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Die gar nicht noble Nachbarschaft

Die Glastürme des Time Warner Center gehören zu der exklusivsten Adresse in New York. Doch zwei Drittel aller Wohnungen mit Blick auf den Central Park gehören Briefkastenfirmen. Stephanie Saul und Louise Story, zwei Journalistinnen der „New York Times“ („NYT“), haben sich das Geflecht um die Luxusherbergen genauer angesehen.

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Noch vor ein paar Jahren war der Columbus Circle im New Yorker Stadtteil Manhattan alles andere als eine angesagte Adresse. Die Gegend rund um das verlassene New York Coliseum war vielmehr Treffpunkt für Obdachlose und Drogensüchtige. Das Coliseum ist mittlerweile abgerissen, und auf dem Areal stehen seit 2004 die beiden 229 Meter hohen Zwillingstürme des Time Warner Centers inklusive Shoppingmall und Fünfsternehotel.

Mehr als 200 Briefkastenfirmen

Die 192 Wohnungen mit Blick auf den Central Park gehören heute zum Exklusivsten, was auf dem New Yorker Wohnungsmarkt derzeit zu haben ist. Doch die Besitzer bleiben immer öfter anonym. Wurde nach der Fertigstellung des Time Warner Center 2003 nur ein Drittel der Wohneinheiten von Briefkastenfirmen gekauft, waren es 2014 bereits über 80 Prozent. Mehr als 200 Scheinfirmen waren in den letzten zehn Jahren im Time Warner Center gelistet. Die wahren Eigentümer umgehen geschützt durch Namen wie „25CC ST74B L.L.C“ oder „Columbus Skyline L.L.C.“ unangenehme Steuerzahlungen oder transferieren gewaltige Geldsummen unter dem Radar der Behörden in die USA, wie die „NYT“ in aufwendiger Recherche darlegt.

Time Warner Center in New York

Corbis/Tetra Images/fotog

Die Türme des Time Warner Centers prägen die Skyline Manhattans

Wer im Time Warner Center wohnt, gehört zum Who’s who der New Yorker Gesellschaft. Die Bandbreite reicht von Topmanagern, Filmstars, Anwälten bis hin zu Wall-Street-Spekulanten. Daneben findet sich auch eine wachsende Zahl an ausländischen Käufern, die sich aus unterschiedlichen Gründen hinter undurchsichtigen Firmenkonstrukten verbergen. Laut „NYT“-Recherche gehören mittlerweile 37 Prozent der Wohnungen Besitzern mit ausländischem Pass - wovon mindestens 16 schon einmal mit der Justiz in Konflikt geraten sind.

Dunkle Machenschaften hinter der Luxusfassade

Die Vorwürfe reichen dabei von Amtsmissbrauch über Umweltvergehen bis hin zu Finanzdelikten. Vier Eigentümer an der Nobeladresse 59th Street und Broadway wurden schon einmal verhaftet, vier weitere wurden wegen illegaler Aktivitäten zu Strafen verurteilt. Zudem haben viele enge Verbindungen zu Regierungen oder politischen Entscheidungsträger in ihren Heimatländern Russland, Kolumbien, Malaysia, China, Kasachstan und Mexiko.

Wie gut es die Bewohner hinter der dunklen Glasfassade des Time Warner Centers verstehen, ihre Spuren zu verwischen, lässt sich gut am Appartement 68AF zeigen. Die Wohnung mit fünf Marmorbädern und einem 50 Quadratmeter großen Wohnzimmer im Südturm wurde 2012 für 19,4 Mio. Dollar (15,4 Mio. Euro) von NYC Real Estate Opportunities, einer Firma aus Delaware mit einer Adresse in Singapur, gekauft.

Indisches Häuslbauergeld in New York versickert

Der wahre Besitzer war so gut verschleiert, dass die „NYT“-Journalistinnen Saul und Story hellhörig wurden und tiefer zu graben begannen. Doch erst ein Foto auf Facebook führte die Journalistinnen auf die richtige Spur. Der Sohn des indischen Immobilienspekulanten Kabul Chawla hatte ein Bild von dem 360 Quadratmeter großen Appartement mit dem fantastischen Blick über ganz Manhattan gepostet. Doch Chawla dementierte, Eigentümer der Luxusimmobilie zu sein, vielmehr würde sie seinem Cousin gehören, ließ er der „NYT“ ausrichten.

In Unterlagen in denen es um eine ausständige Maklergebühr ging, wurden Saul und Story dann fündig. Die Anwältin, die den neuen Besitzer vertrat, erwähnte in einer E-Mail den Vornamen ihres Mandanten: Kabul. Nur ein Zufall? Auch wenn sich der Name in keinem offiziellen Dokument wiederfindet, gehen die Journalistinnen davon aus, dass eigentlich Chawla die 19,4 Mio. Dollar für seinen Zweitwohnsitz in New York gezahlt hat.

Dass er sein Luxusleben mehr als 10.000 Kilometer von seiner Heimat Indien entfernt nicht an die große Glocke hängen will, ist ebenfalls mehr als verständlich. Ihm wird vorgeworfen, Tausende gutgläubige Immobilienkäufer in Neu-Delhi geprellt zu haben, indem er günstige Wohnungen und Büros versprach, die jedoch nie fertiggestellt wurden. Die Anzahlungen dafür wurden zum Teil nie zurückgezahlt. Mehrere Verfahren gegen Chawlas Unternehmen BPTP wurden aber bisher ergebnislos eingestellt.

Zweifelhafte Nachbarschaft

Auch die Recherchen zu Appartement 74B lesen sich spannend. Die Wohnung im 74. Stock wurde 2010 für 15,6 Mio. Dollar von der Briefkastenfirma mit dem kryptischen Namen 25CC ST74B L.L.C gekauft. Die Spur führt zur Familie von Vitali Malkin, einem ehemaligen russischen Abgeordneten und Banker, der wegen mutmaßlicher Verbindungen zum organisierten Verbrechen Einreiseverbot in Kanada hat.

Auf dem gleichen Stockwerk wurde im vergangenen Herbst für 21,4 Mio. Dollar eine Wohnung verkauft - ebenfalls an eine Briefkastenfirma. Diese Firma agierte im Namen von Dimitrios Contominas, einem griechischen Geschäftsmann, der wegen Korruptionsvorwürfen vor einem Jahr verhaftet wurde. Doch das Prunkstück im ganzen Komplex ist das Penthouse im Nordturm - Appartement 76B. Einst Liebesnest des US-Musikerpaares Jay-Z und Beyonce, zahlte eine Briefkastenfirma vor vier Jahren 30,5 Mio. Dollar in bar für die knapp 480 Quadratmeter große Wohnung - und machte sie damit zur teuersten Immobilie im ganzen Time Warner Center.

Malaysischer Premier in der Luxusfalle

Die Fäden führen zu einer der schillerndsten Figuren in der New Yorker Partyszene, dem malaysischen Finanzier Jho Low. Er ist vor allem für seine engen Verbindungen zum malaysischen Premierminister Najib Razak bekannt. Gemeinsam mit dessen Stiefsohn, Riza Aziz, wickelte Low bereits einige lukrative Immobiliengeschäfte in den USA ab, selbstverständlich immer getarnt durch ein dichtes Geflecht an Briefkastenfirmen. Woher Najibs Familie die Millionen dafür hat, interessiert mittlerweile auch die malaysische Öffentlichkeit.

Zuletzt sorgte Najib Ehefrau Rosmah mit ihrem Hang zu sündteuren Handtaschen für Schlagzeilen. In Sozialen Netzwerken tauchten Bilder von ihr mit neun verschiedenen Modellen der legendären „Birkin“-Handtasche auf, jede kostet zwischen 9.000 und 150.000 Dollar. Da lag die Frage nahe, wie sich der Premier mit einem Jahresgehalt von 100.000 Dollar die teure Leidenschaft seiner Gattin leisten kann. Er erklärte sein Luxusleben mit dem vagen Hinweis auf eine Erbschaft. Im Time Warner Center ist Najibs Familie auf jeden Fall in guter Gesellschaft. Denn mit Syed Mokhtar al-Bukhary wohnt dort auch ein guter Freund der Familie und generöser Unterstützer von Najibs Partei.

Behörden auf beiden Augen blind

Doch auch die USA würden wegsehen, wenn Milliarden Dollar über den Immobilienmarkt ins Land fließen, kritisiert Raymond Baker, Präsident von Global Financial Integrity, einer Non-Profit-Organisation in Washington gegenüber „NYT“. „Wir lieben das Geld. Und wir sind über dessen Herkunft nicht annähernd so kritisch, wie wir sein sollten.“ Städte wie New York oder Los Angeles buhlten in den letzten Jahren regelrecht um Superreiche. „Wenn wir jeden Millionär der Welt dazu bewegen könnten, nach New York zu ziehen, wäre das ein Geschenk des Himmels“, sagte der ehemalige New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg 2013 in einem Radiointerview.

Noch in den 1970er Jahren waren Briefkastenfirmen in den USA so gut wie unbekannt. Heute gehören sie in der Immobilienbranche zum guten Ton. Bezahlt werden die Millionenbeträge meist „cash“ - um keine Hinweise auf mögliche illegale Konten zu liefern. Auch fallen Briefkastenfirmen nicht unter die strengen Bankenregeln, die eine genaue Herkunft großer Geldmengen vorschreiben.

Als im Zuge der Anschläge vom 11. September 2001 eine strengere Prüfung von Geldflüssen aus dem Ausland diskutiert wurde, ging ein Aufschrei durch die Immobilienbranche. Eigentümernachweise seien sehr umständlich, argumentierte der Versichererverband American Land Titel Association. Und außerdem sei das Risiko von Geldwäsche bei Immobilienkäufe im Vergleich zu anderen Finanzkonstrukten dann doch relativ klein.

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