Zum Bersten vollgepackt
„Birdman“ war der große Gewinnerfilm der 87. Oscars. Ein alternder Hollywood-Star will darin als ernstzunehmender Broadway-Regisseur reüssieren. Der Film besticht mit rasanten Dialogen und Verweisen quer durch die Filmgeschichte. Wer einen langen Atem hat, wird bis zum Schluss von einem handwerklich und schauspielerisch virtuosen Meisterwerk bestens unterhalten.
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Als Michael Keaton vor 25 Jahren Batman spielte, waren Comicverfilmungen von den subtilen Meisterwerken eines Christopher Nolan („The Dark Knight“, 2008) noch Welten entfernt. Trotzdem war es Keatons internationaler Durchbruch, ein kommerzieller Erfolg, an den er seither nicht mehr anschließen konnte. Ähnlich geht es der Hauptfigur in „Birdman oder (Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit)“ des mexikanischen Regisseurs Alejandro Gonzalez Inarritu („Babel“, „21 Gramm“, „Biutiful“).
Batman spielt Birdman
Der Film: Vor Jahren war der ehemalige Hollywoodstar Riggan Thomson (Michael Keaton) als Titelfigur in der Comic-Blockbuster-Verfilmung „Birdman“ weltbekannt, doch nachdem er „Birdman 4“ abgelehnt hatte, war es ruhig um ihn geworden. Keaton, bekannt für seine Rolle als Batman, spielt also Riggan Thomson, bekannt für seine Rolle als Birdman. So weit, so gut.

Viennale
Mit „What We Talk About When We Talk About Love“ ist ein Comeback am Broadway geplant
Auf der Theaterbühne am Broadway will Riggan jetzt endlich allen beweisen, dass er mehr ist als nur ein „abgehalfterter Superheldendarsteller“. Er inszeniert die Raymond-Carver-Adaption „What We Talk About When We Talk About Love“ und spielt darin eine der Hauptrollen. Während der öffentlich zugänglichen Publikumsproben kommen ihm jedoch immer mehr Zweifel, ob er dem Druck des Bühnenschauspiels gewachsen ist, und Panik macht sich breit.
Auch bei seinem sonst ruhigen und geduldigen Manager und Produzenten Brandon (Zack Galifianakis), der zu allem Überfluss noch einen neuen männlichen Hauptdarsteller suchen muss, da der alte durch einen bizarren Unfall ausgefallen ist. Mit dem exzentrischen Bühnenstar Mike Shiner (Edward Norton) handelt sich die Produktion eine nervende, tickende Zeitbombe ein, was aber gern in Kauf genommen wird, gilt er doch als Publikumsmagnet und Garant für ausverkaufte Vorstellungen.
Verstärkung vom Alter Ego
Vor der alles entscheidenden Premiere muss sich Riggan außerdem noch mit den Befindlichkeiten seiner Freundin und Bühnenpartnerin Laura (Andrea Riseborough) herumschlagen, mit seiner Tochter und Assistentin Sam (Emma Stone) diskutieren, die gerade aus der Entzugsklinik zurück ist, und die ambivalenten Gefühle für seine Ex-Frau Sylvia (Amy Ryan) ausloten. Kein Wunder, dass er sich immer wieder Verstärkung von seinem Alter Ego Birdman holen muss, der ihn stets daran erinnert, übernatürliche Kräfte zu besitzen.

Viennale
Birdman ist für Riggan (Michael Keaton) ein Schatten, den er nicht mehr los wird
Grenzwertige Reizüberflutung
Eben diese - von einem großartigen Schauspielerensemble getragenen - dichten, ineinander verwobenen Handlungsstränge sind der einzige Schwachpunkt von Inarritus Film. Er ist ein Opus Magnum, so vielschichtig und reich an starken Figuren und Dialogen, dass sich der Stoff etwa perfekt für eine der momentan angesagten HBO-Miniserien geeignet hätte. Für einen einzigen Film ein Übermaß an Filmzitaten, Lebensweisheiten und der ewigen Frage, wie viel Kommerz die Kunst verträgt - und umgekehrt.
Wenn man davon absieht, dass der Film genug Material für eine Dissertation bietet, und einen manchmal durch Reizüberflutung an den Rand der Überforderung bringt, ist Inarritu mit „Birdman“ ein tragikomisches Meisterwerk gelungen. Gleich in der ersten Szene sieht man Hauptfigur Riggan im Lotussitz mitten im Raum schweben. „Wie sind wir hier nur gelandet in diesem Drecksloch? Du bist ein Filmstar, schon vergessen?“, raunt ihm eine dunkle Männerstimme zu.
Der böse Bruder von „Black Swan“
Sie gehört Birdman, einer seltsamen, gefiederten Figur, die aussieht wie der böse Bruder von Natalie Portman in „Black Swan“. Riggans Leinwandfigur von anno dazumal ist immer zur Stelle, wenn dem alternden Schauspieler Zweifel an seinem Beruf - ja, seiner Berufung - kommen. Schließlich gäbe es immer noch die Option, noch einmal als Kino-Superheld die Welt zu retten. Surreale Elemente durchziehen den Film, fügen sich aber mühelos in die Handlung ein. So scheint Riggan über telekinetische Fähigkeiten zu verfügen und fliegt schon einmal durch die Straßen von Manhattan, untermalt von der atemlosen Filmmusik von Jazzschlagzeuger Antonio Sanchez.

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Mike (Edward Norton) und Sam (Emma Stone) spielen „Wahrheit oder Pflicht“
Offene und subtile Kritik am Hollywood-Betrieb baut der Regisseur an allen Ecken und Enden ein, wobei besonders jene ihr Fett abbekommen, auf die sich sonst auch die Avantgarde einigen kann: Michael Fassbender, Ryan Gosling, Robert Downey Jr., George Clooney, Woody Harrelson. Doch Inarritu prangert nicht nur die Auswüchse des Blockbuster-Kinos an, auch der Broadway-Theaterbetrieb als Bühne der Eitelkeiten wird schonungslos auseinandergenommen. Stets unterfüttert mit intelligenten und äußerst komischen Seitenhieben auf die Sozialen Medien, wo ein YouTube-Hit, der die Hauptfigur in Unterhosen auf der Straße zeigt, mit Hunderttausenden Klicks die „wahre Macht“ bedeutet.
Richtiger Sex auf der Bühne
Wie John Travolta in „Pulp Fiction“ (1994) und Mickey Rourke in „The Wrestler“ (2008) hat man das Gefühl, dass Keaton nie besser war als in dieser Rolle des in die Jahre gekommenen Antihelden, dem die Sympathie des Publikums gehört. „Du bist nur ein mittelmäßiger Schauspieler, der nach dem letzten Strohhalm seiner Karriere greift“, wirft ihm Norton als enthemmter Method Actor an den Kopf.
Norton geht ganz in der Rolle des narzisstischen Bühnenanarchos auf, großartig etwa in der Szene, wo er Naomi Watts während der Proben vor Publikum zu richtigem Sex auf der Bühne überreden will. Er gibt die keifende Diva und zeigt erst dann seine verletzliche Seite, als er mit Riggans Tochter Sam allein ist und „Wahrheit oder Pflicht“ spielt. Norton, der im letzten Drittel des Films mehr oder weniger von der Bildfläche verschwindet, hätte seine unterhaltsame Performance ruhig bis zum Ende fortführen können.
Sonia Neufeld, ORF.at
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