Emotionale Rückkehr bei Gedenkfeier
„Nie wieder Auschwitz.“ Das war der Grundtenor der bewegenden Gedenkfeier anlässlich des 70. Jahrestages der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers in Auschwitz-Birkenau am Dienstag. Rund 50 Staats- und Regierungschefs nahmen teil. Im Mittelpunkt standen 300 KZ-Überlebende.
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Im ehemaligen KZ waren in den Jahren 1940 bis 1945 etwa 1,1 Millionen Menschen ermordet worden, die meisten von ihnen Juden. Sowjetische Soldaten befreiten das Lager am 27. Jänner 1945. Am Dienstag legten Überlebende bereits in der Früh vor der „Todeswand“ im Stammlager, an der im Zweiten Weltkrieg Tausende Menschen erschossen worden waren, Blumen nieder und entzündeten Kerzen.

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Mit einer bewegenden Zeremonie wurde am Dienstag in Auschwitz der Befreiung des NS-Konzentrations- und Vernichtungslagers vor 70 Jahren gedacht
Die zentrale Gedenkfeier im ehemaligen KZ unter Leitung des polnischen Präsidenten Bronislaw Komorowski fand am späten Nachmittag statt. Komorowski sagte: „Die deutschen Nationalsozialisten haben meine polnische Heimat zum ewigen jüdischen Friedhof gemacht. Hier in Auschwitz war die Hölle auf Erden, erfüllt von Hass und Gewalt.“
Überlebender: „Toleranz und Verständnis lehren“
Drei Überlebende legten Zeugnis ab, Halina Birenbaum, Kazimierz Albin und Roman Kent. „Erinnern ist nicht genug“, sagte Kent unter Tränen. „Wir müssen unsere Kinder Toleranz und Verständnis lehren.“ Hass sei niemals richtig. „Und Liebe niemals falsch.“
Überlebende wie er könnten das in Auschwitz Geschehene niemals vergessen, sagte Kent. „Die Schreie der ermordeten Kinder klingen in meinen Ohren, bis ich sterbe. Die Unmenschlichkeit von damals ist in meine Erinnerung gemeißelt. Diese Erlebnisse halten uns wach bis ans Ende unserer Tage.“ Kent, dem bei seiner Rede stellenweise die Stimme versagte, sagte weiters: „Wenn ich könnte, würde ich ein elftes Gebot verfügen: Du sollst kein unbeteiligter Zuschauer sein.“

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Ein KZ-Überlebender bei der Kranzniederlegung
Tränenreiche Erinnerungen
Bei der Gedenkfeier vor dem „Todestor“ von Auschwitz mit den beleuchteten Gleisen der Deportationszüge zur Rampe, wo täglich Tausende Menschen in die Gaskammern geschickt wurden, zeigten auch viele andere der Überlebenden Zeichen der Rührung. Als ein ehemaliger Auschwitz-Häftling nach dem jüdischen Totengebet Kaddisch das El Male Rachamim, das Gebet für die Opfer der Schoah, sang, flossen bei manchen der hochbetagten ehemaligen Häftlinge die Tränen.
Ronald Lauder, der Präsident des Jüdischen Weltkongresses (WJC), warnte eindringlich vor einem neuen Antisemitismus. „Lasst das niemals wieder geschehen“, sagte er. Auch heute würden Juden angegriffen, „in Paris, Budapest, London, sogar Berlin“. Der neue Antisemitismus entstehe oft im Nahen Osten. „Aber er findet fruchtbaren Boden rund um die Welt.“
Fischer: „Auschwitz ist ein Symbol des Bösen“
Österreich war bei der Gedenkfeier durch Bundespräsident Heinz Fischer, Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) und die grüne Vizepräsidentin des Europaparlaments, Ulrike Lunacek, vertreten. Fischer bezeichnete den Namen Auschwitz-Birkenau in einer Aussendung als „Symbol und zentralen Ort des Bösen und als eine unauslöschliche Schande“ und plädierte dafür, „jene Institutionen zu stärken, die sich für die Achtung der Menschenrechte und Würde jedes Einzelnen einsetzten“. In Wien fand eine Gedenkfeier auf dem Heldenplatz statt - mehr dazu in oesterreich.ORF.at.

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Bundespräsident Fischer legte im ehemaligen KZ Auschwitz einen Kranz nieder
Zu einer Umfrage, nach der sich eine Mehrheit der Österreicher für einen „Schlussstrich“ unter das Kapitel Zweiter Weltkrieg ausgesprochen hatte, sagte Fischer im Studiogespräch mit der ZiB2 am Dienstagabend, er sei eindeutig der Meinung, dass Verantwortung „nicht zeitlich befristet werden kann. Daher kann es auch keinen Schlussstrich geben“. Das Thema „wird uns noch lange beschäftigen“.
Der Satz des deutschen Präsidenten Joachim Gauck („Es gibt keine deutsche Identität ohne Auschwitz“), sei auch für Österreich richtig, befand Fischer - mit einem Unterschied: In Deutschland sei von Anfang an klar gewesen, dass es eine Täterverantwortung gegeben habe. Österreich habe sich lange vor allem in der Opferrolle gesehen.
Internationale Warnungen vor „Schlussstrich“
Mehrere internationale Politiker warnten am Dienstag auf anderen Gedenkfeiern davor, einen Schlussstrich unter das Thema Auschwitz zu setzen. „Die Erinnerung an den Holocaust bleibt eine Sache aller Bürger, die in Deutschland leben. Er gehört zur Geschichte dieses Landes", sagte Gauck. Der französische Präsident Francois Hollande verurteilte am Schoah-Mahnmal in Paris jeglichen Antisemitismus als „Plage“. Er versprach zugleich, dass sein Land die etwa 76.000 deportierten französischen Juden nie vergessen werde.
US-Präsident Barack Obama warnte vor einem wachsenden Antisemitismus. Dabei verwies er auf die jüngsten Terrorangriffe in Paris, bei denen auch Juden getötet wurden. Die Morde mahnten schmerzhaft zur Verpflichtung, Antisemitismus in all seinen Formen zu bekämpfen. Dazu gehöre auch eine „Trivialisierung des Holocausts“.
Putin warnt vor Streben nach Weltherrschaft
Der russische Präsident Wladimir Putin, der bei der Gedenkfeier in Auschwitz nicht dabei war, zündete bei einer Gedenkfeier im Jüdischen Museum in Moskau mit Oberrabbiner Berel Lazar schwarze Kerzen an. Putin würdigte dabei auch den großen Beitrag des jüdischen Volkes im Kampf gegen den Faschismus. Eine halbe Million Juden hätten in der Roten Armee gekämpft, fast 200.000 seien gefallen.
Putin nahm auch zum anhaltenden Konflikt zwischen Moskau und Kiew Stellung und forderte eine Rückbesinnung auf internationale Zusammenarbeit. „Die Gefahr eines Strebens nach Weltherrschaft zeigt sich mit voller Wucht in der Ostukraine, wo Zivilisten kaltblütig erschossen werden. Wir sollten gemeinsam das Recht von Staaten auf ihren eigenen Weg der Entwicklung verteidigen.“
In Russland gab es zum Teil empörte Reaktionen, dass Putin als Vertreter der Befreier nicht explizit als Ehrengast zum Gedenken in Auschwitz eingeladen worden war. Die Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau, die die Feier organisierte, hatte keine Staats- und Regierungschefs eingeladen. Es sei jedem freigestellt zu kommen, hieß es. Offizielle Einladungen habe Polen an niemanden verschickt.
„Erinnerungen am Leben halten“
Auch in Jerusalem und Prag gab es Veranstaltungen. In Großbritannien stand das Gedenken unter dem Motto „Die Erinnerung am Leben halten“. Die UNO-Gedenkveranstaltung mit dem israelischen Präsidenten Reuven Rivlin wurde aus Furcht vor einem Schneesturm in New York verschoben.
Papst Franziskus machte sich für eine friedliche Zukunft stark. „Auschwitz schreit den Schmerz unermesslichen Leids hinaus und ruft nach einer Zukunft in Respekt, Frieden und der Begegnung der Völker“, schrieb das 78 Jahre alte Oberhaupt der katholischen Kirche am Dienstag im Kurznachrichtendienst Twitter.
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