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Die Mühlräder der Zeitläufte

Nora Gregor war in den 20er und 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts ein gefeierter Bühnen- und Filmstar. Die Österreicherin starb jedoch nach dem Zweiten Weltkrieg verarmt und ausgestoßen im chilenischen Exil. Unpolitisch wollte Gregor Zeit ihres Lebens sein. Doch Politik und Liebe machten ihr einen Strich durch die Rechnung.

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2008 widmete ihr das Filmarchiv Austria einen Schwerpunkt bei der Viennale. Damals erschien auch ein ausführlicher Artikel über sie in der „Wiener Zeitung“, verfasst vom Nora-Gregor-Biografen Hans Kitzmüller, einem friulanischen Publizisten und Herausgeber. Er ist es, der Nora Gregor auch mit einem Buch, das im Vorjahr erschienen ist, erneut in Erinnerung ruft. Der Tatsachenroman „Weit weg von Wien“ erschien in Kitzmüllers Verlag Braitan, der sich ganz der literarischen und literaturhistorischen Erschließung des dreisprachigen Friaul widmet.

Dort, in Görz, wurde Nora Gregor 1901 in eine gutbürgerliche Familie geboren. Schon früh zog es sie zum Theater, aber es bedurfte immenser Anstrengungen, dem konservativen Vater die Erlaubnis zur Schauspielerei abzuringen. Schließlich ging sie nach Wien, wo sie als 20-Jährige im Renaissance-Theater erste Erfolge feierte. Von Beginn an hatte sie das Publikum auf ihrer Seite - und genauso die Fachwelt.

Nora Gregor und Paul Hartmann in "Maria Theresia und Friedrich II." von Hans Sassmann, 1934

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Nora Gregor und Paul Hartmann 1934 in „Maria Theresia und Friedrich II.“

Theater, Stummfilm und ein erster Skandal

Kitzmüller zitiert im Buch zahlreiche Kritiker mit ihren überschwänglichen Lobeshymnen. Gregors Kunst sei es gewesen, leise zu sprechen, dabei aber so eindringlich zu intonieren, dass man sie selbst auf den billigen Rängen noch hervorragend verstand. Ähnlich zurückgenommen und spannungsvoll war auch ihr Spiel, Gregor arbeitete in erster Linie mit den Augen. Davon kann man sich heute noch überzeugen, weil sie schon früh neben dem Theater auf den Stummfilm setzte.

Gregor galt als Inbegriff der Anmut, und das, obwohl sie im Laufe ihres Lebens genauso viele komische wie dramatische Rollen übernahm. Die Bühnen wurden rasch größer, ebenso die Filmrollen. Mit Max Reinhardt nahm sie die Salzburger Festspiele im Sturm, beim Film arbeitete sie mit Größen wie Carl Theodor Dreyer zusammen. 1924 wurde dessen Film „Michael“ mit Gregor in einer der Hauptrollen zum Skandal, wegen „homosexueller Tendenzen“.

Die Hollywood-Jahre

Nach einem Zwischenspiel in Deutschland verbrachte Gregor zwei Jahre in Hollywood und spielte mit Erfolg in einigen Produktionen mit. Der ganz große Durchbruch zum internationalen Star des noch jungen Tonfilms gelang ihr in dieser kurzen Zeit zwar nicht, aber es reichte, um ihren Ruhm in der Heimat zu steigern - wohl mit ein Grund, warum es sie schließlich 1933 zurück nach Wien zog. Dort folgten bis 1937 ihre Glanzjahre am Burgtheater - eine Zeit des unermesslichen Glücks für Gregor.

Kitzmüller versteigt sich nicht in Spekulationen - eine Gefahr, die bei einem Tatsachenroman stets groß ist. Es existieren zahlreiche Briefe, Tagebucheintragungen und Dokumente, anhand derer sich Gregors Lebensstationen und ihre Gefühlswelt rekonstruieren lassen. Der Roman ist nicht von ungefähr in der Ich-Form erzählt. Immer wieder hat Kitzmüller Passagen von Gregor-Texten übernommen, wie im Nachwort zu lesen ist. Unter dieser Quellentreue leidet der Text, er ist sprachlich mitunter etwas holzschnittartig geraten.

Puff-Eskapaden und Bürgerkrieg

Zusätzlich zur Sichtung des umfangreichen historischen Materials hat der Autor mit Zeitzeugen gesprochen und die Presse der damaligen Zeit studiert - auch die Klatschspalten. Gregor lieferte lange Zeit keine Skandale, sie lebte eher zurückgezogen, auch wenn sie dem erweiterten Freundeskreis rund um Alma Mahler-Werfel angehörte. Doch sie entschädigte die Society-Reporter ihrer Zeit für die ruhigen Jahre, indem sie ein Verhältnis mit dem verheirateten Dollfuß-Vizekanzler und Heimwehr-Führer Ernst Rüdiger Starhemberg einging.

Politik war ihr dabei egal - eine Naivität, die Gregor noch teuer zu stehen kommen sollte. Dass Starhemberg dem straff austrofaschistischen Flügel der Heimwehr zum Sieg verholfen hatte und im Bürgerkrieg 1934 für zahlreiche Todesfälle mitverantwortlich zeichnete, interessierte sie offenbar nicht. Die Eleganz, der Charme, die Männlichkeit, die Macht des „Fürsten“ jedoch zogen sie an. Doch Gregor hätte auch abseits der Politik gewarnt sein sollen. In Wien sprach man längst nicht mehr nur hinter vorgehaltener Hand über die Puff-Eskapaden Starhembergs.

Nora Gregor, 1937

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Nora Gregor bei der Hochzeit, links von ihr Bräutigam Ernst Rüdiger Starhemberg

Marcel Prawys Busenwitz

Im Buch wird ein Witz wiedergegeben, der laut Marcel Prawy damals in Wien kursierte und darauf anspielte, dass Gregor nie davor zurückschreckte, auf der Bühne ihre Brüste zu zeigen. Als Hintergrund muss man wissen, dass die Akustik auf der Galerie im Burgtheater als äußerst schlecht galt:

„Verstehst du den Werner Krauss?“ „Kein Wort!“ „Verstehst du den Raoul Aslan?“ „Kein Wort!“ „Verstehst du die Gregor?“ „Kein Wort. Ich verstehe nur den Fürsten Starhemberg.“

Flucht und Exil

1937 brachte Gregor ihren Sohn Heinrich zur Welt. Starhemberg ließ sich scheiden, heiratete Gregor und gab seine Funktionen in der Regierung Schuschnigg ab, weil er, als Anhänger eines österreichischen Faschismus italienischer Prägung, dessen Annäherung an Nazi-Deutschland vehement ablehnte. Während er mit seiner Frau einen ausgedehnten Urlaub in der Schweiz verbrachte, marschierten die Nazis in Österreich ein. Starhemberg wurde enteignet, er und Gregor wurden diffamiert, eine Rückkehr nach Österreich schien ausgeschlossen.

Im französischen Exil schloss Gregor noch einmal an ihre Erfolge an. Durch ihre Hauptrolle in Jean Renoirs „La Regle du Jeu“ (1939) ging sie endgültig in die Filmgeschichte ein, der Film gilt heute als Gregors größter Verdienst auf der Kinoleinwand. Und das, obwohl der Film ein Flop war. Zu sehr fühlten sich die Franzosen durch Renoirs Abrechnung mit dem Vorkriegsfrankreich auf den Schlips getreten. Als die Situation auch in Frankreich unhaltbar wurde, wanderte Gregor mit Heinrich über Portugal nach Argentinien aus. Starhemberg blieb noch zwei Jahre in Europa, um in den Britischen und den Freien Französischen Luftstreitkräften zu kämpfen, bevor er seiner Familie nachfolgte.

Buchcover "Weit weg von Wien"

Edizioni Braitan

Buchhinweis

Hans Kitzmüller: Weit weg von Wien. Braitan, 233 Seiten, 22 Euro.

Zum Weiterlesen gezwungen

Kitzmüllers Tatsachenroman arbeitet mit harten Schnitten. Ein paar Seiten handeln die aktiven Jahre ab, die nächsten dann das südamerikanische Exil, dann wieder retour und so weiter. Dadurch wird das Buch erst zum Roman. Als Leser fühlt man sich zum Weiterlesen gezwungen, weil man wissen will, was zu der Kluft zwischen der Euphorie der jüngeren Jahre und der schweren Depression der Mittvierzigerin führte. Gregor lebte nur noch in Erinnerungen.

Vollkommen verarmt war sie mit „Heini“ auf eine kostenlose Wohngelegenheit bei Freunden angewiesen. Auf die Rückkehr ihres Ernst fieberte sie hin, doch die Enttäuschung war groß. Schon nach der Begrüßung musste sie bemerken, wie abgestoßen er sich fühlte. Das war nicht mehr die jugendliche Diva, umgeben von der Aura des Burgtheaters, die er geliebt hatte. Das war eine abgekämpfte Frau, gezeichnet von Flucht und Armut, die auf den 50er zuging. Schon bald ging die Beziehung in die Brüche. Gregor zog weiter nach Chile, wo sie ihren letzten Film drehen sollte.

„Starb völlig zurückgezogen“

Am Leben hielt sie nur ihr Verantwortungsgefühl ihrem Sohn gegenüber. Gregor wurde regelrecht aufgefressen vor Sehnsucht nach Wien und vor Burgtheater-Nostalgie. Doch zur Rückkehr konnte sie sich auch nach Kriegsende nicht entschließen. Freunde rieten ihr ab, und das Burgtheater beschied ihr, schon genügend Frauen für Altersrollen zu haben. Die Heimwehrler-Starhemberg an der Burg? Niemals. Als Gregor am 20. Jänner 1949 nach einem Besuch bei Freunden über Herzschmerzen klagte und kurz darauf verstarb, schrieben die Wiener Zeitungen von „Selbstmord“.

Kitzmüller jedoch hält diese Variante für unwahrscheinlich. Zwar hinterließ Gregor einen bereits Monate davor - für alle Fälle - verfassten Brief an Heinrich, aber die Umstände sprachen gegen Suizid. Trotz akribischer Recherchen konnte er in Dokumenten keinen Hinweis auf eine Selbsttötung finden. Von einem „gebrochenen Herzen“ ist die Rede. Gregor geriet in Vergessenheit, weil sie auf dem Höhepunkt ihrer Karriere abtreten musste. Sie war zwischen die Mühlräder der Zeitläufte geraten.

Dem „Spiegel“ war sie nach ihrem Ableben nur einen einzigen Satz auf der „Personalien“-Seite wert: „Nora Gregor, ehemalige Reinhardt- und Burgtheater-Schauspielerin, die zweite Gattin des Fürsten Ernst Rüdiger von Starhemberg, starb völlig zurückgezogen in Los Leones bei Santiago de Chile.“

Simon Hadler, ORF.at

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