Untersuchung an „dunklen Orten“
Er ist einer der erfolgreichsten britischen Autoren der Gegenwart und vor allem bekannt für seine bitterbösen Geschichten und Romane, die im Leser eine diffuse Beklemmung auslösen: der Schriftsteller Ian McEwan.
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Vergangenen Juni, kurz vor seinem 65. Geburtstag, hat der Autor sein neuestes Buch, das Ehedrama „The Children Act“, veröffentlicht, das nun unter dem Titel „Kindeswohl“ auf Deutsch erschienen ist. Die Essenz eines guten Buches, sagte McEwan im „Telegraph“, sei Neugierde: „Wenn ein Roman es nicht schafft, auf irgendeine Art und Weise deine Neugierde zu wecken, ist er tot in deinen Händen.“
McEwan wurde 1948 in Aldershot im Südosten Englands als Sohn eines schottischen Armeeoffiziers geboren. Er wuchs unter anderem in Singapur und Libyen auf und studierte später an den Universitäten Sussex in Brighton und East Anglia in Norwich. In Norwich besuchte er bei den Romanautoren Malcolm Bradbury und Angus Wilson einen Kurs in Kreativem Schreiben und schloss mit einem Master in englischer Literatur ab.
Bewunderer von Shakespeare und Kafka
Der Schriftsteller, der Autoren wie Shakespeare und Kafka bewundert, feierte sein literarisches Debüt Mitte 20 mit „Erste Liebe, letzte Riten“, Kurzgeschichten, für die er 1976 den Somerset-Maugham-Preis bekam. Es folgten Werke wie „Der Zementgarten“ und „Zwischen den Laken“ (beide 1978), die bitterböse und skurril sind. Inzest, eingelegte Genitalien und ein Mann, der sich in eine Schaufensterpuppe verliebt, brachten ihm den Spitznamen „Ian Macabre“ ein.
Später schrieb McEwan Romane, die den Einbruch von Gewalt in den Alltag thematisierten, zum Beispiel in „Liebeswahn“ (1997) und „Saturday“ (2005). „Schauen Sie die Titelseite der heutigen Zeitung an“, erklärte der Schriftsteller einmal dem „Time“-Magazin seine Wahl düsterer Themen. „Wir sind oft beunruhigt, und Literatur ist verpflichtet, das zu reflektieren. Jede Untersuchung des menschlichen Zustands wird dich an dunkle Orte führen.“
Booker-Preis für „Amsterdam“
Viele von McEwans Romanen fanden auch den Weg auf die Leinwand, darunter „Abbitte“ (2001) mit Keira Knightley und James McAvoy in den Hauptrollen. Für seine Geschichten wurde der Schriftsteller, der auch Kinderbücher schrieb, mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, etwa 1998 mit dem Booker-Preis für „Amsterdam“. 2000 ernannte ihn die britische Königin Elizabeth II. zum Commander of the Order of the British Empire.
2002 erfuhr McEwan, dass er einen Bruder hat, der aus einer außerehelichen Affäre seiner Mutter während des Zweiten Weltkriegs stammte. Sein Bruder Dave Sharp sagte damals der BBC, ihm sei erst bewusst geworden, wie bekannt McEwan sei, als ihr erstes Treffen in einem Pub von Autogrammjägern unterbrochen wurde: „Ich hatte keine Ahnung, wer er war, und ehrlich gesagt spielte es auch keine Rolle, was er machte. Ich wollte nur jemanden aus meiner Familie wiederfinden.“
„Wir hungern nach Gesprächen“
McEwan, der in London lebt, ist in zweiter Ehe mit der Journalistin Annalena McAfee verheiratet. Er hat zwei Söhne aus erster Ehe. Er habe immer gemacht, was er machen wollte, verriet der Schriftsteller einst dem „Guardian“. Dass einmal eine Zeit kommen könnte, in der es keine Bücher mehr gibt, daran glaubt McEwan nicht. „Wir hungern nach Gesprächen und Gedanken über andere, und ich denke, keine andere Form kann dieses Insidergefühl vermitteln.“
Afra Gallati, dpa
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