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„Peak Food“ ist das neue „Peak Oil“

In Anlehnung an den Begriff des „Peak Oil“ - jenem Zeitpunkt, ab dem sich Ölförderung nicht mehr steigern lässt - spricht eine Forschergruppe nun vom absehbaren „Peak Food“. Zahlreiche Grundnahrungsmittel und Schlüsselressourcen haben einer Studie zufolge ihren Gipfel bereits überschritten. Die Produktion verliert - wiewohl noch im Wachstum - bereits an Schwung.

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Wissenschaftler der Michigan State University, des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) und der Yale University untersuchten die Produktions- und Förderraten von 27 global erneuerbaren und nicht erneuerbaren Schlüsselressourcen für die Ernährung. Dabei fanden sie heraus, dass die Produktions- und Förderraten meist nicht mehr mit dem anhaltend starken Bevölkerungswachstum mithalten können - die „Peak Food“-Ära habe begonnen.

Das Produktionswachstum von 21 vornehmlich nachwachsenden Rohstoffen wie Mais, Reis, Sojabohnen und Weizen verliere bereits an Schwung - mit potenziell desaströsen Konsequenzen für die Welternährung. Die exemplarisch genannten Güter machen laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) rund 45 Prozent der weltweiten Kalorienzufuhr aus. Betroffen sind der neuen Studie zufolge auch wichtige Tiererzeugnisse wie Fisch, Fleisch, Milch und Eier.

Grafik zur Nahrungsmittelproduktion

ORF.at/Ecology and Society

Jahre der maximalen Ertragszunahme

„Die wichtigsten Güter sind limitiert“

„Die wichtigsten Güter, die der Mensch für die Ernährung braucht und ernten muss, sind limitiert“, schreibt etwa Ralf Seppelt, Leiters des UFZ-Departments Landschaftsökologie. Die höchste Zuwachsrate bei der Kultivierung von Ackerflächen machten die Forscher in den 1950er Jahren aus. Ende der 1970er Jahren folgte dann der Peak für künstlich angelegte Bewässerungsflächen und 1983 für Stickstoffdünger.

Entscheidende Steigerungsmöglichkeiten zur Intensivierung des Anbaus sehen die Forscher nicht mehr. „Durch bessere Zuchtmethoden und gentechnisch veränderte Organismen erwarten Experten bei manchen Ressourcen in Zukunft noch eine Ertragssteigerung von ein bis zwei Prozent pro Jahr“, so Studienautor Seppelt. Danach werde es aber eng. Man müsse „akzeptieren, dass auch nachwachsende Rohstoffe an ihre globale Ertragsgrenze kommen“.

Alarmierende Synchronizität

Laut der kürzlich im Wissenschaftsmagazin „Ecology and Society“ präsentierten Studie wurde der Peak der meisten untersuchten Ressourcen bereits vor fünf bis 30 Jahren erreicht. Bei 16 von 20 lag dieser zwischen den Jahren 1988 und 2008 - in der Geschichte der Menschheit ein sehr enges Fenster: für Mais 1985, Reis 1988, Eier 1993, Milch und Weizen 2004 und Hühnerfleisch 2006. Dass die Zeitpunkte in vielen Fällen relativ knapp beieinanderliegen, ist für die Studienautoren besonders alarmierend.

Das Prinzip der Substitution - man ersetze einfach ein Produkt durch ein anderes - greife nicht, heißt es in der Studie weiter. „Wenn mehrere Ressourcen sich (nahezu zeitgleich, Anm.) dem Ende zuneigen, haben wir ein Problem“, wird der US-Nachhaltigskeitsforscher und Studienmitautor Jianguo „Jack“ Liu im britischen „Independent“ (Donnerstag-Ausgabe) zitiert. Für Seppelt ist die weltweite Zunahme der Bevölkerung vor allem in Indien und China wesentlicher Treiber dieser Entwicklung. Folglich erhöhe sich die Nachfrage nach wachsenden Ressourcen und damit der Druck, möglichst viele Nahrungsmittel zu produzieren.

Ausnahme Aquakulturen

Ein Bereich, der sich nach wie vor im starken Wachstum befindet, ist jener der - wegen seiner weitreichenden negativen Implikationen allerdings umstrittenen - Aquakulturen. Bei den Fischfangmengen aus Aquakulturen wurde noch kein Peak festgestellt. Dafür könnte die Wildfischpopulation, die zur Fütterung der Zuchtfische dient, kollabieren - das wiederum würde das Ende zahlreicher Aquakulturen bedeuten.

Der Autor Casson Trenor plädierte als Kämpfer für nachhaltige Fischerei gegenüber dem Kultur- und Wissenschaftsmagazin „Smithsonian“ an die wohlhabende Bevölkerung, den Fischverzehr einzuschränken. Der Proteinlieferant müsse vor allem mit den Armen in einigen Weltregionen, die auf den Fischverzehr alternativlos angewiesen seien, geteilt werden - laut Trenor betrifft das ungefähr 1,5 Milliarden Menschen. Trenor wie auch der Leiter der California Academy of Sciences, Jonathan Foley, befürchten soziale Unruhen in den Entwicklungsländern infolge von zu erwartenden Lebensmittelknappheiten.

Handlungsspielraum „geringer als bei Öl“

Seppelt verweist auf die jahrelang heiß diskutierte und wissenschaftlich nicht unumstrittene „Peak Oil“-Krise, die, wie es lange hieß, angeblich unmittelbar bevorstünde, sich bisher allerdings nicht eingestellt hat. Bei der Nahrungsmittelproduktion sei der Handlungsspielraum geringer, so der deutsche Wissenschaftler gegenüber „Smithsonian“: „Wir glauben nicht, dass der Peak verzögert werden kann.“ Stattdessen solle man sich auf Produkte konzentrieren, die noch nicht an ihr Limit gelangt seien. Der Mensch müsse zudem effizienter mit Dünger und Wasser umgehen.

Für Foley hängt die Gewährleistung, die Weltbevölkerung in Zukunft ernähren zu können, an einer erheblichen Reduktion des Fleischkonsums. Seiner Rechnung nach müsse sich die Nahrungsmittelproduktion angesichts des prognostizierten Bevölkerungswachstums in Zukunft verdoppeln - für die Studienautoren ein Ding der Unmöglichkeit. Seppelt und Foley sind sich in ihrem Resümee einig: Der Mensch müsse weniger verschwenderisch mit den limitierten Rohstoffen umgehen, er müsse lernen, weniger wegzuwerfen und seine Ernährungsgewohnheiten ändern.

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