Novelle nach 113 Jahren
Nach über hundert Jahren hat Österreich das religiöse Leben der rund 560.000 Muslime im Land neu geregelt. Am Mittwoch beschlossen die Abgeordneten von SPÖ und ÖVP im Nationalrat das neue Islamgesetz. Der Abstimmung war wenig überraschend eine heftige Debatte vorausgegangen - sorgte die Gesetzesnovelle doch bereits im Vorfeld für Diskussionen.
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Nicht weniger als „einen Islam europäischer Prägung“ soll das neue Gesetz laut Sebastian Kurz (ÖVP) ermöglichen. Der Integrationsminister wurde in den vergangenen Tagen nicht müde, die Tragweite der Novelle zu betonen. Die Aktualisierung des Gesetzes aus 1912 enthält unter anderem Ansprüche auf Seelsorge beim Bundesheer, in Strafanstalten und Krankenhäusern sowie ein eigenes Theologiestudium, gesetzliche Feiertage und Lebensmittelbestimmungen.
Mitte Februar hatte nach langen Diskussionen und kleinen Textänderungen auch die Islamische Glaubensgemeinschaft (IGGiÖ) der Novelle zugestimmt - zum Missfallen mancher muslimischer Organisation. Dass Vereine nicht mehr aus dem Ausland finanziert werden dürfen und dass religiöse Funktionsträger aus dem Ausland ihre Funktion nur noch bis zu ein Jahr nach Inkrafttreten des Gesetzes weiter ausüben können, stößt etwa beim größten türkischen Verein in Österreich ATIB auf Widerstand. Der Verein kündigte - ebenso wie die muslimische Jugend (MJÖ) und das Netzwerk Muslimische Zivilgesellschaft - eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) an.
Strache: Islam gehört nicht zu Österreich
Während viele Muslime sich in ihrer Religionsfreiheit eingeengt sehen, gehen der FPÖ die Regelungen zur Auslandsfinanzierung nicht weit genug. Überhaupt findet FPÖ-Klubchef Heinz-Christian Strache, das Gesetz gehe an den Zielen vorbei und sei wirkungslos. „Bitte zurück zum Start“, forderte er am Mittwoch in der Diskussion im Nationalrat.
Eigentlich sollte es darum gehen, dem radikalen Islamismus den Boden zu entziehen, erklärte Strache, und dieser habe natürlich mit dem Islam zu tun. Einige Politiker sagten, der Islam gehöre zu Österreich, „ich sage, nein, er gehört nicht zu Österreich“, polterte Strache. Man fordere, dass im Gesetz geregelt wird, dass in Moscheen, im Unterricht und in der Seelsorge auf Deutsch gepredigt wird, auch fehlen ihm ein Minarett- und ein Burkaverbot.
Weder Bauordnung noch Kleidervorschrift
„Ich halte Ihre Rede für eine gesellschaftspolitische Spaltungsrede, und Integration findet nicht über Spaltung statt“, konterte SPÖ-Verfassungssprecher Peter Wittmann. Das Gesetz regle die islamische Glaubensausübung in Österreich, es handle sich weder um eine Bauordnung noch um ein Kleidervorschreibungsgesetz.
„Sie wollen Angst schüren, Sie wollen Gräben aufreißen, und genau das Gegenteil wäre auch Ihre Aufgabe“, maßregelte ÖVP-Klubchef Reinhold Lopatka den blauen Klubobmann. Wenn in Österreich über 500.000 Menschen leben, die sich zum Islam bekennen, „dann kann ich nicht sagen, dass das kein Teil unserer Gesellschaft ist“.
Grüne stoßen sich an Generalverdacht
Für die Grünen begrüßte Alev Korun ausdrücklich, dass es endlich eine transparente Imamausbildung an einer österreichischen Uni geben wird sowie dass die Frage der Friedhöfe und Seelsorge geregelt wird. Kritik übte sie aber am „Generalverdacht“ gegen Muslime, weil im Gesetz mehrfach geschrieben werde, dass sich Muslime an die Gesetze zu halten hätten, was ohnehin alle in Österreich tun müssten. Auch in Sachen Auslandsfinanzierung sei mit der vorliegenden Regelung nicht gewährleistet, dass sich an der derzeitigen Situation etwas ändert.
Diesen Punkt bewertete auch Team-Stronach-Abgeordnete Jessi Lintl als „halbherzig“, weil es Umgehungsmöglichkeiten gebe. Die Intention des Gesetzes sei zwar positiv, es gehe aber leider an der Zielsetzung vorbei. NEOS-Abgeordneter Nikolaus Scherak bemängelte ebenfalls, dass Religionen bei der Auslandsfinanzierung nun unterschiedlich behandelt würden, weiters ortete auch er einen Generalverdacht gegen Muslime im Gesetzestext.
Regierung sieht sich bestätigt
Kulturminister Josef Ostermayer (SPÖ) wies diesen Vorwurf erwartungsgemäß zurück. Man habe auch mit den Betroffenen über diesen Punkt geredet, und die meisten hätten das auch akzeptiert. Dass das Verbot der Auslandsfinanzierung wirkungslos sei, glaubt Ostermayer nicht, sonst würde das die Türkei wohl nicht kritisieren. Das Ö1-Mittagsjournal hatte berichtet, dass der Chef der türkischen Religionsbehörde Diyanet, Mehmet Görmez, das Gesetz scharf kritisiert und als Rückschritt bezeichnet habe - mehr dazu in oe1.ORF.at.
Auf die jüngste Kritik der türkischen Religionsbehörde ging auch Kurz ein - daran merke man, dass man hier einen „wesentlichen Punkt getroffen“ habe, weil manche um ihren Einfluss fürchten. Es handle sich auch nicht um eine Ungleichbehandlung, denn in anderen Religionen würden nicht in Massen Prediger nach Österreich geschickt oder eine dauerhafte finanzielle Unterstützung wie im Islam geleistet.
Das Gesetz sei ein „sehr wichtiger Schritt“ für das Zusammenleben, aber auch für den Islam, um sich in Österreich eigenständig entwickeln zu können, betonte Kurz. Es regle klar die Rechte und Pflichten der österreichischen Muslime. Klar sei auch, dass es „keine Reaktion auf den Terror sein kann und auch nicht sein darf“, betonte Kurz.
Europaweites Interesse an Debatte
SPÖ-Bundesgeschäftsführer Norbert Darabos wies am Abend die Kritik des Chefs der türkischen Religionsbehörde Diyanet Mehmet Görmez am neuen Islamgesetz „entschieden“ zurück. Das im Nationalrat beschlossene Gesetz sei „ausgewogen“ und „auf breiter Basis diskutiert und beschlossen“ worden, so der Geschäftsführer in einer Aussendung.
Die Debatte in Österreich wurde in vielen anderen europäischen Ländern mit Interesse verfolgt. Unter anderem wird nach den islamistischen Anschlägen von Paris in Frankreich über schärfere Regeln nachgedacht. Kurz sagte, der Gesetzestext könne als Grundlage für europäische Regelungen dienen.
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