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Terror soll Regierende bloßstellen

Das bevölkerungsreichste Land Afrikas droht auseinanderzubrechen. Die radikalislamische Terrororganisation Boko Haram kontrolliert inzwischen weite Landesteile im Nordosten Nigerias. Die Regierung in Abuja wirkt angesichts immer neuer Schreckensmeldungen über Anschläge, Entführungen und tödliche Angriffe der Gruppe völlig hilflos.

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Präsident Goodluck Jonathan konzentriert sich offenbar ganz darauf, seine Wiederwahl in wenigen Wochen zu sichern. Doch Experten warnen, dass die Spannungen zwischen Muslimen und Christen in dem ölreichen Land nach der Wahl Mitte Februar noch weiter eskalieren könnten. Jonathan, in dessen Amtszeit seit 2010 der Boko-Haram-Terror eskalierte, versucht vor der Wahl, die Verantwortung von sich zu weisen.

Präsident will nicht über Tote reden

In einer Rede zum offiziellen Wahlkampfauftakt vorige Woche wies Jonathan der Zeitung „Premium Times“ zufolge dem Oppositionskandidaten Muhammadu Buhari, der das Land von 1983 bis 1985 als Militärmachthaber regierte, die Schuld für die schlechte Ausrüstung der überforderten Streitkräfte zu. Die Berichte über offenbar Hunderte Todesopfer bei Angriffen der Terroristen im Norden des eigenen Landes in den vergangenen Tagen erwähnte er dem Bericht zufolge gar nicht, er verurteilte einzig den Terroranschlag in Paris.

Vor der Wahl am 14. Februar zeichnet sich ein knappes Rennen zwischen Jonathan aus dem mehrheitlich christlichen Süden und Buhari aus dem muslimischen Norden ab. Das Risiko gewaltsamer Ausschreitungen ist dabei „besonders hoch“, befürchtet der Thinktank International Crisis Group. Falls beide Seiten den Wahlsieg für sich beanspruchen sollten, „könnte es nach der Wahl zu gewaltsamen Ausschreitungen zwischen den Anführern im Norden und ihren Gegenspielern im Niger Delta kommen“. Bei Unruhen nach der letzten Wahl 2011 kamen mehr als 1.000 Menschen ums Leben.

Noch mehr Terror nach der Wahl?

Wenn das Land durch eine umstrittene Wahl weiter destabilisiert wird, befürchten viele eine erneute Offensive der Boko Haram im Norden, wo die Gruppe einen Gottesstaat errichten will. Die Zahl der Anschläge und militärischen Angriffe von Boko Haram schnellte im Laufe des vergangenen Jahres bereits rasant in die Höhe, nachdem die Regierung Ende 2013 das Kriegsrecht in den drei am meisten betroffenen nördlichen Staaten ausgerufen hatte.

Schätzungen gehen davon aus, dass bei Anschlägen der sunnitisch-extremistischen Terrororganisation allein 2014 mehrere tausend Menschen getötet wurden. Bei weiteren Angriffen in den vergangenen Tagen unter anderem auf die Stadt Baga starben vermutlich Tausende Zivilisten. Die Gewalt zwang laut dem UNO-Flüchtlingshilfswerk mehr als 650.000 Menschen im Norden des Landes zur Flucht in andere Regionen.

Schulmädchen seit Monaten verschollen

Zehntausende flohen zudem vor den Terroristen in die Nachbarländer - in den Niger, nach Tschad und nach Kamerun. Die sunnitischen Terroristen haben den Konflikt ihrerseits inzwischen auch über Nigerias Landesgrenzen hinaus ausgeweitet. In den vergangenen Monaten hat die Gruppe tödliche Angriffe auf grenznahe Orte im Tschad und vor allem in Kamerun ausgeführt.

In den Blick der internationalen Gemeinschaft geriet der Terror der Gruppe im April, als Boko Haram im Dorf Chibok mehr als 200 überwiegend christliche Schülerinnen entführte. Selbst Prominente wie Amerikas First Lady Michelle Obama und die Schauspielerin Angelina Jolie beteiligten sich an einer Kampagne namens „Bring Back Our Girls“ (Bringt unsere Mädchen zurück). Doch von den Mädchen fehlt noch immer jede Spur.

Im Dezember wurden Berichten zufolge erneut rund 170 Menschen von Boko Haram entführt. Den Versprechungen der beiden Präsidentschaftskandidaten, den Kampf gegen Boko Haram nach der Wahl mit Nachdruck fortzuführen, schenken die Menschen in den vom Terror heimgesuchten nordöstlichen Staaten kaum noch Glauben.

Jürgen Bätz, dpa

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