Humor als Waffe
Sie findet sich sowohl im privaten YouTube-Kanal als auch bei großen Fernsehsendern und führt ganz öffentlich die wohldurchdachte Propaganda des Islamischen Staats (IS) vor: Satire aus dem Nahen Osten. Ob durch ausgelassenes Tanzen zu einem Technoremix der IS-Hymne, durch skurrile Bildmanipulationen oder irakische Anti-IS-Comedy im Staatsfernsehen - Humor ist eine wirksame Waffe des Nahen Ostens im Kampf gegen den Terror.
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Die konsequente Verbreitung und Instrumentalisierung von Angst und Schrecken, auch über die Grenzen Syriens und des Irak hinaus, gehören zum Kern der Terrorstrategie der Dschihadistenmiliz IS. Zumindest mental wollen sich nun immer mehr Menschen im Nahen Osten mittels Satire aus diesem Klammergriff befreien.
Lachen als Terrorgegengift
Eine entscheidende Rolle nimmt hierbei das Internet ein, über das in mehr oder weniger professioneller Heimarbeit produzierte Satireclips und Bildmanipulationen grenzübergreifend verbreitet werden. Unter dem Hashtag Salil al-Sawarim („Das Klingen der Schwerter“) beispielsweise finden sich auf Netzwerken wie YouTube und Twitter Dutzende Videos, in denen Menschen mit ausgelassenen Tänzen zur IS-Hymne „Ummi, kad laha fadschirun“ („Gemeinde, eine Dämmerung bricht an“) die Terrormiliz verspotten.

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„Exekutionsvideo“ wird zum wilden Tanz
Auch „Jihadi John“ kämpft mit „The Dress“
Ein anderer, hunderttausendfach geteilter Satireclip aus Gaza mischt unterdessen den Hype um „The Dress“ mit einer IS-„Exekution“, in der, im Ratespiel um die richtige Farbe des blau-schwarz oder gold-weißen Kleids, letztlich der an den Briten „Jihadi John“ erinnernde Täter zum Opfer wird. Videos wie dieses persiflieren einerseits die vom IS verbreiteten Propagandavideos und sorgen andererseits mit populärkulturellen Querverweisen für Klicks und eine hohe Verbreitung.
Galgenhumor als Heilmittel
In der Verzweiflung um das von der Terrormiliz verbreitete Elend sehen viele Satire dieser Couleur nicht unkritisch. Jüngstes Beispiel dafür ist der ägyptische Hochzeitsstreich des 25-jährigen Ägypters Ahmed Schehara. In dem Video entert eine Gruppe vermummter Männer mit erhobenen Dolchen den Festsaal und manövriert das junge Paar in einen Käfig. Zu hören ist die Hymne des IS. Plötzlich jedoch stoppt die Musik. Die Braut erkennt in einem der „Terroristen“ ihren Bruder, es erklingt ein Technotrack, und es wird getanzt, dass sich die Balken biegen.
Der Streich wurde von Kritikern im Hinblick auf die jüngste Ermordung 21 koptischer Christen als Geschmacklosigkeit kritisiert. Für andere sind die Witze als Rebellion im Kleinen eine willkommene Ausgleichstaktik. Nicht ohne Grund - schwarzer Humor wurde schon vom Vater der Psychoanalyse Sigmund Freud als probates Mittel erkannt, um Überhand über tragische oder ausweglose Situationen zu erlangen und sich unterbewusst zu stärken.
Den IS entzaubern
Zusätzlich können die Scherze aber auch eine durchaus politisch-präventive Funktion erfüllen. Sie helfen nicht nur dabei, den von seinem Ruf abhängigen Islamischen Staat für potenzielle Sympathisanten zu entzaubern und ihm den „Glamour“ zu nehmen, sondern enthüllen durch konsequente Überspitzung auch Absurditäten, die vielleicht nicht jedem auf den ersten Blick ersichtlich sind.
So nehmen zahlreiche Parodien etwa die ultrarigorose Interpretation religiöser Vorschriften aufs Korn oder stellen die Angehörigen des IS als Heuchler dar, die in unbeobachteten Momenten Wein trinken, westliche Musik hören, sich mit teurem Schmuck behängen und von schönen Frauen träumen. Nicht selten ergibt sich die Pointe dieser Videos letztlich daraus, dass die Verhöhnten über jene Wertansprüche stolpern, die sie anderen mit Gewalt abverlangen.
Ein Blick ins „Reich des Aberglaubens“
Nicht nur bei Privatpersonen, auch im TV des Nahen Ostens ist politische Satire als Machtinstrument präsent. Optisch eine Mischung aus „Looney Toons“ und „South Park“, veralbert etwa die irakische Cartoon-Serie „Dashawi“, benannt nach einem Slang-Wort für einen IS-Kämpfer, die Gruppe. Zu sehen ist beispielsweise ein junger Dschihadist, der beim Versuch einen Raketenwerfer abzufeuern, seinem Kommandanten den Fuß zerquetscht.
In eine ähnliche Kerbe schlägt laut BBC die Serie „Dawlat al-Khurafa“, was sinngemäß übersetzt so viel wie „Staat der Mythen“ oder „Staat des Aberglaubens“ bedeutet. Die im Oktober 2014 gestartete Serie spielt in einem kleinen irakischen Dorf, das die absurden Wirren des Alltags einer IS-Besatzung durchlebt. In der Hauptrolle: „Kalif“ Abu Bakr al-Baghdadi, der in seinem Regiment mit zahlreichen abstrusen Amtshandlungen für Gelächter sorgt. So setzt der Kalif beispielsweise den Dorftrunkenbold als Alkoholsittenwächter ein.
„Damit Kinder nicht mit Angst vor IS ins Bett müssen“
Gedreht wurde die Serie von Thaer al-Hasnaui in einem Studio in Bagdad, die insgesamt 30 Folgen sind in Originalsprache auch auf YouTube abrufbar. „Wir tun das, damit Kinder nicht mit der Angst vorm Islamischen Staat ins Bett gehen müssen“, so Hasnaui. Für beide Sendungen zeichnet der irakische staatliche Sender al-Irakija verantwortlich. Er ist der an Reichweite stärkste Sender des Landes. Etwa 93 Prozent des Irak, auch jenes Gebiet, in dem der IS an der Macht ist, wird abgedeckt.

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Die Hymne des IS erklingt auf YouTube in der „Chipmunk-Version“
Auch in anderen Teilen des Nahen Ostens, beispielsweise im Libanon, bekommt der IS im TV sein Fett ab. „Diese Menschen sind keine wahren Vertreter des Islam“, so Nabil Assaf, einer der Macher der „Ktir Salbe Show“, die den IS unverblümt aufs Korn nimmt. „Indem wir uns über sie lustig machen, zeigen wir ihnen, dass wir gegen sie sind“.
Gefährlicher Widerstand
Als ungefährlich gestaltet sich der humoristische Widerstand der IS-Gegner natürlich nicht. Gerade jene Satiriker, die sich nahe dem vom Islamischen Staat beherrschten Gebiets bewegen, haben Angst um ihr Leben. Wisam Abdel Wahed, der in „Dawlat al-Khurafa“ einen Polizisten spielt, erhielt Drohbriefe. In denen wird er gefragt, wie er es wagen könne, sich über den Islamischen Staat lustig zu machen. Viele andere Schauspieler lehnten gefährliche Rollen ab oder drehen aus Angst um sich und ihre Familien nur in Kostümen, die sie bis zur Unkenntlichkeit verhüllen. Die sonst üblichen Namensnennungen im Abspann sind eine Seltenheit.
„Haben Charlie Hebdo gefunden, finden auch Euch“
Auch die einst gegen die Regierung agierende syrische Aktivistengruppe Daja Altaseh, die sich nun in Satireclips gegen den IS wendet, spricht von mehrfachen Todesdrohungen, zum Beispiel via SMS: „Wir haben Charlie Hebdo gefunden, also finden wir auch Euch. Ihr seid leicht zu fangen.“ Gedreht wird deswegen in einem geheimen Studio in der Türkei. Ans Aufgeben denken die drei Männer trotzdem nicht: „Der IS wendet sich gegen uns Muslime. Satire hilft uns, die Bevölkerung zu erreichen, besonders die jungen Leute. Wir haben keine Angst vor dem IS. Wir wollen ihn mit Humor bekämpfen.“
Die Satire als gewichtiges Machtinstrument hat im Nahen Osten jahrhundertelange Tradition. Durch die zeitweilige Notwendigkeit, Kritik in repressiven Regimen verdeckt zu äußern, haben sich dabei eigene Ausdrucksformen etabliert. So wurden beispielsweise Missstände im Osmanischen Reich bei Schattenspielen und in Gedichten angeprangert. In jüngster Zeit spielten politisch-satirische Karikaturen, Lieder und Videos eine große Rolle bei der Mobilisierung im „arabischen Frühling“ und den Protesten zum Gezi-Park.
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