Kitschangriff auf die Codeknacker
Alan Turing war einer der größten Mathematiker seiner Zeit und einer der ersten Informatiker überhaupt. Die Turingmaschine gilt als Vorläufer des Computers. Im Film „The Imitation Game“ ist nun zu sehen, wie er die Verschlüsselungsmaschine „Enigma“ der Nazis knackte - und wie er letztlich an der Ächtung seiner Homosexualität zerbrach.
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In Österreich war es letzte Woche der Verfassungsgerichtshof, der das Adpotionsverbot für Homosexuelle kippte. Es war ein weiter Weg. Sämtliche Regierungen der letzten Jahrzehnte konnten sich nicht dazu aufraffen, die Diskriminierung von gleichgeschlechtlich Liebenden zu beseitigen. Im Kino wird nun Alan Turings Lebensgeschichte nacherzählt. Sein Schicksal entschied sich an einer weitaus früheren Station dieses Weges - als Homosexualität in Großbritannien noch illegal war.

APA/AP/The Weinstein Company
Keira Knightley und Benedict Cumberbatch (Mitte unten) beim Knacken der Codes
Alan Turing wurde deshalb verhaftet, verurteilt und musste sich einer Hormontherapie unterziehen, um dem Gefängnis zu entgehen. Turing ging an den Folgen der Therapie zugrunde und nahm sich 1954 im Alter von 41 Jahren das Leben. Dieses außergewöhnliche Leben klingt heute nach, und zwar nicht nur im Wort „Turingmaschine“, das viele Menschen irgendwo schon einmal gehört haben, ohne genau zu wissen, was es bedeutet. Jedesmal, wenn ein Computer hochfährt, ist Turing daran beteiligt.
Gratwanderung für Cumberbatch
Angefangen hatte alles in einem jener britischen Eliteinternate, die für ihre zutiefst bürgerliche Strenge bekannt waren. Turing war dort der Ober-Nerd. Er liebte Mathematik und konnte, das legt zumindest der Film nahe, Asperger-Patienten nicht unähnlich, mehr schlecht als recht mit seinen Mitmenschen umgehen. „The Imitation Game“ springt zwischen den Zeitebenen und blendet immer wieder zu dieser Phase in Turings Leben zurück. Der Bursch verliebte sich in seinen Mitschüler Christopher, dem einzigen, der den jungen Alan nicht drangsalierte. Doch dieser Christopher starb plötzlich an einer seltenen Krankheit.
Schnitt: der erwachsene Alan, verkörpert von Benedict Cumberbatch, der sich seine Nominierung für den Hauptdarsteller-Oscar durchaus verdient hat. Er lässt seine Figur auf dem schmalen Grat zwischen Genialität und krankhaftem Eigenbrötlertum wandeln, ohne jemals zu sehr in die eine oder andere Richtung zu kippen. Entlang dieses Grats bewegt er sich durch die eigentliche Geschichte des Films: die Bemühungen der Briten, den Kommunikationscode der Nazis zu knacken, um so im Vorhinein über Angriffe Bescheid zu wissen.
Dem Code der Nazis auf der Spur
Den jungen Universitätslektor Alan will man dabei mit an Bord holen - seine außergewöhnlichen mathematischen Fähigkeiten hatten sich bis zum Innenministerium und bis zu hochrangigen Militärs herumgesprochen. Aber Alan erweist sich als Problemfall. Er weigert sich, einzelne, fragmentarische Botschaften zu decodieren, deren Wert als ein Tropfen in einem Meer aus Informationen ihm zu gering scheint. Er will das Codierungssystem „Enigma“ knacken.
Deren Verschlüsselungsalgorithmus wird jeden Tag um 0.00 Uhr geändert - aber um ihn mit konventionellen Methoden zu entschlüsseln, würde man zigtausend Jahre rechnen müssen. Turing, der schon zuvor mit elektronischen Rechenmaschinen zu experimentieren begonnen hatte, wollte deshalb seine Energie lieber auf die Entwicklung dessen konzentrieren, was heute Computer genannt wird. Die Turingmaschine soll „Enigma“ knacken.
Maximal möglicher Pathos
Ein Wettlauf gegen die Zeit und gegen die Konventionen beginnt, den Morten Tyldum mit maximal möglichem Pathos verfilmt. Liebe, Vergangenheitsbewältigung, Nazi-Terror, die Verschränkung des Privaten mit der großen Geschichte, jede Szene ist porentief Hollywood (und Hollywood bedankt sich mit Nominierungen für den Regie- und Hauptfilm-Oscar). Das ist eine Verdoppelung, weil ja die Geschichte an sich schon stark genug wäre - diese inszenatorische Redundanz, überkoloriert mit Drall Richtung Sepia, hinterlässt einen schalen Nachgeschmack.

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Keira Knightley spielt das Genie Joan Clarke
Ein Beispiel: Der jüngste im Codeknacker-Team hat einen Bruder, der als Soldat auf einem US-Schiff dient. Eine Mitteilung wird abgefangen, wonach genau dieses Schiff von den Nazis versenkt werden soll. Gegen den Willen des jungen Mitarbeiters und trotz seines tränenreichen Protests behalten die Mathematiker die abgefangene Nachricht für sich, damit die Nazis nicht misstrauisch werden. Erstens ist die ganze Story frei erfunden, zweitens hätten die Wissenschaftler so eine Entscheidung niemals selbst getroffen, wie das Onlinemagazin „Slate“ recherchiert hat.
Biograf mit Bauchweh
Das ist schade, nicht nur, weil die Lebensgeschichte Turings und die Dechiffrierung von „Enigma“ auch einen weitaus besseren Film getragen hätte. Denn die schauspielere Leistung an sich lässt wenig zu wünschen übrig. Neben Benedict Cumberbatch überzeugt auch Keira Knightley (Oscar-Nominierung beste Nebenrolle). Sie spielt die junge Joan Clarke, die Turing bei seinem Vorhaben half und sich schließlich sogar mit ihm verlobte. Die Liaison brachte beiden Vorteile: Turings Homosexualität wurde verschleiert und die angehende Wissenschaftlerin entkam ihrem konservativen Elternhaus.
Schon während des Drehs kam es zu Konflikten mit Andrew Hodges, an dessen Turing-Biografie man sich orientierte. Hodges meinte gegenüber den „Pink News“ („Europe’s Largest Gay News Service“): „Sie haben die Beziehung mit Joan unnötig aufgeblasen“ - und damit die Homosexualität Turings heruntergespielt. Außerdem sei die echte Joan weitaus weniger „glamouros“ als Knightley gewesen - eher der nüchterne Typ mit männlicher Ausstrahlung. Gerade das habe Turing an ihr gemocht.
Unter Spionageverdacht
Vor allem aber stört Hodges sich an einer ebenfalls frei erfundenen Szene, in der Turing mit einem Sowjet-Doppelagenten einen Deal aushandelt. Turing lässt den Spion nicht auffliegen, im Gegenzug dafür behält der Informationen über die Homosexualität Turings für sich. Das sei eine grobe Verunglimpfung und komme dem Vorwurf des Hochverrats gleich.
Ähnliche Kritik musste 2001 Michael Apteds Version der Geschichte, der Film „Enigma - das Geheimnis“ mit Kate Winslet in der Hauptrolle, einstecken. Polnische Historiker bemängelten, dass - ebenfalls völlig zu Unrecht - ein Pole des Hochverrats und des Überlaufens zu den Deutschen bezichtigt wurde. Überhaupt erzählte der Film eine gänzlich andere Story, konzentrierte sich auf ein anderes Team von Codeknackern und kam weitgehend ohne Alan Turing aus.
Abwechslung für Cumberbatch
Was Turing zwischen dem Zweiten Weltkrieg und seinem Suizid machte, spart jedenfalls auch der neue Film aus. In den letzten Jahren seines Lebens arbeitete er an der Entwicklung früher Computer und erster Software mit und konzipierte den Turing-Test, mit dem die Intelligenz einer Maschine mit der eines Menschen verglichen werden kann. Hollywood-Kitsch hin oder her, als erstes Herantasten an die Figur Turing taugt der Film allemal - vor allem dank Cumberbatch. Und der dürfte für das Kontrastprogramm dankbar gewesen sein. Zuletzt spielte er bei den Hobbit-Filmen den Drachen Smaug und in der TV-Serie „Sherlock“ den Holmes.
Simon Hadler, ORF.at
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