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Hunderte demonstrieren gegen Urteil

Auf dem Maneschnaja-Platz in der Nähe des Kreml in Moskau haben sich Dienstagabend Hunderte Unterstützer des Kreml-Kritikers Alexej Nawalny versammelt. Sie demonstrierten gegen das zuvor gegen Nawalny und seinen Bruder verhängte Urteil. Nawalny war selbst auf dem Weg zu den Protesten. Doch noch bevor er am Ort der Kundgebung ankam, wurde er erneut von der Polizei festgenommen.

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Der unabhängige Fernsehsender Doschd übertrug die Bilder von der Festnahme des 38-jährigen Anwalts und Bloggers auf offener Straße. Nawalny hatte zuvor über Twitter angekündigt, trotz des Urteils selbst auf die Straße gehen zu wollen. „Ja, es gibt den Hausarrest. Aber heute möchte ich mit Euch sein.“ Er steht wegen Verstößen gegen Bewährungsauflagen seit Februar 2014 unter Arrest. „Einfach hingehen und nicht selbst weggehen, das ist mein ganzer Plan“, sagte Nawalny noch kurz vor seiner Verhaftung zu Journalisten.

„Russland ohne Putin“

Die Moskauer Stadtverwaltung hatte zuvor Nawalnys Anhänger gewarnt: „Alle nicht genehmigten Aktionen werden von den Sicherheitsorganen unterbunden.“ Teilnehmern unerlaubter Proteste drohen in Russland harte Strafen. Die Kundgebung war nicht genehmigt. Die Polizei war daher mit einem Großaufgebot im Einsatz, der Platz wurde weiträumig abgeriegelt. Bis zum Nachmittag hatten mehr als 18.000 Menschen zugesagt.

Bei minus 15 Grad Celsius kamen aber weit weniger Demonstranten als angekündigt. Beobachter sprachen von wenigen tausend Teilnehmern. Die Polizei sprach von insgesamt 1.500 Demonstranten. Diese riefen „Russland ohne Putin“ und „Freiheit für Nawalny“. Die Sicherheitskräfte nahmen über 240 Menschen fest. Nach zweieinhalb Stunden trieb die Polizei die Demonstranten auseinander. Nawalny, der in einem Polizeibus festgehalten worden war, wurde von den Sicherheitskräften nach den Protesten wieder in seine Wohnung gebracht.

Dreieinhalb Jahre Haft

Der Oppositionspolitiker Nawalny wurde am Dienstag zu dreieinhalb Jahren Haft auf Bewährung wegen Unterschlagung verurteilt. Sein Bruder Oleg wurde ebenfalls zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt, allerdings ohne Bewährung. Beiden Brüdern wird vorgeworfen, Geld hinterzogen und anschließend über ein Geflecht von Firmen gewaschen zu haben.

Alexei Navalny mit seinem Bruder Oleg

Reuters/Sergei Karpukhin

Alexej Nawalnys Bruder Oleg (li.) wurde noch im Gerichtsaal verhaftet

Die Verurteilung seines Bruders bezeichnete Nawalny als „Schweinerei“: „Warum schicken Sie ihn ins Gefängnis? Um mich noch härter zu bestrafen?“ Sein Bruder wurde bereits im Gerichtssaal verhaftet. Noch im Gericht richtete Alexej Nawalny eine Botschaft an den russischen Präsidenten Wladimir Putin aus: „Dieses Regime hat kein Recht zu existieren, es muss zerstört werden.“ Die Anwälte der Brüder bezeichneten den Prozess als politisch motiviert. Die Verkündung des Urteils war eigentlich für den 15. Jänner geplant. Hintergrund der Vorverlegung könnte auch gewesen sein, der Opposition dadurch den Wind aus den Segeln zu nehmen.

EU sieht „politische Motivation“

Auch die EU übte heftige Kritik an dem Urteil. Es scheint eine „politische Motivation zu haben“, sagte eine Sprecherin der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini. „Die Anschuldigungen gegen sie (die Brüder Nawalny, Anm.) wurden während des Prozesses nicht untermauert. Mit Ausnahme einiger ausgewählter Medienvertreter hatten weder die Öffentlichkeit noch internationale Beobachter Zugang zum Gericht zur Verlesung des Urteils.“

Die USA kritisierten die Verurteilung Nawalnys ebenfalls: „Das erscheint als ein weiteres Beispiel der zunehmenden Zerschlagung unabhängiger Stimmen durch die russische Regierung“, sagte Außenamtssprecher Jeff Rathke am Dienstag in Washington. Es sei besorgniserregend. Ganz offenbar sollten politische Aktivisten bestraft werden. Auch die Menschenrechtlerin Ljudmila Alexejewa von der Moskauer Helsinki-Gruppe meinte: „Der gesamte Prozess ist politisch.“ Abgeordnete des russischen Parlaments bezeichneten das Urteil indes als zu milde.

Yves Rocher dementiert Schaden

Alexej und Oleg Nawalny wird vorgeworfen, den französischen Kosmetikkonzern Yves Rocher um fast 27 Millionen Rubel - nach damaligem Wechselkurs knapp eine halbe Million Euro - betrogen zu haben, als das Unternehmen ihren Vertriebsdienst benutzte.

Der Finanzdirektor der russischen Filiale von Yves Rocher, Christian Melnik, gab eine Erklärung ab, laut der dem Unternehmen durch die Kooperation mit dem Vertriebsdienst der Brüder Nawalny letztlich kein Schaden entstand. Ursprünglich hatte Yves Rocher jedoch eine Klage gegen unbekannt eingereicht, weil das Unternehmen zunächst davon ausgegangen war, der Transportdienst hätte billiger ausgeführt werden müssen.

Bekannter Gegner Putins

Alexej Nawalny gilt als einer der bekanntesten Kritiker Putins. 2011 hatte er die Massenproteste in Moskau und St. Petersburg gegen Putin mit angeführt. Im vergangenen Jahr erreichte er bei der Moskauer Bürgermeisterwahl mehr als 27 Prozent der Stimmen und wurde Zweiter. Schon 2013 wurde er in einem anderen Fall zu fünf Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Mit dem neuerlichen Urteil ist Nawalnys Ziel, 2018 gegen Putin bei der Wahl zum Präsidenten anzutreten, noch unwahrscheinlicher als ohnehin schon.

Der russische Ex-Oligarch Michail Chodorkowski bezeichnete das Urteil als Rache von Beamten für Nawalnys Kampf gegen Korruption. Der umstrittene Prozess sei für jene wichtig, die Zielscheibe von Nawalnys Aktionen gewesen seien, so Chodorkowski Berichten zufolge am Dienstag. „Es besteht kein Zweifel, dass es keinen Rechtsstaat in Russland gibt“, so Chodorkowski. Seit seiner Entlassung aus einem Straflager 2013 lebt Chodorkowski in der Schweiz. Er gilt wie Nawalny als Gegner Putins.

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