28.000 Erbsen können nicht irren
Gute Selbstvermarktung sieht anders aus: Als Gregor Johann Mendel seine Forschungen über die Regeln der Vererbung 1865 abgeschlossen hatte, ließ er es bei einem Vortrag beim „Naturforschenden Verein Brünn“ bewenden. Ihm selbst war die Bedeutung seiner Erkenntnisse aber klar: „Meine Zeit wird schon kommen“, soll er die Ignoranz der Fachwelt kommentiert haben. Er sollte Recht behalten.
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Heute ist Mendel als Vater der Genetik unbestritten. Damals galt der Brünner Augustiner-Abt als Spinner mit wunderlichen Theorien, die er aus achtjährigen Versuchen mit Erbsenpflanzen im Klostergarten gewonnen haben wollte. Und es war nicht verwunderlich, dass er seine Forschungsergebnisse am 8. Februar vor 150 Jahren nur beim monatlichen Treffen seiner Freunde vortrug und sie dann im Vereinsblatt veröffentlichte. Der 42-Jährige hatte sich längst schon abgewöhnt, nach Respekt von anerkannten Kollegen zu suchen.
Ein Mönch im Clinch mit der Uni Wien
Mendel passte auch ganz und gar nicht in die akademische Welt. Er kam nicht aus gutem Hause, sondern stammte als Sohn von Kleinbauern im Osten des heutigen Tschechien aus ärmsten Verhältnissen. Er war nicht vernetzt und legte auf „Seilschaften“ keinen Wert. Die etablierten Wissenschaftler konterten mit dem, was man heute Mobbing nennen würde: Prüfungen, zu denen er als Externer auf der Uni Wien antrat, wurden trotz brillanter Fachkenntnisse als nicht bestanden gewertet, das schließlich doch von Gönnern finanzierte Studium wurde nie abgeschlossen.

Reuters/Ben Hirschler
Der Klostergarten von Mendels Abtei St. Thomas in Brünn
Dass Mendel nicht Doktor der Naturgeschichte und Physik wurde, war seinem Beharren auf der Wahrheit geschuldet: Ausgerechnet er als Augustiner-Mönch bestand vor seinem Prüfer auf der „schockierenden“ Theorie, dass die Befruchtung von Blütenpflanzen die Verschmelzung von weiblichen und männlichen Zellen bedeute und die vererbten Eigenschaften aus den Anlagen beider gebildet würden. Von einer Gleichstellung männlicher und weiblicher Zellen wollte man im Wien des Jahres 1856 aber nicht einmal bei Blütenpflanzen hören.
Richtige Resultate statt botanischen Glamours
Möglicherweise erkannte die Wiener Uni irgendwann nach 1900, als Mendel schon 16 Jahre tot und seine Erkenntnisse schließlich wissenschaftlich anerkannt waren, ihre Blamage: Sämtliche Dokumente seiner damaligen Prüfung sind aus den Archiven verschwunden, wie die bekannte Botanikerin Rosalie Wunderlich recherchierte. Mendel resignierte nach dem endgültigen Aus für seine akademische Karriere aber nicht, sondern ging in sein Kloster und begann seine Versuche mit Erbsen. Die Wahl war kein Zufall.

AP/Matt Rourke
Mendels Mikroskop
Die wenig glamouröse Erbse ist genetisch denkbar einfach gestrickt. Mit seiner Wahl schloss Mendel daher Fehler aus, wo sich andere Forscher in der Botanik verrannt hatten. In acht Jahren züchtete er 28.000 Pflanzen, bis penibel geführte Statistiken seine Theorien bestätigten. Ein wenig nahm er damit auch die moderne Wissenschaftstheorie vorweg - rund ein Jahrhundert vor Karl Poppers Gedanken, dass man Theorien nie beweisen, sondern immer nur auf Irrtümer abklopfen kann.
Die Vereinsfreunde verstanden nur Bahnhof
Bis heute ist immer wieder zu lesen, dass Mendel an der mangelnden Anerkennung durch seine Zeitgenossen ja irgendwie selbst schuld gewesen sei, weil er seine „Versuche über Pflanzen-Hybriden“ nur seinen Vereinsfreunden schilderte, die zudem laut zeitgenössischen Quellen ohnehin nur Bahnhof verstanden. Das stimmt so aber nicht. Mendel ließ seine Studie privat drucken und die rund 40 Bändchen maßgeblichen Botanikern seiner Zeit zukommen. Niemand sollte sagen können, er habe von nichts gewusst.
Mendel ist damit auch eine Antithese zum modernen Wissenschaftsbetrieb mit möglichst öffentlichen und plakativen Aussagen in der Hoffnung, möglichst oft zitiert zu werden. Tatsächlich ließ er seine Forschungsarbeit in den Jahren nach 1865 auslaufen. Er hatte seine Theorien belegt und ließ es damit gut sein. Am Lebensende zeigte er sich bei der Übergabe der Abtei an seinen Nachfolger mit sich im Reinen und „überzeugt, dass es nicht lange dauern wird, da die ganze Welt die Ergebnisse dieser Arbeit anerkennen wird“.
„Mannigfaltigkeit begreifen lernen“
So weitsichtig und selbstbewusst Mendel im Hinblick auf seine eigene wissenschaftliche Leistung war, so wenig hätte er sich aber wohl träumen lassen, was später „anerkannte Wissenschaftler“ daraus machten - denn die Belegung von Genen mit Begriffen wie „gut“ oder „schlecht“ und „Reinrassigkeit“ als Ideal hätten wohl allein wegen des maßlosen Dilettantismus dahinter seine Abscheu erregt, von der Ideologie ganz zu schweigen: Wollte doch Mendel laut seinen eigenen Worten lediglich dabei helfen, die in der Natur vorhandene „außerordentliche Mannigfaltigkeit begreifen zu lernen“.
Lukas Zimmer, ORF.at
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