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Premierentermin vor erstem Filmschnipsel

Der Ausspruch von Oscar Wilde, dass eher das Leben die Kunst nachahmt als umgekehrt, findet manchmal eine allzu wörtliche Entsprechung. Das war auch bei den Dreharbeiten zu „Whiplash“ der Fall, bis hin zum Autounfall von Drehbuchautor und Regisseur Damien Chazelle, der ihn - genau so wie im Film den Jungschlagzeuger Andrew (Miles Teller) - nicht vom Weitermachen abhalten konnte.

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Vor allem aber ist die Entstehungsgeschichte von „Whiplash“ eine von künstlerischem Durchbruch wider alle Wahrscheinlichkeiten. Man stelle sich nur vor: Ein Film über Jazz von einem 27-Jährigen, und dann noch dazu ohne die üblichen Klischees, die bei Kinogehern zumindest bestens eingeführt sind? Reinstes Kassengift. Zwei Jahre nachdem alle Produzenten so dachten, hat der Film noch vor seinem Start außerhalb Nordamerikas seine geringen Herstellungskosten doppelt eingespielt und fünf Oscar-Nominierungen bekommen.

Seit Jahren Getuschel über Script

Chazelle hatte schon seit einigen Jahren für einiges Getuschel gesorgt. Das Script zu „Whiplash“ fand sich schon 2012 auf der „schwarzen Liste“ von Produzent Franklin Leonard, der alljährlich im Dezember veröffentlichten Insider-Gerüchtebörse über die tollsten Drehbücher, die noch zu haben sind. Chazelle, der zu dieser Zeit bereits ein Drehbuch verkauft und an dessen Umsetzung gelitten hatte („Grand Piano“), nahm die Sache selbst in die Hand und bediente sich dafür äußerst unorthodoxer Mittel.

Wie Werbeagenturen bei Kampfpräsentationen filmte Chazelle eine Kurzversion von „Whiplash“, die er als Skizze 2013 auf dem maßgeblichen US-Independent-Festival von Sundance vorführte. Schon dieser Kurzfilm hatte den auch jetzt tonangebenden J.K. Simmons in der Rolle des Lehrers. Mit der „Studie“ zu dem Film wollte Chazelle Produzenten überzeugen, dass er das Projekt stemmen und sein eigenes Drehbuch selbst verfilmen kann. Das neuartige Konzept funktionierte: Die Aufführung in Sundance brachte ihn ins Gespräch.

Zehn Wochen zwischen Idee und Premiere

Das spröde Thema, Chazelles hohe technische Ansprüche und die weiterhin bestehende Skepsis von Produzenten gegenüber dem Greenhorn ließen jedoch Zeit verstreichen. Grünes Licht für das Projekt gab es kaum drei Monate vor dem Sundance-Festival 2014. Einerseits hatte sich Chazelle aber in den Kopf gesetzt, dass der „echte“ Film ein Jahr nach dem Konzept in Premiere feiern sollte - und andererseits war er klug genug, um auf Simmons in der tragenden Rolle des Films zu bestehen. Der war aber wenig später schon wieder verplant.

In einer kollektiven Kraftanstrengung beschlossen Chazelle und das gesamte Filmteam, dass der noch nicht vorhandene Film zehn Wochen später auf dem Sundance-Festival laufen sollte. Die folgenden 70 Tage dürften laut Schilderungen aus dem Team eine gewisse Ähnlichkeit zum Filmszenario gehabt haben: Miles Teller als Jungschlagzeuger musste sich demnach etwa im Haushalt von Chazelle einquartieren und jeden Tag vor Beginn der Dreharbeiten unter dessen Aufsicht vier Stunden Schlagzeug üben.

Empfehlung für höhere Weihen

Die eigentlichen Dreharbeiten dauerten nur 19 Tage - für einen knapp zweistündigen Film mit einigermaßen hohem technischen Aufwand eine logistische Glanzleistung. Insgesamt kostete das Projekt ziemlich genau drei Millionen Dollar (2,6 Mio. Euro). Chazelle erklärte, er habe den Film einfach wie die Partitur für eine Big Band behandelt und jeden Part vorher mit detailliertesten Storyboards genau festgelegt. Zum Vergleich: Der heurige Oscar-Mitbewerber „Birdman“ verbrauchte rund das Siebenfache an Budget, bei ebenfalls knapp kalkulierten 30 Tagen Drehzeit.

Allein schon die äußerst effiziente - und sparsame - Arbeitsweise von Chazelle empfiehlt ihn für höhere Weihen in Hollywood. Zudem hat er bewiesen, dass er unter Druck nicht einknickt: „Whiplash“ feierte tatsächlich letztes Jahr bei Sundance Premiere und bekam gleich den großen Preis und den Publikumspreis. Seither regnet es weiter Preise für den Film und vor allem Simmons in der Rolle des maliziösen Musikpädagogen Terence Fletcher. In der Oscar-Nacht könnten bis zu fünf weitere Preise für „Whiplash“ dazukommen.

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