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„Willkürlich anmutende Grundlagen“

Nach 13 Jahren endet zum Jahreswechsel der NATO-geführte ISAF-Kampfeinsatz in Afghanistan. Was nach dem Sturz der radikalislamischen Taliban im Jahr 2001 mit einem Sicherungsauftrag für die Hauptstadt Kabul begann, wurde rasch zur Mission im ganzen Land. Eine Mission, die laut Informationen des deutschen Nachrichtenmagazins „Spiegel“ zum Teil auf äußerst dünnen Grundlagen stattfand.

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Bei Geheimoperationen gegen die Taliban in Afghanistan bediente sich die NATO nach Informationen des Magazins einer „Todesliste“, auf der zeitweise mehr als 750 Personen erfasst waren. Die Liste, auf deren Basis zahlreiche tödliche Einsätze durchgeführt wurden, belege, „auf welch dünnen und teils willkürlich anmutenden Grundlagen die Streitkräfte Verdächtige für die gezielten Tötungen nominierten“.

Kampf gegen Terror und Drogen „verschmolzen“

Viele, die sich dem Bericht zufolge auf der „Todesliste“ befanden, waren demnach Taliban der mittleren und unteren Ebene. Manche seien nur auf die Liste geraten, weil sie mit Drogen handelten. Der Krieg gegen den Terror und gegen die Drogen sei in Afghanistan offenbar „faktisch verschmolzen“, zitierte der „Spiegel“ Jennifer Gibson von der Menschenrechtsorganisation Reprieve.

Den Unterlagen zufolge, die zum Teil aus dem Bestand des US-Geheimdienstenthüllers Edward Snowden stammen, nutzten die NATO-Kräfte bei ihrer Zielerfassung unter anderem ein System der Stimmidentifizierung, bei dem es ausreichte, wenn ein Verdächtiger sich in einem überwachten Gespräch einmal namentlich identifizierte.

„Predator“-Drohnen und mit Sensoren ausgerüstete britische Eurofighter hätten dafür die Funksignale am Hindukusch nach bekannten Mobiltelefonnummern abgesucht. Innerhalb der folgenden 24 Stunden habe diese Stimmenerkennung als „positive Zielidentifizierung“ gegolten und damit als Legitimation für einen Luftschlag - dies habe zu Verwechslungen und zum Tod von Zivilisten geführt.

Zahl der toten Zivilisten zuletzt gestiegen

Während des mit Jahresende ablaufenden 13-jährigen Militäreinsatzes in Afghanistan hatten zivile Opfer bei Luftangriffen der internationalen Truppen die Afghanen immer wieder in Wut versetzt. Laut einem UNO-Bericht ist die Zahl der zivilen Opfer im Land bis Ende November um 19 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Demnach wurden 3.188 Zivilisten getötet und 6.429 weitere verletzt. Für drei Viertel der Fälle waren nach UNO-Angaben aber die Taliban verantwortlich.

Die NATO beging das Ende des Kampfeinsatzes am Sonntag mit einer Zeremonie. Im Hauptquartier in Kabul wurde die Flagge der internationalen Schutztruppe ISAF eingeholt und die für den neuen Ausbildungseinsatz „Resolute Support“ gehisst. „Der heutige Tag markiert das Ende einer Ära - und den Beginn einer neuen“, sagte ISAF-Kommandeur John Campbell in einer Rede vor Soldaten. Formell erfolgt der Wechsel auf die kleinere Nachfolgemission zur Ausbildung und Beratung afghanischer Sicherheitskräfte zum Jahreswechsel. An „Resolute Support“ sollen sich etwa 12.500 Soldaten aus 40 Staaten beteiligen.

Wieder mehr Anschläge

Die neue Mission ist nach bisheriger Planung auf zwei Jahre angelegt. Zuletzt nahm die Zahl der Anschläge in Afghanistan wieder deutlich zu. Beobachter befürchten, dass die Gewalt weiteren Auftrieb erhalten könnte. Präsident Ashraf Ghani zeigt sich für Friedensverhandlungen mit den radikalislamischen Taliban offen, was diese jedoch bisher ablehnen.

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