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Neues Selbstverständnis für Hacker

Bis zum 30. Dezember versammeln sich Hacker und Aktivisten rund um den deutschen Chaos Computer Club (CCC) vier Tage lang in Hamburg, um sich beim CCC-Kongress 31C3 über aktuelle Entwicklungen auszutauschen. Beeindruckt zeigten sie sich in der Nacht auf Sonntag bei der Präsentation des Films „Citizenfour“ über die Enthüllungen des US-Whistleblowers Edward Snowden rund um die Spionagetätigkeiten von US-Geheimdiensten.

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Der 3.000 Personen fassende Saal 1 sowie der etwas kleinere Saal 2 im Kongresszentrum CCH in Hamburg waren Samstagnacht bis auf den letzten Platz besetzt, als um Mitternacht der Film der US-Filmemacherin Laura Poitras gezeigt wurde. Einige Male wurde bei „Insiderwitzen“ rund um Themen wie Verschlüsselung gelacht, doch ansonsten herrschte während der rund zwei Stunden dauernden Vorführung neben einigen Malen Applaus absolute Stille - nicht einmal gehustet wurde.

Standing Ovations für Poitras

Umso lauter wurde es dafür im Anschluss, als Poitras bei ihrem Erscheinen auf der Bühne mit minutenlangen Standing Ovations bedacht wurde, die schließlich von der Moderatorin unterbrochen werden mussten. Bei der Fragerunde gab es im Gegensatz zu anderen Sessions des Tages im ersten Moment offenbar keine Fragen zum Gezeigten, wie die Moderatorin verwundert feststellte. „Wir sind sprachlos“, rief ein Zuschauer aus dem Saal. Schließlich gab es dann aber doch noch zahlreiche Fragen aus dem Publikum, die Poitras über eine Stunde lang beantwortete - den Wahrheitsgehalt der eigentlichen Enthüllungen zweifelte dabei allerdings niemand an.

Edward Snowden

AP/Radius TWC

Ausschnitt aus dem Film „Citizenfour“: Snowden erzählt Greenwald, was er über die Spionageaktivitäten weiß

Kinostart im Jänner

„Citizenfour“ ist ab Jänner in heimischen Kinos zu sehen, etwa im Gartenbaukino in Wien und im Mozartkino in Salzburg.

Poitras zeigt in „Citizenfour“, Snowdens Deckname zu Beginn der gemeinsamen Aktivitäten, in ruhigen Bildern die Entwicklungen von Snowdens Kontaktaufnahme mit dem Journalisten Glenn Greenwald im Dezember 2012 und schließlich Poitras selbst bis zu Snowdens Flucht nach Moskau. Verschnitten werden die Aufnahmen aus dem Hotelzimmer unter anderem mit Szenen von Befragungen des damaligen NSA-Chefs Keith Alexander und des Geheimdienstdirektors James Clapper, die beide Spionageaktivitäten der US-Geheimdienste bei US-Bürgern bestreiten beziehungsweise als unbeabsichtigte Möglichkeit darstellen.

Ein Mann mit Auftrag

Snowden wird in der eindrücklichen Dokumentation, die hauptsächlich in einem Hotelzimmer in Hongkong gedreht wurde, als Mann porträtiert, der von seinem Plan, der Welt über die Spionageaktivitäten der Geheimdienste zu berichten, zutiefst überzeugt ist und auch mit absoluter Konzentration an diesem Ziel arbeitet. Er wolle sich nicht aufopfern, sagt Snowden im Film, aber er wolle lieber ins Gefängnis gehen, als sich und seine Gedanken zensurieren zu lassen - und erntet dafür Applaus im Publikum. Snowden ist zum Zeitpunkt der Aufnahmen 29 Jahre alt.

Hackerkongress 31C3 des Chaos Computer Clubs in Hamburg

Werner Reiter

Das Hamburger Kongresszentrum CCH wurde kurzerhand zum CCC umbenannt. Immer dabei: Die Rakete des CCC

Erst im Laufe des Films, als die ersten Informationen die Öffentlichkeit erreichen und ein weltweites politisches Erdbeben auslösen, wird Snowden zunehmend nervös, auch wegen seiner Familie und seiner Freundin, die laut seinen Angaben von all seinen Aktivitäten und seinem Job nichts wusste. Mitunter wird man an einen Agentenfilm erinnert, etwa wenn Snowden das Telefon aussteckt, weil er fürchtet abgehört zu werden, oder sich unter einem Tuch versteckt, um ein Passwort einzugeben. Snowden wirkt dabei authentisch, mitunter wird es auch gespenstisch, wenn er etwa auf dem Hotelbett sitzend mit seiner Freundin über den Computer kommuniziert und sichtlich bedrückt ist - oder Festplatten mit Bohrmaschinen zerstört werden, wie beim britischen Medium „Guardian“ geschehen.

Vom Nerd zum Mainstream

Der CCC war an der Entstehung des Films beteiligt, wird im Abspann vermerkt - und bekommt auch expliziten Dank von Poitras bei Auftritt nach Filmende auf der Bühne. Trotz dieses Wissens rund um die technischen Möglichkeiten der Spionage scheinen die tatsächlichen Entwicklungen auch hier alle überrollt zu haben, wie bereits beim vorjährigen Kongress zu spüren war. Beim 30. CCC-Kongress herrschte trotz des Jubiläums nur wenige Monate nach Snowdens Enthüllungen allgemeine Schockstarre. Dieses Jahr ist nun eine gewisse Aufbruchsstimmung zu spüren, mit „A new Dawn“ (Ein neuer Anfang) gibt es auch wieder ein Motto für den Kongress.

Hackerkongress 31C3 des Chaos Computer Clubs in Hamburg

ORF.at/Nadja Igler

In vielen Bereichen können sich Hacker und Interessierte zusammensetzen, um gemeinsam an Projekten zu arbeiten

„Früher waren wir Nerds, heute sind wir Mainstream“, so CCC-Vertreter bei der Eröffnungsveranstaltung, eine Anspielung darauf, dass viele, die vor Überwachung warnten, vor allem als Paranoiker abgetan wurden. Es habe sich einiges geändert, hieß es mit sichtlicher Freude, so würden etwa deutlich mehr Anbieter wie Google ihre Angebote und Dienste verschlüsseln. Auch das Interesse an den Themen hat wider der allgemeinen Erwartung nicht abgenommen: Laut CCC-Sprecher Frank Rieger waren heuer 30 Prozent der Besucher der Eröffnungsveranstaltung das erste Mal beim Kongress. Bis zu 12.000 Besucher werden insgesamt erwartet, 2013 kamen 9.000 zum Kongress.

Sicherheitslücken im Mobilfunk aufgezeigt

Der erste Tag des Kongresses war abseits davon von einer Reihe interessanter und informativer Vorträge geprägt, die bewiesen, dass es auch nach der Aufdeckung durch Snowden für die Community noch genügend Sicherheitslücken und Schwachstellen in den System zu finden und zu schließen gibt.

Hackerkongress 31C3 des Chaos Computer Clubs in Hamburg

ORF.at/Nadja Igler

Der Kongress zeichnet sich auch durch zahlreiche Lichtinstallationen aus

So demonstrierten Forscher, dass Handys auch im als sicher geltenden UMTS-Netz von Angreifern relativ einfach abgehört, Telefonate umgeleitet und ihre Nutzer auf wenige Meter genau geortet werden können. Basis dafür ist SS7, ein Teil des Mobilfunknetzwerks, zu dem mittlerweile nicht nur Mobilfunker Zugang haben, sondern auch andere Firmen, die auf Basis dessen etwa Bewegungsprofile erstellen.

Biometrie mit Fotoausdrucken

In einem weiteren Vortrag wurden die zahlreichen Schwachstellen von biometrischen Verfahren wie Fingerprints oder Iris-Scans aufgezeigt. Die Forscher der Technischen Universität Berlin konnten etwa von Bildern Fingerabdrücke von deutschen Politikern wie der deutschen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen extrahieren.

Der Vortragende Jan Krissler zeigte weiters, wie er mit einfachen Ausdrucken und einem davor bewegten Stift biometrische Kameras täuschen konnte. Er führte auch vor, wie etwa Codeeingaben aus den Spiegelungen in den Augen auf Bildern abgelesen werden können – Krissler demonstrierte das anhand eines Selfies. „Alles kaputt“, kommentierten CCC-Besucher die ernüchternden Ergebnisse des ersten Tages des 31C3 schließlich auf Twitter.

Nadja Igler, ORF.at

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