Angst vor Verlustgeschäft
Über Sinn und Nutzen der überraschenden Franken-Freigabe zum Euro durch die Schweizerische Nationalbank (SNB) wird in Finanzkreisen wohl noch lange diskutiert werden. Für die über 154.000 Fremdwährungskreditnehmer hierzulande hat die Aufwertung des Frankens unmittelbare Auswirkungen. Ihre Schulden haben sich quasi über Nacht um 20 Prozent erhöht.
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Bei Österreichs Kreditnehmern sitzt der Schock weiterhin tief. Experten raten Betroffenen zu einem kühlen Kopf. Wie viel wirklich am Ende zurückzuzahlen sei, werde sich erst zeigen. „Im Moment ist der Schaden noch nicht entstanden, wenn er nicht realisiert wird. Das gilt für öffentliche wie private Schuldner: Wenn nicht in Euro konvertiert oder zurückgezahlt wird, hat man noch keinen Schaden,“ so Gottfried Haber von der Donau-Universität Krems und Mitglied des Generalrats der Oesterreichische Nationalbank (OeNB) gegenüber Ö1.
Haber riet Betroffenen, erst einmal abzuwarten und nicht in Panik einen Verlust zu realisieren, der vielleicht noch etwas geringer werden kann. Auch Thomas Hirmke, Rechtsexperte des Vereins für Konsumenteninformation (VKI) für Finanzdienstleistungen, riet bei langen Laufzeiten dazu abzuwarten - mehr dazu in oe3.orf.at.
Günstige Zinsen können Verluste nicht wettmachen
Personen, die Franken-Kredite mit einer Laufzeit von noch 15 bis 20 Jahren haben, sollten die Situation gelassen betrachten, so der Obmann der steirischen Finanzdienstleister in der Wirtschaftskammer, Hannes Dolzer. Bei Krediten mit Restlaufzeiten von drei bis fünf Jahren könne es sein, dass ein Umstieg auf einen Euro-Kredit ratsamer wäre - mehr dazu in steiermark.orf.at.
Wie sich der Euro gegenüber dem Franken weiterentwickeln wird, kann derzeit freilich keiner abschätzen. „Es wäre unseriös, eine Prognose des Franken-Kurses zu versuchen. Viele Experten glauben, dass eine Größenordnung von einem bis 1,10 Schweizer Franken für einen Euro realistisch wäre. Das ist aber derzeit alles Kaffeesudleserei“, so Haber. Bei der Erste Bank erwarte man, dass sich der Euro bei 1,10 bis 1,12 Schweizer Franken einpendelt, wie Erste-Group-Retailvorstand Peter Bosek sagte.
Die Erste Bank allein habe 9.000 Kunden mit Krediten in Schweizer Franken mit Verbindlichkeiten von insgesamt rund 1,6 Mrd. Euro. Die meisten Kunden seien wohl eingestiegen, als der Kurs bei 1,55 Franken zum Euro lag. Bei Parität wie im Moment der Fall sei das sicherlich im Nachhinein betrachtet ein Verlustgeschäft gewesen. Die günstigeren Zinsen konnten den Kursverlust von einem Drittel sicher nicht wettmachen, sagte Bosek.
Nachbesicherung nicht gerechtfertigt
Etwaigen Begehrlichkeiten der Bank infolge des Franken-Anstiegs erteilten Konsumentenschützer eine Absage. Denn gerade den Experten bei den kreditvergebenden Banken sollte klar sein, dass mit Schwankungen bei Fremdwährungskrediten zu rechnen sei. Drohungen, den Kredit zwangsweise in Euro zu konvertieren oder fällig zu stellen, sind laut Arbeiterkammer (AK) Wien nicht gerechtfertigt. Die AK fasste wichtige Fragen und Antworten in einem Datenblatt zusammen.
Auch laut VKI dürfen Banken nicht mehr Sicherheiten von ihren Kunden verlangen. Gegen den von Banken in der Vergangenheit erzwungenen Umstieg von Franken auf Euro waren die Konsumentenschützer schon erfolgreich Sturm gelaufen. Österreichische Gerichte untersagten die Zwangskonvertierung mehrfach. Laut Europäischem Gerichtshof (EuGH) dürfen Klauseln nicht nachgebessert werden, so die Nachbesserung nicht zugunsten des Verbrauchers ist.
Konsumentenschützer fordern Entgegenkommen
Akut betroffen von dem Franken-Anstieg sind Schuldner, deren Kredit in diesem Jahr ausläuft. Der VKI schätzt deren Zahl auf etwa 1.000. Auch in den folgenden Jahren seien schätzungsweise jeweils 1.000 bis 2.000 jährlich betroffen. Die AK Oberösterreich forderte, dass die Banken ihren Kunden entgegenkommen - egal ob der Kunde seinen Kredit in Euro umwechseln möchte oder in Franken bleibt und vielleicht deutlich mehr zurückzahlen muss, als er geliehen hat.
Denn die Kunden von Fremdwährungskrediten hätten die Risiken niemals einschätzen können und hätten sich auf die Beratung der Banken, die solche Kredite vergeben haben, verlassen. Betroffen sind allerdings nicht nur Privathaushalte, sondern auch Städte und Gemeinden, die früher wegen der günstigen Zinsen Kredite oder Anleihen in Franken aufgenommen haben - mehr dazu in ooe.ORF.at.
Schlichtungsstelle hilft
Wenn Kreditnehmer mit ihrer Bank auf keinen grünen Zweig kommen, könnten sie sich an die neu eingerichtete Verbraucherschlichtungsstelle wenden, informierte das Sozialministerium. Das ist gratis und freiwillig. Im Falle von Streitigkeiten über Fremdwährungskredite haben sich vier große Banken aber verpflichtet, vor die Schlichtungsstelle zu gehen: Bank Austria, Erste Bank, BAWAG P.S.K. und Raiffeisen. Von Mai 2013 bis Juni 2014 betraf jeder dritte Schlichtungsantrag das Thema Fremdwährungskredite. In mehr als jedem zweiten Fall konnte eine Einigung erzielt werden.
Banken drohen Kreditausfälle
Ein fortgesetzter Höhenflug des Franken und ein damit möglicher Kreditausfall bei den Kunden könnte die Banken mittelfristig vor Probleme stellen. Besonders betroffen sind Banken in Österreich sowie in Teilen Osteuropas. „Die Entscheidung ist eine extrem schlechte Nachricht für Fremdwährungskreditnehmer in Zentraleuropa, Polen und Ungarn“, so BNP-Paribas-Ökonom Michal Dybula.
Franken-Kredite waren einst gefragt wegen günstiger Zinsen. Zum Problem wurden sie, als im Zuge der Euro-Krise die Schweizer Währung deutlich an Wert gewann. Die Finanzmarktaufsicht (FMA) verbot daraufhin diese Art von Darlehen für Privathaushalte. Die Banken gingen auf viele Kunden zu, um sie zu einer Umwandlung der Darlehen in Euro-Kredite zu bewegen. Da ein Großteil der Darlehen erst in einigen Jahren fällig werde, seien in Österreich auf kurze Sicht keine großen Probleme zu erwarten, verlautete aus Finanzkreisen.
Polen und Ungarn stark betroffen
In Polen sind rund 700.000 Haushalte mit Immobilienkrediten vom teureren Franken betroffen. Insgesamt wurden rund 40 Prozent der Immobilienkredite in Polen in Schweizer Franken abgeschlossen. Nach Angaben der polnischen Finanzaufsicht belaufen sie sich auf insgesamt rund 31 Mrd. Euro. In Ungarn, wo die Banken besonders viele Fremdwährungskredite vergeben hatten, dürfte der Vorstoß der SNB aber nur begrenzte Konsequenzen haben: Das Land hatte den Wechselkurs des Forint zum Franken für viele Kreditnehmer bereits vergangenes Jahr festgeschrieben. Die Erste Group erwarte daher keine Folgen für ihr dortiges Kreditgeschäft, sagte eine Sprecherin. Auch im Gesamtkonzern seien bei dem derzeitigen Franken-Kurs keine großen Auswirkungen auf die Ergebnisse zu erwarten.
RBI hat Milliardenkredite in Polen
Die Raiffeisen Bank International (RBI) erklärte, sie habe unter anderem ausstehende Franken-Kredite in Polen über 2,9 Mrd. Euro und in Rumänien über 360 Mio. Euro. Die UniCredit-Tochter Bank Austria teilte mit, sie rate betroffenen Kunden, sich an die Bank zu wenden, um individuelle Lösungen zu finden. Seit 2008 habe bereits ein Drittel der Fremdwährungskreditnehmer in Österreich die Darlehen entweder umgewandelt oder vorzeitig zurückgezahlt.
Auf österreichische Staatsanleihen habe der Schritt der SNB keine Auswirkungen, sagte die Chefin der Oesterreichischen Bundesfinanzierungsagentur (OeBFA), Martha Oberndorfer: „Wir haben keine Fremdwährungsrisiken.“ Fremdwährungen seien bei der für die Schuldenaufnahme zuständigen Agentur grundsätzlich abgesichert. „Die Wechselkursparität tangiert uns daher nicht“, sagte die Finanzmanagerin der Republik.
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