Nachbarländer könnten profitieren
Nicht nur die Börse, auch die Schweizer Wirtschaft reagiert auf die Franken-Aufwertung überrascht und wenig erfreut. Die Tourismusverbände etwa fürchten um ihr Geschäft, die Gewerkschaften erwarten Jobkürzungen. Profitieren könnten hingegen Nachbarländer wie Österreich, die für die Schweizer nun billiger sind.
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Die Schweizer Hotel- bzw. Gastgewerbeverbände hotelleriesuisse und GastroSuisse sehen ihre Branche durch die Aufgabe des Euro-Franken-Mindestkurses in großer Gefahr. Dadurch werde die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber dem Ausland geschwächt, teilten sie in einer ersten Reaktion mit. Die GastroSuisse verlangte griffige Maßnahmen gegen die „Hochpreisinsel“ Schweiz.
„Industrie überfordert“
GastroSuisse sieht seine 20.000 im Verband organisierten Betriebe unmittelbar und negativ betroffen. Bereits beim Mindestkurs von 1,20 Franken pro Euro hätten die Gastbetriebe einen großen Nachfragerückgang verzeichnet, teilte die Organisation am Donnerstag, mit. Hotelleriesuisse erwartet eine Zeit der Unsicherheit an den Märkten. Nun bleibe abzuwarten, wie sich der Franken-Kurs einpendelt und wie sich die Märkte entwickeln. Hotelleriesuisse mahnte mehr Rücksicht auf die Exportindustrie durch die Schweizerische Nationalbank (SNB) ein.
„Bei einer schockartigen Aufwertung ist die Industrie überfordert“, sagte Rudolf Minsch, Chefökonom des Wirtschaftsdachverbandes economiesuisse. „Das wird sehr große Probleme geben.“ Entscheidend werde sein, wo der Euro Boden findet. „Mit 1,15 kann die Wirtschaft leben“, so Minsch. „Bei 1,05 würde es zu einem größeren Einbruch kommen.“
Gewerkschaft fürchtet Jobkahlschlag
Der Schweizer Gewerkschaftsdachverband Travail.Suisse fürchtet bei einer unkontrollierten Franken-Aufwertung einen Jobkahlschlag. Das müsse verhindert werden, mit allen möglichen Mitteln, hieß es am Donnerstag. Die Schweizer Regierung müsse alles prüfen, etwa eine Kapitalverkehrskontrolle, teilte der Verband mit.
Der Entscheid zur Mindestzinsaufgabe zum jetzigen Zeitpunkt ist für Travail.Suisse indes nachvollziehbar. Die Entwicklungen im Euro-Raum mit dem Kauf von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank (EZB) und den Wahlen in Griechenland seien offenbar von der SNB als so gravierend eingeschätzt worden, dass diese den Mindestkurs nicht mehr aufrechterhalten wollte.
Mehr Einkaufstourismus erwartet
„Der Einkaufstourismus wird zunehmen“, sagte auch Sara Stalder, Geschäftsleiterin der Schweizer Stiftung für Konsumentenschutz (SKS). Die Preisdifferenzen zwischen der Schweiz und der EU würden wieder wachsen. Wenn internationale Anbieter mit Filialen in der Schweiz einen Preisaufschlag in der Schweiz verrechneten, werde die Differenz nun noch größer, stellte Stalder gegenüber der Nachrichtenagentur sda fest: „Und in der Schweiz haben wir relativ viele Importprodukte.“
Den Schweizer Konsumenten rät Stalder, die Preise über die Grenzen hinaus zu vergleichen und höhere Preise nicht zu akzeptieren. Nach dem Entscheid werde die Debatte über die Preise wieder voll einsetzen, sagte Nadia Thiongane von der Westschweizer Konsumentenorganisation FRC. Produzenten und Verteiler müssten Währungsgewinne ehrlich auf die Endpreise weitergeben.
Österreich wichtiger Handelspartner
Für die FRC ist es besonders wichtig, den Einkaufstourismus zu bekämpfen. Sie sieht aber auch positive Seiten: Importeure könnten zu besseren Bedingungen einkaufen. Für Schweizer würden Ferien im Ausland billiger - umgekehrt aber werden Ferien in der Schweiz für Ausländer teurer.
„Für Österreich ist es natürlich super“, kommentierte Bank-Austria-Chefökonom Stefan Bruckbauer die Aufwertung des Schweizer Franken. Die Schweiz sei nach Deutschland und Italien der drittwichtigste Handelspartner - „Österreich wird da sicher stark profitieren“, sagte Bruckbauer am Donnerstag zur APA.
Auswirkungen in Sommersaison?
Die Vorarlberger Touristiker reagierten erfreut auf die Entscheidung der SNB. Starke Auswirkungen auf die laufende Wintersaison werde der Franken-Kurs aber wahrscheinlich nicht haben. Die meisten Menschen hätten ihre Urlaube bereits geplant. Allerdings erwartete der Vorarlberg-Tourismus-Geschäftsführer Christian Schützinger steigende Zahlen im Sommertourismus. Betreffen werde das vor allem die Ausgaben der Schweizer Gäste am Urlaubsort.
„Profitieren werden deshalb auch mehr die Beherbergungs- und Verpflegungsbetriebe der höheren Kategorien“, zeigte sich Schützinger überzeugt. Rund zehn Prozent der Vorarlberger Gäste kommen derzeit aus der Schweiz. „Das sind schon relativ viele“, so Schützinger. Bei den Urlauberzahlen aus dem Nachbarstaat erwarte er deshalb keine großen Zuwächse. Der Sprecher der Österreichischen Hoteliervereinigung (ÖHV), Martin Stanits, sagte, man müsse auch abwarten, wie sich eine mögliche Finanzierung in der Schweizer Währung auf die heimischen Tourismusbetriebe auswirkt.
Druck auch auf heimische Arbeitnehmer
Burkhard Dünser, Geschäftsführer des größten Vorarlberger Einkaufszentrums Messepark in Dornbirn, zeigte sich zwiegespalten. Einerseits werde der Handel in Vorarlberg kurzfristig noch mehr vom Franken-Kurs profitieren, so Dünser. Allerdings machten die Schweizer Kunden schon jetzt etwa 20 Prozent des Messepark-Umsatzes von 180,9 Mio. Euro (2013) aus. „Das wird nicht mehr dramatisch steigen“, so Dünser weiter.
Andererseits beurteilte er persönlich die Entwicklung als „ungesund“. Dünser gehe davon aus, dass die Schweizer Wirtschaft mit diesem Kurs mittelfristig Schaden nehmen wird und Arbeitsplätze verloren gehen - was auch Vorarlberg mit seinen insgesamt rund 16.000 Grenzgängern (jeweils ca. 8.000 in der Schweiz und in Liechtenstein) spüren würde.
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