Unternehmen unter Sparzwang
Um 40 Prozent und mehr ist der Ölpreis innerhalb eines halben Jahres im Dezember auf ein Fünfjahrestief gefallen. Das kann im Alltag durchaus seine positiven Seiten haben: Das Tanken wurde etwa für Autofahrer spürbar billiger - in vielen Bereichen (etwa bei Flugtickets) kam die Entlastung aber gar nicht bei den Endkunden an.
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Auf der anderen Seite bringt das Tief ganze Staaten wie Russland, den Iran und Venezuela, die hauptsächlich von ihren Öleinnahmen abhängen, in budgetäre Schwierigkeiten. Der schnelle Preisverfall bringt aber vor allem die Ölkonzerne selbst in Schwierigkeiten: Diese müssen den Sparstift ansetzen, um die deutlich geringeren Einnahmen wieder auszugleichen. Die „Finanical Times“ („FT“) spricht bereits drastisch von einem „Survival of the Fittest“.
Kleine Ölförderstationen unrentabel
Bestehende Projekte müssen zurückgefahren werden, geplante Projekte aufgeschoben, erklärte Robin Allan, Präsident des britischen Branchenverbandes BRINDEX. Vor allem kleine, teure Ölfelder könnten dann aufgelassen werden. Einem Bericht der BBC zufolge könnten in den nächsten Wochen Hunderte britischer Ölarbeiter arbeitslos werden. Goldman Sachs hatte errechnet, dass die Ölfirmen ihre Ausgaben um 30 Prozent senken müssen, wenn sie ihre Rentabilität halten wollen.
Den Sparstift würden Ölkonzerne in diesem Fall vor allem bei - noch in der Planungsphase befindlichen - Förderplänen ansetzen. Laut der Beratungsfirma Energy Aspects ist vor allem die Ölsandförderung in Kanada bedroht - denn das rechne sich erst ab einem Verkaufspreis von 80 Dollar pro Fass. Auch US-Schieferöl sei betroffen (kostendeckend ab 76 Dollar) - gefolgt von Tiefseeprojekten in Brasilien und mexikanischen Projekten, die erst ab einem Ölpreis von 75 bzw. 70 Dollar gewinnbringend seien.
OPEC: Erholung erst Ende 2015
Und diese Preise werden wohl erst wieder Ende 2015 erreicht werden. Die großen arabischen Ölproduzenten erwarten nach Angaben aus OPEC-Kreisen bis Ende des kommenden Jahres einen Ölpreis zwischen 70 und 80 US-Dollar (zwischen 57,10 und 65,26 Euro) pro Fass. „Der Preis könnte einige Monate lang 60 Dollar oder so berühren und sich dann erholen“, sagte ein Delegierter gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. 80 Dollar je Barrel sei „ein akzeptables Niveau“. Saudi-Arabien demonstrierte zu Weihnachten nochmals seine Entschlossenheit, die Förderung nicht zu drosseln, selbst wenn der Preis auf 20 Dollar sinken sollte.
„Sieht nicht gut aus“
Mittel- und langfristig sieht es laut „Financial Times“ aber „nicht gut aus“, da in den nächsten beiden Jahren fast alle neuen Ölförderprojekte in Nicht-OPEC-Ländern geplant seien. Und dabei handle es sich großteils um kostenintensive Projekte. Laut Energy Aspects sind allein 2016 1,5 Millionen Fass täglicher Produktion gefährdet, und das bei einem durchschnittlichen Ölpreis von 70 Dollar - also weit über dem aktuellen Marktpreis. Weniger dramatisch sei die Lage bei Projekten, für die es bereits eine Finanzierung gibt. Diese seien erst gefährdet, wenn der der Ölpreis noch deutlich stärker falle.
Bei den Förderprojekten, die noch im reinen Planungsstadium seien, könnten Konzerne jedoch schnell und einfach den Sparstift ansetzen. Die Ölkonzerne seien bereits unter Spardruck gewesen, als der Ölpreis bei 100 Dollar gelegen ist. Analysten rechnen laut „FT“ nun damit, dass Konzernchefs ihre Sparanstrengungen „dramatisch beschleunigen und vertiefen“ werden. Das könnte zu deutlichen Einbrüchen bei der täglichen weltweiten Fördermenge führen - und in weiterer Folge, insbesondere wenn es mit einer durch einen Aufschwung steigenden Nachfrage zusammenfällt, den Ölpreis rasant nach oben schnellen lassen.
Ähnlich drastisch fällt das Szenario von Goldman Sachs aus: Die Investmentbank warnt in einem aktuellen Zehnjahresszenario laut „FT“ vor der Streichung von Projekten im Wert von einer Billion Dollar und dem Wegfall von 7,5 Mio. Barrel Förderung täglich.
Grundlage für nächsten Boom
Der Analyst Paul Horsnell von der Standard Chartered Bank warnt daher bereits, dass das Zurückhalten von Projekten in den nächsten Jahren den Grundstein für einen viel unbeständigeren Ölpreis in der Zukunft lege. Wie schon in der Vergangenheit werde auch jetzt mit dem Zusammenkürzen von langfristigen Investments „die Grundlage für den nächsten Boom geschaffen - sobald die Nachfrage wieder steigt“, so Horsnell.
„Economist“: Gutes Schieferöl
Ganz anders - aus einem stärker politischen Blickwinkel - beurteilt dagegen das Wirtschaftsmagazin „Economist“ die bevorstehende Strukturbereinigung im Ölsektor. Saudi-Arabien wolle das Ölpreisschockszenario der 1970er Jahre vermeiden und sperre sich daher dagegen, den Ölpreis durch Drosselung der Förderung künstlich nach oben zu treiben. Zuletzt bekräftigte Saudi-Arabiens Ölminister Ali al-Naimi am 22. Dezember, dass es nicht im Interesse der OPEC liege, die Produktion zu kürzen, ganz gleich wie weit der Preis falle.
Das setzt einerseits politische Gegner wie den Iran unter Druck und führt andererseits dazu, dass weniger profitable Ölproduzenten in die Pleite getrieben werden. Das betrifft vor allem neue Konkurrenzprodukte aus Nordamerika: Ölsand und Schieferöl. Trotzdem hat laut „Economist“ Schieferöl langfristig eine sichere Zukunft, denn die Fracking-Technologie werde ständig verbessert, und die Förderkosten werden reduziert.
Schieferöl habe den großen Vorteil, so der „Economist“, dass die Investitionskosten im Vergleich zu konventionellen Ölfeldern minimal seien. Während das eine Jahre dauere und oft Hunderte Millionen koste, könne eine Schieferölabbaustätte binnen einer Woche um Kosten von etwa 1,5 Mio. Dollar errichtet werden. Schieferölproduzenten könnten sich damit auch leichter an Veränderungen bei der Nachfrage anpassen. Das werde langfristig die Weltwirtschaft weniger anfällig für Schock und Manipulation machen, zieht der „Economist“ ein - von ökologischen Bedenken in keiner Weise belastetes - positives Resümee über die Schieferölförderung.
Schwache Nachfrage treibt Preis nach unten
Kurzfristig ist aber keine Veränderung in Sicht: Laut der Internationalen Energieagentur (IEA) lasse der Förderboom vor allem in den USA bisher nicht nach. Dadurch stiegen weltweit die Lagerbestände. Zugleich werde mit einem geringeren Eigenbedarf in Ölexportländern wie Russland gerechnet. Es werde einige Zeit dauern, bis Angebot und Nachfrage wieder im Gleichgewicht seien, so die IEA weiter - oder es kommt zum befürchteten Ausschlag des Preispendels in die andere Richtung.
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