Die Drei-Cent-Lücke
Der Ölpreis fällt und fällt - und auch der Spritpreis, der in den letzten Jahren auf Rekordhöhen gestiegen war, hat in den letzten Wochen und Monaten deutlich nachgegeben. Auch im nächsten Jahr könnte es ähnlich weitergehen. Allerdings mahnt der Autofahrerclub ÖAMTC zur Vorsicht.
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„Der Spritpreis kann sich ganz schnell ändern“, wenn es ein gravierendes Ereignis gebe, insbesondere im Nahen Osten, so die ÖAMTC-Expertin Elisabeth Brandau gegenüber ORF.at. Derzeit sehe es aber nicht danach aus. Vielmehr sei der Ölpreis - und damit auch der Spritpreis - weiter rückläufig. Im November war der monatliche Durchschnittspreis bereits so niedrig wie seit dem Jahr 2010 nicht mehr. Allein von Mitte September bis Mitte Dezember wurden Benzin und Diesel laut ARBÖ jeweils um rund 17 Prozent billiger.
Nuller vor dem Komma?
Im Dezember gingen die Preise nochmals nach unten. Einige wenige Tankstellen senkten noch vor Weihnachten teils die Preise auf unter einen Euro. Doch dass der Durchschnittspreis für einen Liter Sprit demnächst weniger als einen Euro betragen könnte, glaubt Brandau trotzdem nicht. Denn dazu müsste der Ölpreis deutlich unter 50 Dollar pro Barrel (159 Liter) fallen. Das könne aber noch einige Zeit dauern. Auch beim ARBÖ rechnet man damit, dass sich der Spritpreis in den nächsten Tagen und Wochen auf dem derzeitigen Niveau stabiliseren wird. Mittelfristig könnte freilich der derzeit niedrige Ölpreis der Auftakt für eine neue Rally sein: dann nämlich, wenn eine stark zurückgefahrene Ölförderung mit einer Erholung der Wirtschaft zusammentrifft.
Spiel auf Zeit
Grundsätzlich hätten die Mineralölkonzerne die Preissenkungen weitergegeben, doch gebe es weiter eine „Lücke“, sind sich ÖAMTC und ARBÖ einig: Es seien noch zwei, drei Cent an Reduktion drin. Denn wenn man die Preise von 2011 nimmt, die Erhöhung der Mineralölsteuer (und der Mehrwertsteuer) berücksichtigt, bleibe noch der besagte Spielraum. Vergleiche mit Spritpreisstudien des deutschen Autofahrerclubs ADAC zeigten laut Brandau zudem, dass hierzulande die Preisveränderungen immer mit ein paar Tagen Verzögerung im Vergleich zu Deutschland weitergegeben werden - in der Regel Veränderungen zuungunsten der Autofahrer.
Brandau wiederholt einmal mehr grundsätzliche Kritik daran, dass die Mineralölkonzerne den Preis auf dem Rotterdamer Spotmarkt als Richtwert verwenden. Denn „dieser entspricht nicht der Realität, auch wenn die Konzerne das Gegenteil behaupten“. Nur wenige Prozent des gesamten Rohöls würden in Rotterdam gehandelt, so Brandau. Sie fordert vielmehr, dass OMV & Co. jene Preise, zu denen sie das Rohöl tatsächlich kaufen, als Grundlage verwenden. Diese seien niedriger - unter anderem, weil es sich meist um langfristig abgeschlossene Lieferverträge handle. Brandau verweist darauf, dass sich aufgrund der jahrelangen Kritik der Autofahrerclubs nun die EU-Kommission die Spritpreisgestaltung genauer ansehen werde.
Nachteil für Klimaschutz
Aus Sicht von Umwelt- und Klimaschutz ist der derzeit vergleichsweise niedrige Spritpreis nicht positiv. Markus Gansterer, der Experte des Verkehrsclubs Österreich (VCÖ), betonte gegenüber ORF.at, es sei zu befürchten, dass die Österreicher wieder öfter ins Auto steigen werden.
Grundsätzlich sieht Gansterer eine aus Sicht des VCÖ positive Entwicklung: Die Österreicher seien nicht mehr nur auf ein Verkehrsmittel fixiert, die Bereitschaft, zwischen Bahn, Rad und Auto zu wechseln, sei gestiegen. Hier sieht Gansterer eindeutig ein Umdenken im Gange. Der VCÖ-Experte glaubt auch nicht, dass ein solches Umdenken an einen bestimmten Spritpreis gebunden ist. Er wäre jedenfalls „vorsichtig, das an einer konkreten Preisschwelle festzumachen“, so Gansterer.
„Naturgesetz“ durchbrochen
Während der Zeit der hohen Spritpreise habe die jährliche Autofahrleistung erstmals stagniert. Zuvor sei diese über Jahrzehnte „wie ein Naturgesetz“ ständig gestiegen. Zum Spritpreis seien hier auch andere Faktoren dazukommen: die allgemein schwierige wirtschaftliche Lage als unmittelbare Folge der Finanzkrise und auch Maßnahmen wie die Ausweitung der Parkraumbewirtschaftung in Wien.
Als wichtigsten Faktor für den einsetzenden Umdenkprozess sieht Gansterer die „Offenheit, in Alternativen zum Auto zu denken“. Das hänge vor allem mit der Digitalisierung zusammen: Man habe nun den Fahrplan inklusive Verzögerungen in Echtzeit ständig bei sich, und Apps würden helfen, das oder die günstigsten Verkehrsmittel für eine Wegstrecke zu wählen. Ein zweiter wichtiger Faktor sei, dass immer mehr Menschen in den Ballungsräumen leben, wo es selbstverständlicher sei, auf das Auto zu verzichten.
VCÖ ruft nach „Anstößen“ für Umstieg
Von der Politik wünscht sich der VCÖ positive wie negative Anreize für den Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel: also deren Ausbau, die Multifukntionalisierung bestehender Infrastruktur (etwa Radwege neben Landstraßen), eine stärkere Vernetzung des Verkehrsangebots und einen Ausbau der Carsharing-Angebote. Der VCÖ setzt sich zudem dafür ein, dass Diesel gleich stark besteuert wird wie Benzin - eine Forderung, die ÖAMTC und ARBÖ vehement ablehnen. Neben einem verbesserten Angebot brauchte es aber auch „Anstöße“ wie eine stärkere Parkraumbewirtschaftung (sprich: kostenpflichtige öffentliche Parkflächen) und eine Citymaut - für die aus Sicht des VCÖ insbesondere Graz wegen der hohen Feinstaubbelastung infrage komme.
Guido Tiefenthaler, ORF.at
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