„Kommen Sie doch einfach nüchtern“
Zum 50. Todestag von Winston Churchill zeigt sich an diesem Wochenende deutlich wie nie, welche Verehrung dem früheren britischen Premierminister bis heute entgegengebracht wird. Der große Staatsmann mit der Zigarre ist auf der Insel unbestritten das Maß aller Dinge für politisches Handeln.
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Und das, obwohl sich Historiker längst auch einig sind: Der Erfolg Churchills fußte nicht unbedingt auf einer nachhaltigen politischen Strategie. Vielmehr sind es sein bis zur Arroganz reichendes Selbstbewusstsein, das Gespür für die Stimmung im Volk, sein Redetalent und sein Scharfsinn, die ihn zum Ausnahmepolitiker gemacht haben.
Die jüngste Biografie, die sich mit der Analyse von Churchills Erfolg befasst, schlägt in eben diese Kerbe - und stammt ausgerechnet vom Londoner Bürgermeister Boris Johnson. Für sein Ende November erschienenes Buch „The Churchill Factor. How One Man Made History“ musste der für seine markigen Sprüche und seine blonde Mähne bekannte Bürgermeister einiges an Spott einstecken. Er hätte die Biografie gleich den „Johnson Factor“ nennen können, sei das Buch doch eigentlich als eine Art Selbstporträt zu lesen, in dem er die Parallelen zwischen sich selbst und Churchill hervorstreiche.
Churchill macht Cameron das Leben schwer
Diesen Vergleichen stellen sich andere Politiker nur ungern. „Winston Churchill made history – David Cameron never will“ oder „How Winston Churchill is making life difficult for David Cameron“ lauten Schlagzeilen, die dem amtierenden britischen Premier vor allem im Wahljahr vermutlich keine große Freude bereiten.

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Churchills Reden während des Zweiten Weltkriegs sind legendär
Zur richtigen Zeit am richtigen Ort?
Glaubt man dem BBC-Moderator Jeremy Paxman, muss sich Cameron aber diesbezüglich gar nicht unbedingt Sorgen machen. Er sorgte nämlich jüngst mit der Aussage für Wirbel, dass Churchill heutzutage genau wegen seiner Persönlichkeit unwählbar wäre. „In einer genau abgewogenen Bewertung müsste man zu dem Schluss kommen, dass er ein rücksichtsloser, risikobereiter Egoist und Scharlatan war.“ Churchill sei damals einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen, wird Paxman im „Independent“ zitiert.
Die Aufregung ließ nicht lange auf sich warten - viele Briten sehen es nicht gern, wenn man derart am Mythos des Politikers rüttelt, und auch die Enkel- und Urenkelkinder gingen öffentlich in die Defensive. Denn auch wenn vermutlich niemand behaupten würde, dass Churchill sich etwa als Vorbild in Sachen Lebensweise eignen würde oder alle seine politischen Entscheidungen gut und richtig waren, an seiner Einmaligkeit wird nur ungern gezweifelt.
„No sports“, Alkohol und Zigarren
Vielmehr dient die Biografie Churchills heute gerne als schier unendlicher Fundus an Anekdoten und Zitaten - viele davon im Zusammenhang mit seinem Hang zu Alkohol und Zigarren.

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Böse Zungen behaupten, Churchill sei niemals nüchtern gewesen
Dass Churchill etwa einem Reporter auf die Frage, wie er sein hohes Alter erreicht habe, gesagt haben soll, „no sports“, wird zwar fast inflationär zitiert, einen Beleg für die Aussage gibt es aber nicht. Gleiches gilt für das trockene Fazit zu seinem Alkoholkonsum: „Alkohol hat mir mehr gegeben, als er mich gekostet hat.“ („I have taken more out of alcohol than alcohol has taken out of me.“)
„Kommen sie doch einfach nüchtern“
Legendär sind auch seine schlagfertigen Dialoge mit Nancy Astor, der ersten weiblichen Abgeordneten im Unterhaus. Auf ihren Vorwurf, er sei betrunken, soll er recht ungerührt geantwortet haben: „Und Sie, Lady Astor, sind hässlich. Aber mein Zustand ist morgen früh vorbei ...“
Als verbürgt gilt der vermutlich prominenteste Schlagabtausch zwischen den beiden: „Wenn Sie mein Mann wären, würde ich Ihnen Gift in den Tee schütten,“ erboste sich Astor. Churchill konterte: „Wenn ich Ihr Ehemann wäre, Nancy, ich würde den Tee trinken.“ Und schließlich soll sie ihm auf die Frage, als was er sich auf einer Kostümparty verkleiden soll, den Tipp gegeben haben: „Kommen Sie doch einfach nüchtern.“
Totgesagte leben länger
Weniger lustig, aber umso beindruckender und vor allem recht eigenwillig liest sich auch die politische Laufbahn Churchills. Der aristokratische Spross, Sohn des Duke of Marlborough, eines Politikers, und einer amerikanischen Millionärstochter änderte mehrmals seine Parteizugehörigkeit - Zeiten, in denen er hohe Staatsämter bekleidete, wechselten sich ab mit Zeiten, in denen er politisch totgesagt wurde.
Mit 26 startete Churchill seine politische Karriere, mit 32 trat er in die Regierung ein, mit nur 36 Jahren wurde er Innenminister. Doch vor Rückschlägen war auch Churchill nicht gefeit: Als Lord der Admiralität verheizte er 1915 in einer der blutigsten Schlachten des Ersten Weltkriegs Zehntausende Soldaten aus Großbritannien und den Kolonien in einem später als sinnlos bewerteten Feldzug gegen das Osmanische Reich. „Brillant, aber unsolide“, lautete das Urteil des politischen Establishments in Westminster über den jungen Churchill, der daraufhin zurücktreten musste.
Der „moralische“ Effekt von Giftgas
Vier Jahre später, inzwischen als Kriegsminister zurück in der Regierung, machte er sich für den Einsatz von Chemiewaffen im Irak stark. „Ich bin sehr für den Einsatz von Giftgas gegen unzivilisierte Stämme“, sagte Churchill in einer Sitzung in der Downing Street. Er fügte aber auch hinzu: „Der moralische Effekt sollte so gut sein, dass der Verlust von Menschenleben so auf ein Minimum reduziert werden kann.“

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Dreimächtekonferenz von Berlin: Churchill mit Harry S. Truman und Josef Stalin
Als der bereits 65 Jahre alte Churchill 1940 als Nachfolger des zurückgetretenen Appeasement-Politikers Neville Chamberlain zum Premierminister ernannt wurde, stand eine Frage über allen in den Konferenzräumen in Westminster: Friedensverhandlungen mit Nazi-Deutschland oder die Fortsetzung des Krieges. Churchill entschied sich trotz seines zögernden Kabinetts für Letzteres.
„Blut, Mühsal, Tränen und Schweiß“ gegen Hitler
„Ich habe nichts anzubieten als Blut, Mühsal, Tränen und Schweiß. Wir werden Krieg gegen einen monströsen Tyrannen wagen, der unübertroffen an der Spitze der Liste der menschlichen Verbrechen steht“, hieß es in seiner wohl berühmtesten Rede, mit der er die Briten einschwor und hinter sich versammelte. Die Menschen folgten ihm. 1945 schließlich ließ Churchill Hitlers Reich kurz vor Ende des Krieges mit einem Bombenteppich belegen - Zehntausende Zivilisten und auch Tausende junger Soldaten der Bomberbesatzungen starben.
Nach dem Krieg musste der einstige Premier in Opposition - schaffte es 1951 als Regierungschef aber noch einmal zurück an die Spitze. Zwei Jahre später erhielt der Buchautor und einstige Journalist den Literaturnobelpreis für sein Werk „Der Zweite Weltkrieg“.
Nach zwei Schlaganfällen drängten ihn seine Parteikollegen 1955 zum Rücktritt als Premier. Trotzdem ließ sich Churchill aber 1955 und 1959 weiter ins Unterhaus wählen. Er starb in seinem 91. Lebensjahr am 24. Jänner 1965 – auf den Tag genau 70 Jahre nach dem Tod seines Vaters. Er wurde drei Tage lang in der Westminster Hall aufgebahrt und anschließend mit einem Staatsakt in der St Paul’s Cathedral geehrt. Beigesetzt wurde Churchill in der Grabstätte seiner Familie auf dem St Martin’s Churchyard in Bladon in der Nähe seines Geburtsorts Woodstock.
Sophia Felbermair, ORF.at
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