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Liebe, Action - und 160 reale Todesopfer

Dieser Tage läuft in den heimischen Kinos „American Sniper“ an, Clint Eastwoods Verfilmung der Autobiografie des US-Scharfschützen Chris Kyle. Der Film löste weit über die USA hinaus eine Debatte über Kriegspropaganda aus - und erwies sich als Publikumsmagnet. Aber eignet sich der Stoff überhaupt für eine Verfilmung?

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Zur amerikanischen Ikone wurde Eastwood als Schauspieler. Jeder kennt sein Konterfei als Cowboy und Dirty Harry. Aber bereits seit 1971, seit 44 Jahren, führt Eastwood auch Regie. Seine 35 Streifen sind als Werk eines einzigen Filmemachers schwer vorstellbar - da kommt zusammen, was nicht zusammengehört: eine Science-Fiction-Komödie („Space Cowboys“), ein Sozialdrama („Gran Torino“), eine Literaturverfilmung („Mystic River“), ein Western („Unforgiven“), ein Liebesdrama („Die Brücken am Fluss“) und „Mitternacht im Garten von Gut und Böse“, ein Drama um den Mord an einem Homosexuellen, dazu einige handfeste Thriller. Manche der Filme waren Flops bei Kritikern, einige beim Publikum. Andere wiederum gelten unwidersprochen als Meisterwerke.

Ähnlich divers, man könnte sagen: wirr - oder zumindest verwirrend -, ist Eastwoods Haltung zur Politik. Er tritt seit jeher für die Homosexuellenehe und das Recht auf Abtreibung ein. Gleichzeitig gilt er seit den 50er Jahren als republikanisches Urgestein, hat Politiker wie den US-Präsidenten Richard Nixon und die konservativen Präsidentschaftskandidaten John McCain und Mitt Romney unterstützt und in jüngster Vergangenheit Schmähreden gegen Präsident Barack Obama gehalten.

Tragisches Ende des Kriegshelden

Und es wird noch verwirrender: Eastwood gilt immer schon als Gegner von überseeischen Auslandseinsätzen des US-Militärs, von Vietnam bis zum Irak - und drehte mit „American Sniper“ dennoch einen Film, der als Kriegspropaganda par excellence wahrgenommen wird. Bei den Oscars wurde Eastwood von den tendenziell liberalen Juroren dafür abgestraft: Aus sechs Nominierungen, darunter jener für den besten Film, wurde nur ein Oscar. Die Auszeichnung für den besten Tonschnitt kann fast als Hohn angesehen werden.

„American Sniper“ ist die Verfilmung der Autobiografie des amerikanischen Scharfschützen Chris Kyle (brav gespielt von Bradley Cooper). Der hatte im Irak 160 Menschen gezielt getötet und gilt seither als Kriegsheld der USA. Nach mehreren Einsätzen kehrte er dauerhaft in die Heimat zurück, um mit seiner Frau und seinem Sohn zu leben. Er gründete eine Sicherheitsfirma und kümmerte sich nebenher um kriegstraumatisierte Soldaten. Einer von ihnen erwies sich als paranoid und tötete Kyle an einem Schießstand. Das ganze Land war in Trauer.

Eine Welt voller Idioten

Das Problem an Eastwoods Film: dass er eine wahre Geschichte erzählt, man sie also an der Realität misst. Denn in sich ist der Film stimmig und handwerklich, wie von Eastwood nicht anders zu erwarten, hervorragend umgesetzt. Spannende Actionszenen, eine rührende Liebesgeschichte, eine Kamera, die das Gefühl vermittelt, als Zuschauer ganz nah am Geschehen zu sein. Eastwood sagte sinngemäß in einem Interview, „American Sniper“ sei der entschiedenste Antikriegsfilm, den man sich vorstellen könne, wer das nicht sehe, sei ein Idiot. Wenn das stimmt, ist die Welt voller Idioten.

In erster Linie wird der Film als Porträt von Kyle wahrgenommen, der fast daran zerbricht, ein Kind erschießen zu müssen. Im Film kauft er für seine Frau im Irak keinen Ring, weil der mit einem „Blutdiamanten“ geschmückt sein könnte. Eastwoods Kyle ist bescheiden, es ist ihm unangenehm, wenn er auf seine vielen Abschüsse angesprochen wird. Die sieht er nämlich als notwendiges Übel an, um Kollegen zu schützen, die im gerechten Kampf gegen den Terror am Leben bleiben wollen. Im Film kommt Kyle als patriotischer Liberaler rüber, der nur seine Pflicht tut und eben ein großes Talent als Schütze hat.

Mehr Computerspiel als Blick auf die Wirklichkeit

Und dann gibt es den realen Kyle, der in den USA wegen seines Status als Kriegsheld beileibe kein Unbekannter ist. Seine Biografie titelte er so: „Sniper: 160 tödliche Treffer – Der beste Scharfschütze des US-Militärs packt aus“ - kein Hauch von Bescheidenheit also, und kein Hauch des Zweifels, was die Tötungen betrifft. Journalisten, die das Buch gelesen haben, schreiben, dass Kyle zugibt, seine Abschüsse genossen zu haben. In der öffentlichen Debatte machte sich Kyle zudem nach Schulmassakern als Befürworter des privaten Waffenbesitzes und der Bewaffnung von Lehrern stark. Als liberal oder übertrieben reflektiert scheint er also bis zu seinem Tod nicht aufgefallen zu sein.

Ähnlich unreflektiert wirkt auch der Film. Die Geschehnisse im Irak wirken wie ein Computerspiel. Der Krieg an sich wird nicht hinterfragt. Zivilisten oder ziviles Leben sind so gut wie nicht zu sehen. Einsatz, Schuss, Treffer. Verfolgungsjagd, Gefahr, Schuss, Treffer, Gefahr gebannt. Freunde von Kyle sterben. Kyle riskiert das Leben von Kameraden, um seinen irakischen Counterpart, einen berüchtigten Scharfschützen, zu töten. Doch auch diese Episode geht letztlich gut aus.

Ein Leben, kein Film

Dass der Krieg nicht nur die Opfer der Bomben, Granaten und Gewehrkugeln tötet, sondern auch die Schützen zerstört, die später damit leben müssen, Leben ausgelöscht zu haben, das deutet der Film nur an. Kyles Kriegstrauma - nicht, weil er so viele Menschen getötet hat, sondern weil er nicht noch mehr Menschen getötet und dadurch noch mehr US-Soldaten geschützt hat - spielt nur kurz eine Rolle und lässt sich leicht überwinden, indem er Veteranen hilft. Zynischerweise, und hier stimmen Film und Realität überein, kostet ihn genau dieser Einsatz das Leben. Kyles Geschichte eignet sich schlicht nicht für ein Krieg-und-Action-Drama. Eastwood hätte besser die Finger davon gelassen.

Simon Hadler, ORF.at

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