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Warnung vor Schlussstrich

Anlässlich des 70. Jahrestages der Befreiung des NS-Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau haben österreichische und internationale Politiker am Dienstag davor gewarnt, einen Schlussstrich unter dieses Thema zu setzen. „Jeglichem Antisemitismus muss mit Entschiedenheit entgegengetreten werden“, sagte etwa Bundespräsident Heinz Fischer.

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In einer Aussendung bezeichnete Fischer das KZ Auschwitz als „Symbol und zentralen Ort des Bösen und als eine unauslöschliche Schande.“ In Auschwitz bündelten sich laut Fischer alle schlechten Eigenschaften, die es im Menschen geben kann. „Umso mehr gilt es heute die Front der Ablehnung von Intoleranz, Menschenverachtung, Gewalt und Rassismus zu stärken, wobei vor allem jeglichem Antisemitismus mit Entschiedenheit entgegengetreten werden muss“, sagte Fischer.

Aus Auschwitz Konsequenzen ziehen heißt für den Bundespräsidenten, „all jene Institutionen zu stärken, die sich für die Achtung der Menschenrechte und Würde jedes Einzelnen einsetzen“. Gemeinsam mit Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) und der grünen Vizepräsidentin des Europaparlaments, Ulrike Lunacek, wird Fischer Österreich bei den Gedenkfeiern am Dienstagnachmittag in Auschwitz vertreten. Dort legten bereits am Vormittag hunderte Ex-KZ-Häftlinge einen Kranz bei der „Todeswand“ nieder - Video dazu in iptv.ORF.at.

Faymann: „Erinnerung wach halten“

Für Faymann sei es Pflicht, die Erinnerung an das schrecklichste Verbrechen der Menschheitsgeschichte wach zu halten. Gleichzeitig mahne der Gedenktag laut Faymann aufs Neue, wachsam zu bleiben und autoritären Tendenzen entschlossen entgegenzutreten. „Ausgrenzung, Terrorismus, Hass und Antisemitismus dürfen keinen Platz in demokratischen Gesellschaften haben“, sagte Faymann in einer Aussendung.

Mitterlehner: „Auschwitz darf nie wieder passieren“

Auch für ÖVP-Vizekanzler Reinhold Mitterlehner ist Auschwitz ein Mahnmal gegen das Vergessen und eine Aufforderung zum Gedenken an die menschenverachtenden Verbrechen und Gräueltaten der Nationalsozialisten. „Die Vergangenheit wiegt schwer und verpflichtet uns und die kommenden Generationen zur Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus. Auschwitz darf nie wieder passieren“, so Mitterlehner in einer Aussendung.

Lunacek verlangte in einer Aussendung ein entschiedenes und gemeinsames Auftreten gegenüber Antisemitismus und Intoleranz. „Rosa und Schwarzer Winkel zur Kennzeichnung von Homosexuellen und Asozialen darunter auch Lesben, waren in Auschwitz und anderen Vernichtungslagern zum Symbol der Vernichtung von Menschen geworden, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung nicht in das System der Nationalsozialisten passten.“ Für Katrin Nachbaur, Klubobfrau des Teams Stronach (TS), ist es Aufgabe eines demokratischen Staates, „diese Gräueltaten schon im Ansatz mit allen Mitteln zu verhindern“.

Gauck: „Keine deutsche Identität ohne Auschwitz“

Im deutschen Bundestag warnte Bundespräsident Joachim Gauck davor, einen Schlussstrich unter das Thema Holocaust zu setzen. „Es gibt keine deutsche Identität ohne Auschwitz", sagte er. „Die Erinnerung an den Holocaust bleibt eine Sache aller Bürger, die in Deutschland leben. Er gehört zur Geschichte dieses Landes", fügte er hinzu. Aus dem Erinnern ergebe sich ein Auftrag: „Er sagt uns: Schützt und bewahrt die Mitmenschlichkeit! Schützt und bewahrt die Rechte eines jeden Menschen!"

Gauck reagierte damit auch auf eine aktuelle Umfrage, wonach sich die Mehrheit der Deutschen nicht mehr mit dem Holocaust beschäftigen will. 81 Prozent möchten demnach die Geschichte der Judenverfolgung „hinter sich lassen", 58 Prozent einen Schlussstrich ziehen.

Schulz: „Jeden Tag gegen das Böse aufstehen“

Der deutsche EU-Parlamentspräsident Martin Schulz sagte am Dienstag zum Abschluss des internationalen Holocaust-Forums in Prag, wo immer Antisemitismus und Rassismus aufkämen, müsse man sich dem entgegenstellen und sagen: „Nicht mit uns!“ Gleichzeitig mahnte er zur Wachsamkeit: „Wir müssen uns fragen, ob wir mutig genug sind, nicht um hier Reden zu halten, sondern wären wir mutig genug, um aufzustehen, wenn das Böse kommt?“

Der französische Präsident Francois Hollande verurteilte am Dienstag am Schoah-Mahnmal in Paris jeglichen Antisemitismus als „Plage“. Er versprach zugleich, dass sein Land die etwa 76.000 deportierten französischen Juden nie vergessen werde. Laut Umfragen erwägen angesichts der Zunahme judenfeindlicher Angriffe viele der etwa 600.000 Juden in Frankreich inzwischen, das Land zu verlassen.

Papst Franziskus machte sich für eine friedliche Zukunft stark. „Auschwitz schreit den Schmerz unermesslichen Leids hinaus und ruft nach einer Zukunft in Respekt, Frieden und der Begegnung der Völker“, schrieb das 78 Jahre alte Oberhaupt der katholischen Kirche am Dienstag auf Twitter.

Merkel: „Makel lastet auf Deutschland“

Bereits am Vorabend der Feier gab es mahnende Worte zum Antisemitismus in Europa. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel bezeichnete es am Montag in Berlin als „eine Schande“, dass in Deutschland heute Menschen angepöbelt, bedroht oder angegriffen würden, wenn sie sich als Juden zu erkennen geben oder sich etwa zu Israel bekennen. Dass Synagogen und jüdische Einrichtungen unter Polizeischutz stehen, „lastet wie ein Makel auf unserem Land“.

Ungarns Regierungschef Viktor Orban erkannte indes erstmals die Komplizenschaft seines Landes beim Holocaust an. „Wir waren ohne Liebe und unentschlossen, als wir hätten helfen sollen", sagte Orban in Budapest. „Und sehr viele Ungarn haben sich zum schlechten Handeln entschlossen statt zum guten, zu beschämenden Aktionen statt zu ehrenwerten.“ Rund 600.000 ungarische Juden wurden während des Holocaust getötet. Die meisten von ihnen wurden von den Nazis mit Hilfe der ungarischen Polizei nach Auschwitz deportiert.

Tschechiens Präsident Milos Zeman erklärte beim internationalen Holocaust-Forum des European Jewish Congress in Prag seine Solidarität mit allen Verfolgten und sagte - in Anlehnung an die berühmte Rede des verstorbenen Ex-US-Präsidenten John F. Kennedy im Jahr 1963 in Westberlin - den Satz „Ich bin ein Jude“.

300 Überlebende bei Gedenkfeier in Auschwitz

Rund 40 Staats- und Regierungschefs nehmen an der Gedenkfeier am Dienstagnachmittag in Auschwitz teil. Darunter sind etwa Gauck, Hollande und der ukrainische Präsident Petro Poroschenko. Im Mittelpunkt stehen 300 Überlebende des Vernichtungslagers. Als einziger Politiker wird der polnische Staatspräsident Bronislaw Komorowski ein kurzes Grußwort sprechen.

Der russische Präsident Wladimir Putin meldete sich am Dienstag in einem jüdischen Museum in Moskau zu Wort, wo er eine Gedenkfeier zur Auschwitz-Befreiung leitete. „Jegliche Versuche, die Ereignisse zu vertuschen und zu verzerren sowie die Geschichte umzuschreiben, sind inakzeptabel und unmoralisch“, sagte Putin. Er würdigte weiters den großen Beitrag des jüdischen Volkes im Kampf gegen den Faschismus. Eine halbe Million Juden hätten in der Roten Armee gekämpft und fast 200.000 seien gefallen.

Putin warnt vor Streben nach Weltherrschaft

Putin nahm auch zum anhaltenden Konflikt zwischen Moskau und Kiew Stellung und forderte eine Rückbesinnung auf internationale Zusammenarbeit. „Die Gefahr eines Strebens nach Weltherrschaft zeigt sich mit voller Wucht in der Ostukraine, wo Zivilisten kaltblütig erschossen werden. Wir sollten gemeinsam das Recht von Staaten auf ihren eigenen Weg der Entwicklung verteidigen.“

Obwohl die Rote Armee 1945 Auschwitz befreit hatte, war Putin nicht zur Gedenkfeier nach Auschwitz gereist. Nach Kreml-Angaben war er anders als vor zehn Jahren nicht als Ehrengast eingeladen. Polen hatte im Vorfeld betont, an niemanden Einladungen verschickt zu haben.

Inoffizieller Grund für Putins Fernbleiben ist aber laut mehreren Russland-Experten die Ukraine-Krise. Deshalb sind die Beziehungen zwischen Moskau und dem Westen angespannt wie lange nicht. Polen zählt zu den schärfsten Kritikern Putins. In der vergangenen Woche sorgte der polnische Außenminister Grzegorz Schetyna für zusätzlichen Wirbel, als er sagte, dass Auschwitz von „Ukrainern“ befreit worden sei. Das russische Außenministerium warf Polen daraufhin „antirussische Hysterie“ und eine „Verhöhnung der Geschichte“ vor.

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