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Auch Gräueltaten aufgezeichnet

Amnesty International (AI) hat der dschihadistischen Terrorgruppe Boko Haram schwere Verbrechen während eines blutigen Angriffs auf die Stadt Baga im Nordosten von Nigeria vorgeworfen. Die Kämpfer hätten unter anderem eine Schwangere während der Entbindung erschossen, erklärte die Menschenrechtsorganisation zuletzt unter Berufung auf einen Augenzeugen.

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Boko Haram hatte am 3. Jänner Baga und umliegende Ortschaften angegriffen. Nach Einschätzung von AI wurden dabei mehrere hundert Menschen ermordet. Amnesty veröffentlichte auch mehrere Satellitenbilder, bei denen es sich um Aufnahmen von Baga und Umgebung handeln soll. Amnesty schätzt, dass im Zuge der Angriffe mehr als 3.700 Gebäude beschädigt oder komplett zerstört wurden.

Örtliche Vertreter hatten bereits erklärt, dass Baga sowie mindestens 16 umliegende Siedlungen zerstört und 20.000 Menschen zur Flucht gezwungen worden seien. „Einer der Orte wurde in vier Tagen fast komplett von der Landkarte gelöscht“, sagte Amnestys Nigeria-Experte Daniel Eyre. 

Satellitenbild von Doro Baga in Nigeria

Amnesty International/DigitalGlobe

Die von AI veröffentlichten Bilder zeigen Baga und Umgebung vor und nach dem Boko-Haram-Angriff

HRW: Satellitenbilder kommen Wahrheit am nächsten

Zu den Toten gibt es keine bestätigten Angaben, Beobachter gehen davon aus, dass die wahre Opferzahl wohl nie ermittelt wird, da Baga abgeschottet ist und unter der Kontrolle der Extremisten steht. Die nigerianische Armee sprach in dieser Woche von 150 Toten bei den Angriffen und bezeichnete kursierende Schätzungen von bis zu 2.000 Opfern als „sensationsgetrieben“. Die gegen Boko Haram kämpfende Armee neigt indes dazu, die Opferzahl als zu niedrig anzugeben.

Auch die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) analysierte Satellitenbilder von Baga und sprach von einem erschreckenden Ausmaß der Zerstörung. Eine Schätzung zur Zahl der Opfer in der abgelegenen und weiterhin umkämpften Region sei kaum möglich, "der seriöse Einsatz von Satellitenbildern ist das, was der Wahrheit momentan am nächsten kommt". Die nigerianischen Streitkräfte versuchen derzeit, Baga und den eingenommenen Militärstützpunkt in Doron Baga zurückzuerobern.

AI spricht von Kriegsverbrechen

AI sprach im Falle Bagas von der „größten und zerstörerischsten Attacke", die Boko Haram je ausgeführt habe. "Er stellt einen absichtlichen Angriff auf die Zivilbevölkerung dar, deren Häuser, Kliniken und Schulen jetzt bis auf die Mauern ausgebrannt sind“, sagte Eyres. Die „Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verlangen eine Untersuchung“, so Eyres. Boko Haram will in Teilen des Landes ein „Kalifat“ errichten. Der Angriff vom Jänner galt offenbar zivilen Selbstverteidigungsmilizen, die das Militär im Kampf gegen die Gruppe unterstützen.

Karte von Nigeria

APA/ORF.at

Junge Mädchen als Geiseln genommen

AI veröffentlichte mehrere Zeugenaussagen, die das brutale Vorgehen der Kämpfer dokumentierten. Nach Aussage einer Zeugin nahmen die Terroristen in Baga auch viele junge Frauen als Geiseln. Boko Haram hat mehrfach Mädchen und junge Frauen entführt, um sie zwangsweise zu verheiraten oder als Sklaven zu halten. Die Entführung von über 200 vorwiegend christlichen Schülerinnen aus dem Ort Chibok führte im vergangenen Jahr zu einem internationalen Aufschrei. Von den Mädchen fehlt jedoch weiter jede Spur.   

Tagelang versteckt

Ein Bewohner berichtete, dass eine Schwangere erschossen wurde, als sie gerade ihr Kind zur Welt brachte. „Das Baby, ein Bub, war schon halb geboren“, sagte er, „in dieser Position ist sie gestorben.“ Auch seien viele Kinder von den Kämpfern getötet worden.

Ein rund 50-jähriger Zeuge erzählte, er habe allein in Baga hundert Tote gesehen. „Ich bin in den Busch gerannt“, erzählte er Amnesty. „Und während wir rannten, haben sie weiter geschossen und gemordet.“ Ein anderer Bewohner versteckte sich erst drei Tage lang, dann floh er fünf Kilometer durch den Busch. Überall seien Leichen gelegen, sagte er. Die Namen der Zeugen nannte Amnesty nicht

Boko Haram kämpft seit rund sechs Jahren für die Errichtung eines Gottesstaats im mehrheitlich muslimischen Norden des Landes. Baga lieht im nordöstlichen Teilstaat Borno. Mitte Februar finden in dem Land zudem Parlaments- und Präsidentschaftswahlen statt. Die neue Welle der Gewalt gilt auch als Versuch, diese Wahlen zu gefährden.

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