Von der Straße retour ins Netz
Der Protest der Bewegung Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes (PEGIDA) findet nicht nur montags auf den Straßen großer deutscher Städte statt, sondern verstärkt sich nun auf Facebook. Die Anhänger nutzen die Plattform zur Organisation ihrer Kundgebungen. Die Gegenseite reagiert mit Satire und Desinformation.
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„Lügenpresse“ wurde in Deutschland zum Unwort des Jahres 2014 gewählt. Vor allem Anhänger der islamfeindlichen PEGIDA-Bewegung ziehen mit diesem Begriff durch deutsche Städte. Hinter dem Ausdruck steht bei PEGIDA die Ablehnung traditioneller Medien. Besonders hart wird mit den deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern ins Gericht gegangen. Die Organisatoren stützen sich seit den Anfangstagen auf Kommunikation via Soziale Netzwerke. Zentraler Treffpunkt der Anhänger ist Facebook, wo die Hauptseite von PEGIDA fast 140.000 Likes verzeichnet.
Experten überrascht der Erfolg im Netz nicht. Laut Politikberater Martin Fuchs fanden die Anhänger in Facebook ein Ventil für ihre Anliegen. „Das Medium gibt ihnen das Gefühl, wahrgenommen zu werden“, so Fuchs gegenüber ORF.at. Die Bewegung habe sich abseits der traditionellen Medien damit eine eigene, alternative Plattform zur Verbreitung ihrer Anliegen geschaffen.
Experte: Traditionelle Medien übersahen Bewegung
Fuchs kritisiert, dass traditionelle Medien so überrascht über den Zustrom bei den Demonstrationen gewesen seien. Politik und Medien schenken laut Fuchs Social Media zu wenig Aufmerksamkeit. Diese könnten als Seismograf für politische Themen dienen. Das zeige sich auch darin, dass der Zulauf zur No-PEGIDA-Bewegung nicht nur auf der Straße stärker werde.
Auch Gegenseite mobilisiert im Netz
Im Netz starten auch die Gegner mit der Mobilisierung. Mit Satire und Sarkasmus versuchen sie die Aktivitäten von PEGIDA zu stören. „Wir müssen die Demo leider absagen. Wir wollten erst für die Pressefreiheit demonstrieren, aber die ist ein Instrument der Lügenpresse“, schrieb am Montagabend der User „Pegida_“ auf Twitter. Der Account gehört zum Lager der PEGIDA-Gegner und deklariert sich als „Probiotischer Europäer gegen das deutsche Abendland“.
Mit einer ähnlichen Falschmeldung sorgte das Satireportal Der Postillon auf Facebook für Aufregung. „Nach internen Querelen: PEGIDA-Demo in Dresden abgesagt“, titelte Der Postillon. Die Satire wurde nicht von allen als solche erkannt und sorgte bei PEGIDA-Anhängern für Verwirrung.

Screenshot Facebook
PEGIDA-Satire auf der Facebook-Seite von Postillon
Klassischer mutet der Widerstand eines besorgten Bürgers an: Karl Lempert sammelt seit dem 23. Dezember im Internet Unterstützer für seine Petition „Für ein buntes Deutschland“. Mehr als 410.000 Menschen unterzeichneten bereits diese Unterschriftenaktion gegen das PEGIDA-Bündnis.
Anonymous und die „Operation Pegida“
Mit schärferen Waffen zieht Anonymous Deutschland gegen die Bewegung ins Feld. Aktivisten, die sich als Mitglieder des losen Anonymous-Kollektivs deklarierten, starteten unter dem Hashtag #OpPegida eine „Operation Pegida“. Die Betreiber von PEGIDA-Websites müssten ab sofort mit Hackerangriffen, etwa Beschuss durch „Distributed Denial of Service“-Attacken, rechnen.
„Anonymous wird nicht mehr tatenlos zusehen, wie Angst und Hass durch PEGIDA verbreitet wird“, gaben Aktivisten auf YouTube bekannt. Erste Angriffe auf PEGIDA-Webauftritte scheint es bereits gegeben zu haben. Der PEGIDA-Ableger in Kassel musste seine Seite Kagida.de aufgrund von Angriffen bereits vom Netz nehmen. Auch Domain-Namen sind umkämpft. Die URL Pegida.de verlinkt zwar auf die Facebook-Seite der Organisation, unter Pegida.com wird man aber auf die Google-Suchergebnisse zu „noPegida“ weitergeleitet.
Kampf um Deutungshoheit
Wer ist die Zivilgesellschaft? Diese Frage prägt derzeit nicht nur Debatten im Netz. Beide Lager, sowohl PEGIDA-Anhänger als auch -Gegner, beanspruchen für sich, der zivilgesellschaftliche Protest zu sein. Der deutsche Soziologe Simon Teune relativiert allerdings die Auseinandersetzungen im Netz. Er schätzt die Gegendemonstrationen in deutschen Städten als bedeutungsvoller ein als den Gegenaktionismus im Internet.
Laut Teune wird in Social Media in relativ geschlossenen Netzen kommuniziert. Anstatt sich mit dem Gegner auseinanderzusetzen, versichere man sich selbst, auf der richtigen Seite zu stehen. Der Soziologe warnt auch davor, die Rolle der traditionellen Medien zu vernachlässigen. Es gebe bei sozialen Bewegungen eine Aufmerksamkeitsspirale. „Je größer der mediale Fokus, desto interessanter wird es, sich zu beteiligen. Es wird suggeriert, dass das von Bedeutung ist, was da passiert,“ so Teune gegenüber ORF.at.
PEGIDA auch in Österreich
Mittlerweile schwappen die Ideen von PEGIDA auch auf Österreich über. Derzeit weist die Facebook-Seite von PEGIDA Österreich knapp unter 10.000 Likes auf. Es werden allgemeine Artikel über PEGIDA und die „Islamisierung des Abendlandes“ geteilt. Man findet aber auch Videos der Rechtsrock-Band Frei.Wild.
Auch in Österreich setzt PEGIDA mit Bundesländerseiten den deutschen Trend zur Regionalisierung der Bewegung fort. Die Organisatoren des Österreich-Ablegers sind allerdings noch unbekannt. Verwirrung stiftet die User-Statistik bei einigen Bundesländerablegern. Mehr als die Hälfte der Likes der Tiroler PEGIDA-Facebook-Seite stammen laut einem Social-Media-Analysewerkzeug beispielsweise aus Deutschland. PEGIDA Österreich plant für Anfang Februar die erste Kundgebung. Im Netz rüsten sich schon jetzt beide Seiten für die Konfrontation.
Miriam Beller, Lukas Lottersberger, Juliane Nagiller, ORF.at
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