Kritiker bezweifeln Sinnhaftigkeit
Wie kann sich Europa besser vor extremistischen Anschlägen schützen? Die Frage beschäftigt Regierungen wenige Tage nach den islamistischen Attentaten in Paris mehr denn je. Sicherheitskonzepte werden nun in vielen Ländern überarbeitet, die Zusammenarbeit soll verstärkt werden. Und mit der Vorratsdatenspeicherung könnte eine äußerst umstrittene Maßnahme wieder Einzug in die Gesetzgebung halten.
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Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) hat lange vor den Paris-Anschlägen immer wieder bekräftigt, dass sie sich eine Nachfolgeregelung zur Vorratsdatenspeicherung wünscht. Das 2006 auf EU-Ebene beschlossene Gesetz wurde im Juni 2014 vom Verfassungsgerichtshof (VfGH) aufgehoben und davor bereits vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) gekippt. Die anlasslose, verdachtsunabhängige Speicherung einer Vielzahl persönlicher Daten sei ein zu großer Eingriff in die Grundrechte der Bevölkerung, so der EuGH.
ÖVP wünscht sich Nachfolgeregelung
Die Ministerin bestätigte am Montag, dass das Thema auch beim Treffen der Innenminister am Sonntag in Paris debattiert worden sei. Seitens der Kommission sei versprochen worden, dass ein neuer Vorschlag vorgelegt wird. Näher darauf eingehen wollte sie nicht. Mikl-Leitner sieht es als Problem, dass auch beim Beobachten eines mutmaßlichen Dschihadisten die entsprechenden Daten derzeit nach neun Monaten wieder gelöscht werden müssen.
Nach wenigen Jahren gekippt
Der Begriff Vorratsdatenspeicherung steht für die systematische Speicherung von Telefon- und Internetdaten der Bürger, eingeführt wurde sie 2006 nach den Terroranschlägen von Madrid und London. Die Datensammlung soll Fahndern bei der Jagd nach Terroristen und anderen Schwerverbrechern helfen. Im April 2014 kippte der Europäische Gerichtshof (EuGH) die Richtlinie jedoch vollständig - die Regelung verstoße gegen Grundrechte. Im Juni hob der Verfassungsgerichtshof (VfGH) die Regelung auf.
Im Rahmen des Bundesparteivorstandes legte auch die ÖVP-Führung nach: Er erwarte von der EU-Kommission einen neuen Anlauf zur Vorratsdatenspeicherung, an dem sich Österreich dann orientieren solle, erklärte Parteichef Reinhold Mitterlehner.
Frankreich speichert Daten zwölf Monate
Kritiker zweifeln jedoch an der Wirksamkeit der Vorratsdatenspeicherung für die Terrorprävention. Die Paris-Attentate von drei islamistischen Extremisten konnte sie nicht verhindern - in Frankreich ist die Vorratsdatenspeicherung erlaubt. Telefon- und Internetdaten dürfen dort für zwölf Monate gespeichert werden. Zum Vergleich: Auch in Österreich speichern Telekomanbieter die Daten für mehrere Monate. Einen Zugriff haben Staatsanwälte darauf jedoch nur, wenn wegen Straftaten ermittelt wird und dafür eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr droht.
Grüne: Nicht Grundwerte opfern
Der grüne Justizsprecher Albert Steinhauser findet, dass der Ruf nach der Vorratsdatenspeicherung als Reaktion deshalb auch eine „gewisse Ratlosigkeit“ zeigt. Steinhauser warnt davor, ähnlich wie in den USA rechtsstaatliche Standards schrittweise zu opfern. „Die Verteidigung der Grundrechte hat nichts mit Naivität zu tun, sondern schützt das Fundament unserer Demokratie. Dem islamistischen Terror ist entgegenzutreten - mit sämtlichen Mitteln des Rechtsstaats und auf Basis von Grundrechten. Was verhindert werden muss, ist politische Trittbrettfahrerei, die Verunsicherung dazu benutzt, Rechtsstandards und Grundrechte auszuhöhlen“, so Steinhauser.
NEOS: Präventionsbeitrag „nicht erwiesen“
Ähnlich NEOS: „Der EuGH hat nicht ohne Grund die Richtlinie zur anlasslosen Vorratsdatenspeicherung als nicht mit den Grundrechten vereinbar für ungültig erklärt“, sagte Menschenrechtssprecher Niki Scherak. „Natürlich“ müsse die Sicherheitslage nun evaluiert werden, „was die Vorratsdatenspeicherung betrifft, ist aber schlichtweg nicht erwiesen, dass sie einen tatsächlichen Beitrag zur Terrorismusprävention leisten kann.“ Angedacht werden könnten stattdessen andere, grundrechtsschonende Ermittlungsmethoden, die schnell und anlassbezogen eingesetzt werden können, „ohne alle Bürger unter Generalverdacht zu stellen“, so Scherak.
Faymann ablehnend
Im ZIB2-Interview zeigte sich Montagabend auch SPÖ-Chef Kanzler Werner Faymann ablehnend. Er sehe derzeit keinen Grund für die Wiedereinführung, sagte aber, Experten würden die Frage nun nochmals prüfen. Grundsätzlich sprach sich Faymann gegen die Einschränkung von Grundrechten im Zuge des Kampfs gegen Dschihadisten aus.
D: Würde ausgerechnet Pressefreiheit bedrohen
Ähnlich umstritten ist die Vorratsdatenspeicherung auch in Deutschland. Innenminister Thomas de Maiziere (CDU) spricht sich ebenso wie Unions-Politiker für die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung aus. Er hat in dieser Sache jedoch Justizminister Heiko Maas (SPD) als Gegner. „In Frankreich gibt es eine Vorratsdatenspeicherung, sie hat die Anschläge nicht verhindert“, sagte der Justizminister in der ARD.
Zudem betreffe die anlasslose Speicherung von Telekommunikationsdaten auch Journalisten und schränke die Pressefreiheit ein, die doch gerade verteidigt werden solle. „Die Vorratsdatenspeicherung verstößt gegen die Grundrechte“, sagte Maas. Auch die Oppositionsparteien Grüne und Linke wollen eine Wiedereinführung verhindern.
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