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Den „Irren vom Rand das Feld überlassen“

Die Filmfirma Sony sind nach dem Beschluss, ihre Nordkorea-Komödie „Das Interview“ nach Terrordrohungen zurückzuziehen, unter Beschuss geraten. Hollywood-Prominenz und Brancheninsider gleichermaßen wetterten gegen den Entschluss, den sie als dramatischen Dammbruch sehen. „Ein trauriger Tag für die Kreativität“, schrieb etwa Komiker Steve Carell bei Twitter.

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Nach seinem Tweet postete Carell außerdem wortlos ein Bild aus Charlie Chaplins „Der Große Diktator“, in dem es Chaplin damals satirisch mit Hitler aufnahm. Schauspieler Ben Stiller betonte ebenfalls mit einem Sujet aus dem Film auf Twitter: „Es ist wirklich schwer zu glauben, dass das die Antwort auf eine Bedrohung der freien Meinungsäußerung hier in Amerika ist.“ Talkmaster Jimmy Kimmel sprach von einem „unamerikanischen Akt der Feigheit, der terroristische Handlungen bestätigt und einen ungeheuerlichen Präzedenzfall schafft“.

„Die Hacker haben gewonnen“

Schauspieler Rob Lowe, der in „The Interview“ mitspielt, zeigte sich erschüttert. „Wow. Alle geben klein bei. Die Hacker haben gewonnen. Hollywood hat Neville Chamberlain heute stolz gemacht“, sagte er in Anspielung auf die Beschwichtigungspolitik des einstigen britischen Premierministers Chamberlain gegenüber den Nazis vor dem Zweiten Weltkrieg. Die US-Regierung ist überzeugt, dass nicht nur Terrordrohungen gegen Besucher von „Das Interview“ aus Nordkorea kamen, sondern auch die gewaltige Cyberattacke auf Sony von Pjöngjang orchestriert wurde.

Szene aus dem Film "The Interview"

APA/AP/Columbia Pictures - Sony, Ed Araquel

Schauspieler Randall Park als Kim Jong Un in „Das Interview“

Experten zeigten sich besorgt über einen möglichen Präzedenzfall. Es sei beunruhigend, dass Filmstudios „Irren vom politischen Rand das Feld überlassen“ und sich darin beeinflussen lassen könnten, „welche Filme sie machen und welche Filme sie herausbringen“, sagte Dozent Richard Walter von der Film School der University of California in Los Angeles. Der Filmwirtschaftsberater Efraim Levy warnte gegenüber der Nachrichtenagentur AP, das Resultat von Sonys Taktik könnte ein Schwenk zu Filmen sein, die „niemandem wehtun“. „Die künstlerische Freiheit steht auf dem Spiel.“

Auch Nordkorea-Thriller gestoppt

Die Terrordrohungen wegen „The Interview“ wirken sich auch auf andere Hollywood-Projekte aus. Wie die Filmwebsite Deadline.com berichtete, steigt die zum Filmstudio 20th Century Fox zugehörige Produktionsfirma New Regency aus Gore Verbinskis („Fluch der Karibik“) in Nordkorea angesiedeltem Thriller „Pyongyang“ aus.

Wahllos aus „einem Haufen Diktaturen“ gepickt

Es entbehrt dabei nicht einer gewissen Ironie, dass sich Hollywood ausgerechnet für „Das Interview“ in die Bresche wirft oder werfen muss. Wie auch Hauptdarsteller, Regisseur und Autor Seth Rogen einräumte, soll „Das Interview“ nur respektloser Klamauk sein. Man habe einfach „einen Haufen Diktaturen durchforstet“ und sich für die entschieden, die den bizarrsten Hintergrund für die derbe Filmklamotte abgegeben habe, so Rogen zuletzt in einem Interview mit AP. Statt irgendeines fiktiven Diktators habe man sich „doch gleich für was Echtes“ entschieden.

Dass Rogen und sein eingespielter Partner hinter der Kamera, Evan Goldberg, nicht gerade die feine Klinge in Sachen Humor führen, beweisen sie seit ihren Anfängen als Masterminds hinter der „Ali G. Show“ von Komiker Sacha Baron Cohen. Zum Unterschied etwa vom Marionettenfilm „Team America“ aus dem Jahr 2004, der im Klamaukgewand tatsächlich bitterböse Kritik unter anderem am nordkoreanischen Regime übte, ist „Das Interview“ politisch geradezu harmlos. Statt Satire dominiert Slapstick.

Plötzlich ein Schmuddelkind

Sony erklärte noch am Donnerstag, dass nie jemand den Film zu Gesicht bekommen solle. Demnach wurde nicht nur der Kinostart gestoppt, auch von einer Vermarktung über DVDs und im TV wollte das Studio absehen. Damit verzichtet Sony auf geschätzte 90 Millionen Dollar (73 Mio. Euro) - erwartete 130 Millionen Dollar Einnahmen bei Produktionskosten von 40 Millionen. Trotz der gewaltigen Summe, die etwa ein Neuntel des Jahresgewinns von Sony Pictures ausmacht, ist das derzeit wohl eine der geringeren Sorgen des Studios.

Es geht vor allem um den verheerenden Hack der IT-Infrastruktur von Sony: Auch wenn in der Öffentlichkeit nun „Das Interview“, das geleakte „James Bond“-Drehbuch und letzte Woche unflätige Mails über Angelina Jolie und andere Hollywood-Prominenz diskutiert werden - der Schaden von Produktionsinterna, Kreditkartendaten und persönlichen Informationen von Mitarbeitern ist viel größer. Dass ausgerechnet der Konzern Sony so schlecht auf seine Daten aufgepasst hat, trägt zum plötzlichen Schmuddelkind-Status in der Branche zusätzlich bei.

Blamable Korrespondenz

Außerdem findet sich in den gehackten Daten auch reichlich Korrespondenz zu „Das Interview“, die lange vor den Drohungen und dem Hack stattfand. Daraus geht etwa hervor, dass die Sony-Chefs ein weniger drastisches Ende orderten, als es für den Filmdiktator tatsächlich geplant gewesen wäre. Auch verlangten führende Mitarbeiter, nicht namentlich mit dem Film in Verbindung gebracht zu werden.

Filmwissenschaftler Seth Shapiro meinte etwa: „Wird Sony der Ansprechpartner für Hollywoods Topriege sein? Nein. Nicht so bald wieder.“ Zumindest Rogen und Goldberg wollen Sony die Treue halten. Das Studio habe immerhin die Schneid gehabt, den Film überhaupt zu machen. Die japanische Zentrale des Sony-Konzerns bezog zu dem Hacker- und Filmskandal bisher mit keinem Wort Stellung, offenbar an das alte japanische Sprichwort glaubend: Schlechte Nachrede verschwindet nach 75 Tagen von selbst.

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