Janukowitsch war nur „willige Marionette“
Ein Jahr nach den blutigen Straßenschlachten in Kiew haben Tausende Ukrainer der bei dem Umsturz Getöteten auf dem Maidan (Unabhängigkeitsplatz) gedacht. „Die Revolution der Würde wurde zur ersten siegreichen Schlacht in unserem Kampf für die Unabhängigkeit“, sagte Präsident Petro Poroschenko am Freitag in der Hauptstadt. Er gab Russland die Schuld am Tod von mehr als 100 Menschen damals.
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„Jetzt ist endgültig klar, dass wir auf dem Maidan vor einem Jahr nicht gegen (den damaligen Präsidenten Viktor, Anm.) Janukowitsch gekämpft haben. Er war nur eine brutale und willige Marionette“, sagte Poroschenko. Der Geheimdienst verfüge über Aufzeichnungen von Telefonaten Janukowitschs mit russischen Vertretern. Diese hätten die Gewalt gegen die Demonstranten lange vorbereitet, behauptete Poroschenko.
Janukowitsch „wird ewig in der Hölle braten“
Details über die Ermittlungen zum Tod der Demonstranten bei den Maidan-Protesten im Februar 2014 sind kaum bekannt. Manche behaupten, Janukowitsch habe den Befehl zum Schießen gegeben, um die Proteste niederzuschlagen. Andere meinen, die damalige Opposition habe die Gewalteskalation eingeleitet, um den Machtwechsel herbeizuführen.

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Der Maidan war vor einem Jahr Schauplatz blutiger Straßenschlachten
Janukowitsch flüchtete am 21. Februar aus der Hauptstadt und setzte sich nach Russland ab. Poroschenko forderte Moskau auf, Janukowitsch auszuliefern. „Ich zweifle nicht daran, dass er ewig in der Hölle braten wird, doch das ist bereits außerhalb der Gerichtsbarkeit der irdischen Justiz“, sagte Poroschenko und versprach einen ungebrochenen Freiheitskampf der Ukraine gegen die russische Aggression. Er warf Russland erneut eine Unterstützung der Separatisten im Osten des Landes vor. „2015 wird entscheidend bei der Errichtung eines neuen Staates“, sagte Poroschenko.
Blumen, Kerzen und Kreuze
Tausende Menschen versammelten sich am Freitag im Gedenken an die Opfer auf dem Maidan. Berge von roten Nelken und Rosen, Fotos der Opfer, Kreuze, Kerzen und Grabsteine ließen den Platz stellenweise wie einen Friedhof aussehen. „Helden sterben nicht“, skandierten die Menschen. Das Symphonieorchester spielte das „Requiem“ von Wolfgang Amadeus Mozart. Auch Regierungschef Arseni Jazenjuk nahm an der Gedenkfeier teil.

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Menschen trauern um die rund 100 Getöteten
„Ukrainisches Strafrechtssystems gescheitert“
Am Rande wurde aber auch Kritik laut. Dutzende Demonstranten riefen „Schande, Schande“ und pfiffen, als Poroschenko erschien. Sie werfen der Führung in Kiew vor, bei der Untersuchung der Todesschüsse auf dem Maidan mangelnden Aufklärungswillen zu zeigen. „Heute Abend wird unter den Leuten auf dem Maidan ein großer Teil derjenigen sein, die persönliche Verantwortung tragen für die Tötungen“, schrieb etwa der bekannte Ex-Maidan-Aktivist Alexander Daniljuk bei Facebook.
Es gebe weiterhin keine Gerechtigkeit „für jene, die getötet, verletzt und gefoltert wurden“, sagte John Dalhuisen von der Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Das zeige „das tiefe Scheitern des ukrainischen Strafrechtssystems“. Seit dem Machtwechsel vor einem Jahr ist Viktor Schokin in Kiew der mittlerweile dritte Generalstaatsanwalt. Er versprach, die Täter zu präsentieren.

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Der Platz gleicht stellenweise einem Friedhof
Der ehemalige Chef der militanten Kräfte des Maidan, Andrej Parubij, zeigte bei der Frage nach den Tätern auf Russland. „Auf dem Maidan haben russische Spezialeinheiten auf uns und die Berkut geschossen“, behauptete er in einem Interview mit der Agentur RBK-Ukraina. Geheimdienstchef Walentin Naliwaitschenko wurde noch deutlicher: Wladislaw Surkow, der Berater des Kreml-Chefs Wladimir Putin, habe die Scharfschützen selbst kommandiert auf dem Maidan. Beweise gibt es aber nicht.
Erneut gegenseitige Vorwürfe
Die Konfliktparteien im Donbass warfen sich unterdessen erneut gegenseitig Angriffe vor. Armeesprecher Andrej Lyssenko sagte in Kiew, russische Soldaten seien mit schwerer Technik in die Ukraine eingedrungen. Moskau hatte solche Beschuldigungen stets zurückgewiesen. Zur Versorgung der notleidenden Menschen unter anderem in Debalzewe schickte Russland erneut einen umstrittenen Konvoi ins Konfliktgebiet. Nach Angaben des Zivilschutzes in Moskau überquerten 30 Lastwagen mit insgesamt rund 200 Tonnen Hilfsmitteln die Grenze. Die Ukraine kritisiert die Transporte als Verletzung ihrer Souveränität und befürchtet, dass Russland Waffen liefern könnte.
Berlin und Paris beharren auf Minsker Abkommen
Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Francois Hollande forderten Russland und die Ukraine unterdessen mit Nachdruck auf, das vergangene Woche in Minsk geschlossene Friedensabkommen umzusetzen. Bei einem Treffen in Paris drohten sie Moskau mit neuen Sanktionen, sollten die prorussischen Separatisten in der Ostukraine wie zuletzt in Debalzewe gegen das Abkommen verstoßen. Die Aufständischen hatten die strategisch wichtige Stadt vor wenigen Tagen eingenommen.
Für eine weitere Deeskalation der Lage hatte Poroschenko eine internationale Friedensmission unter Führung der EU gefordert. Dem erteilte die EU-Kommission vorerst eine Absage. Er habe Poroschenko klargemacht, dass man sich auf die Umsetzung des Minsker Abkommens konzentrieren müsse, sagte EU-Kommissionsmitglied Johannes Hahn. Ähnlich äußerte sich der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier.
Zur Umsetzung des in der weißrussischen Hauptstadt Minsk vereinbarten Friedensplans treffen sich am Dienstag in Paris die Außenminister Deutschlands, Frankreichs, Russlands und der Ukraine. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) warnte vor einem Scheitern des Friedensprozesses.
Beratungen über neue EU-Sanktionen
EU-Ratspräsident Donald Tusk kündigte am Freitag neue Sanktionen an. „Wir erreichen eindeutig einen Punkt, an dem weitere diplomatische Bemühungen erfolglos sind, so lange sie nicht von weiteren Maßnahmen unterstützt werden“, sagte Tusk. Er werde deshalb mit den Staats- und Regierungschefs der EU über die nächsten Schritte beraten. Diese Schritte sollten die Kosten für die Aggression der Ostukraine erhöhen. Welchen Umfang weitere Sanktionen haben sollen und ob sie sich wie bisher gegen Russland und die prorussischen Separatisten richten, ließ er offen.
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