner sah, aber nur zwölf Kugeln hatte. Also erschoss er zwölf, ritt nach Hause, holte weitere Kugeln und erschoss die restlichen zwölf, die noch immer am selben Baum saßen. Niemand lachte. Chruschtschow und die anderen Genossen mokierten sich hinterher am Pissoir über die „erlogene Angebergeschichte“ Stalins. Und wieso wurde Kaliningrad nach Kalinin, dem farblosen, formalen Staatsoberhaupt der Sowjetunion benannt? Weil Stalin mit dem alten Inkontinenzler Mitleid hatte.
Der traurige, falsche Pakistani
Solchermaßen kalauernd vertreiben sich die vier Freunde ihre Zeit. Einer von ihnen, seit Jahren als Schauspieler erfolglos, verdingt sich als Servierkraft. Bei der Cocktailparty spielt er - und es ist nicht das erste Mal - einen Pakistani, der kein Französisch spricht. Er kommuniziert nur in einer selbst erfundenen Kunstsprache, die nach Pakistanisch klingen soll. Das ist es, was vom Schauspielern geblieben ist.
Es ist nicht viel, und hier fällt die Parallele zum „Hungerkünstler“ Kafkas auf. Denn das fraglose Talent interessiert die Partygäste nicht im Entferntesten. Ob ihnen ein Pakistani oder ein Franzose die Brötchen bringt, ist ihnen völlig egal. Sein Auftritt findet vor indifferentem Publikum statt.
Witzlose Gegenwart, witziges Buch
Kunderas Fabulierkunst blitzt auf - im Takt eines Stroboskops, das den Rhythmus eines Popsongs begleitet: eine Reihe abstruser, in eingängiger Sprache ausgebreiteter Einfälle, die gemeinsam den kurzen Roman ausmachen. Ein Altherrenroman ist es allemal, wie etwa Judith von Sternburg in der „Frankfurter Rundschau“ kritisiert: Frauen kommen nur als Mütter oder Sexualobjekte vor. Ganz im Heute scheinen die Protagonisten nicht angekommen zu sein - und auch nicht der Autor.
Zitat aus dem Buch
„Wir haben seit langem begriffen, dass es nicht mehr möglich ist, diese Welt umzustürzen oder neu zu gestalten oder ihr unseliges Vorwärtsrennen aufzuhalten. Es gab nur noch einen einzigen möglichen Widerstand: sie nicht ernst zu nehmen. Aber ich stelle fest, dass unsere Witze ihre Macht verloren haben.“
Und worum geht es an den wenigen Stellen, wo das Büchlein an die Gegenwart andockt? Um die Trauer Kunderas darüber, dass es heute nicht mehr nur die Apparatschiks sind, die keinen Humor haben. Heute ist es die ganze Welt. Und eine Welt ohne Humor, eine Welt der reinen Effizienz, in der etwas so Bedeutungsloses wie die Blödelei keinen Platz hat und in der noch dazu das Geschichtsbewusstsein mehr und mehr verloren geht, die findet Kundera nicht lebenswert.
Damit diese Welt nicht ganz so humorlos bleibt, hat er „Das Fest der Bedeutungslosigkeit“ geschrieben: Ein witziges, gleichzeitig verschrobenes und geistreiches Büchlein, das vielleicht nicht als sein Hauptwerk in Erinnerung bleiben wird, aber trotz seiner pessimistischen Aussage vor allem eines garantiert: Lesevergnügen.
Simon Hadler, ORF.at
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