„Lukrativer als Drogenhandel“
Nach einem erneuten Rettungseinsatz auf einem führungslosen Flüchtlingsschiff im Mittelmeer warnen die Vereinten Nationen (UNO) sowie die EU vor einer neuen Taktik der Schlepperbanden. Die Fälle der führerlos im Meer entdeckten Flüchtlingsboote „Ezadeen“ und „Blue Sky M“ zeigten, „dass Schleuser neue Wege finden, in EU-Territorium zu gelangen“, sagte ein EU-Kommissionssprecher am Freitag der Nachrichtenagentur AFP.
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Die EU-Kommission verfolge diese Fälle genau. Der Kampf gegen Menschenschmuggel werde auch im neuen Jahr zu den Prioritäten der EU-Einwanderungspolitik gehören, sagte der Sprecher. In den vergangenen zwei Monaten seien verstärkt alte Frachter eingesetzt worden, um heimlich Flüchtlinge nach Europa zu bringen, sagte eine Sprecherin des UNO-Flüchtlingshilfswerks UNHCR der Nachrichtenagentur Reuters. Die Schlepper seien nach Einschalten des Autopiloten in kleinen Booten geflohen und hätten die Menschen an Bord ihrem Schicksal überlassen.
„Neue Erscheinung dieses Winters“
Mit den „Geisterschiffen“ zeigen Schlepperbanden nach Ansicht der EU-Grenzschutzagentur Frontex „einen neuen Grad der Grausamkeit“. „Das ist eine neue Erscheinung dieses Winters“, sagte Frontex-Pressesprecherin Ewa Moncure am Freitag in Warschau.
Schon immer seien die internationalen Schlepperbanden rücksichtslos und menschenverachtend gewesen und hätten den Tod von Flüchtlingen auf Booten von Afrika nach Europa in Kauf genommen. „Wenn ein nicht seetüchtiges Schiff, das völlig überladen ist, in Seenot gerät, haben die im Lagerraum eingeschlossenen Menschen keine Chance.“ Dazu kommt die Tatsache, dass die nun aufgetauchten Frachtschiffe sich aufgrund ihrer Größe auch im Winter und bei schlechten Wetterbedingungen auf den Weg machen würden, so Moncure.
Mehrere Tausend Euro für lebensgefährliche Überfahrt
„Das ist ein Multimillionengeschäft“, sagte Moncure über den Schmuggel von Flüchtlingen, die auf eine bessere Zukunft in Europa hoffen. „Aus jedem dieser Flüchtlinge werden mehrere tausend Euro oder Dollar für den Transport auf See gepresst. Da lässt sich leicht ausrechnen, wie viel bei einem Schiff mit mehreren hundert Menschen zusammenkommt.“ Für die Schmuggler lohne sich daher die Rechnung, wenn ein ohnehin bereits ausgemustertes Schiff ohne Crew und Treibstoff auf dem Meer zurückgelassen werde.
Experten schätzen, das Geschäft des Menschenmuggels sei mittlerweile lukrativer als der Drogenhandel rund ums Mittelmeer. Denn die Schlepper haben vor allem einen Trumpf: den starken Drang der Menschen, aus der Hölle Syriens und anderer Krisenstaaten des Nahen Ostens zu entkommen.
„Nur die Hoffnung auf ein neues Leben“
Der syrische Ingenieur Muhammad, der an Bord des am Mittwoch vor Italien geretteten Frachters „Blue Sky M“ war, sagte dem „Corriere della Sera“: „Sie fragen uns, warum wir so viel bezahlt haben, 5.000 oder 7.000 Euro. Aber wenn du nichts mehr hast und nur die Hoffnung auf ein neues Leben, bist du bereit, alles zu tun.“ Sein Ziel wie das der meisten Mitreisenden ist Nordeuropa: Vor allem Deutschland oder die Niederlande, Dänemark und Schweden.
Bei dem von der EU-Grenzschutzagentur Frontex koordinierten Einsatz „Triton“ vor der Küste Italiens wurden seit November 2014 etwa 13.000 Migranten aus Seenot gerettet. Zudem seien 53 Schlepper festgenommen worden. Tausende ertranken jedoch bei der gefährlichen Überfahrt von Afrika nach Europa. Nach Angaben von Frontex gab es bis Ende Dezember fast 80 Such- und Rettungseinsätze. Das sei zwar weniger als während der Sommermonate, aber ein bisher nicht gekannter Anstieg zu dieser Jahreszeit, in der die Schlepper bisher die Fahrt über das Meer wegen der stürmischen See einstellten.
Kritik am Ende von „Mare Nostrum“
Vor dem Beginn von „Triton“ hatte Italiens Marine mit ihrem Einsatz „Mare Nostrum“ Zehntausende Flüchtlinge und illegale Einwanderer im Mittelmeer aus Seenot gerettet - auch außerhalb der italienischen Küstengewässer. Menschenrechtsorganisationen wie Pro Asyl hatten daher die Beendigung von „Mare Nostrum“ kritisiert. Sie halten Umfang und Budget der Mission für zu gering.
Sie befürchten, dass die Zahl der Opfer auf hoher See noch steigen wird. Human Rights Watch forderte die EU noch vor dem Start der Mission „Triton“ auf, eine ausreichende Finanzierung sicherzustellen. Wenn Europa Tragödien auf dem Mittelmeer vermeiden wolle, müsse die Frontex-Mission mit einer ausreichenden Zahl an Schiffen und dem entsprechenden Mandat ausgestattet werden. Großbritannien wiederum begründete seine Weigerung, an der Mission teilzunehmen, damit, dass potenzielle Flüchtlinge sich zu der gefährlichen Überfahrt „ermutigt“ fühlen könnten, wenn Rettung aus Seenot absehbar sei.
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