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Strategisch bedeutende Lage

Der Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) im Irak und in Syrien füllt fast täglich die Schlagzeilen. Der Jemen gerät nur selten und wenn meist mit Selbstmordattentaten und Geiselnahmen ins Blickfeld der westlichen Öffentlichkeit. Die dortigen Entwicklungen haben aber nicht zuletzt aufgrund der strategischen Lage enorme Auswirkungen - auf den Nahen Osten und auch auf den Westen.

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Eine gefährliche Mischung charakterisiert den Jemen - instabile politische Verhältnisse, eine erstarkende Unabhängigkeitsbewegung im Südjemen und ein wichtiges Rückzugsgebiet der Terrorgruppe Al-Kaida. Al-Kaida auf der Arabischen Halbinsel (AQAP) zählt zu den stärksten Ablegern des Terrornetzwerks. Der Jemen befindet sich in einem politischen Umbruch. Eine entscheidende Rolle spielt dabei die mehrheitlich schiitische Huthi-Bewegung aus dem Norden des Landes.

Karte des Jemen und der Region bis Syrien

APA/ORF.at

Der Stamm der Huthi entwickelte sich von einer bekämpften Minderheit zu einer mächtigen Miliz. Die Bewegung schaffte es im September dieses Jahres mit Zehntausenden Anhängern unter Führung von Abdel Malik al-Huthi, die Regierung zu stürzen und die Hauptstadt Sanaa weitgehend unter ihre Kontrolle zu bringen. Die Huthis forderten mehr politische Mitbestimmung. Anfang November stimmten die Konfliktparteien der Bildung einer Regierung aus weitgehend unabhängigen Experten zu.

„Frische Kraft im Land“

Direkt sind die Huthis nicht an der Regierung beteiligt, die Mitsprache auf politischer Ebene erzwingen sie durch ihre militärischen Erfolge und Druck auf Präsident Abd Rabbo Mansur Hadi. „Sie üben Einfluss aus, ohne selbst direkt beteiligt zu sein“, erklärt die Islamwissenschaftlerin Marie-Christine Heinze von der Universität Bonn im ORF.at-Interview. Mit diesem Zug schafften die Huthis etwas, das nicht einmal der „arabische Frühling“ geschafft hatte - eine Ablöse der alten politischen Eliten im Jemen. „Sie galten als frische Kraft im Land. Das gab ihnen Legitimität“, erklärt die Jemen-Expertin.

Huthis

Die Huthis sind mehrheitlich Anhänger einer schiitischen Strömung des Islam, der Saiditen. Ihr Name leitet sich von dem 2004 getöteten Geistlichen Hussein al-Huthi ab, der aus dem Stamm eine politische Bewegung machte. Im „arabischen Frühling“ kämpften die Huthis gegen Korruption und Günstlingswirtschaft.

Die Huthis fahren eine zweigleisige Strategie. Zum einen sind sie mittlerweile aus dem politischen Leben nicht mehr wegzudenken. Bereits seit 2013 sind sie am nationalen Dialog beteiligt und setzten sich für eine breitere Regierung ein. Zum anderen bauen sie auf militärische Stärke und dringen mit Gewalt Richtung Süden und Osten des Landes vor. Je mehr sie Richtung Süden vorstoßen, desto heftiger sind die Gegenattacken von Al-Kaida.

Heinze: „Als Rechtfertigung dient ihnen der Kampf gegen Al-Kaida. Das Misstrauen insbesondere der Bevölkerung im Süden wächst dadurch aber. Radikale Strömungen wie Al-Kaida bekommen mehr Zulauf und Legitimation. Das macht es sehr gefährlich.“ Denn aufgrund des Vormarschs der Huthis kämpfen zusehends auch sunnitische Stammesmilizen an der Seite von Al-Kaida gegen die schiitisch dominierte Huthi-Miliz.

Entscheidende Schiffsroute für Europa

Für den Westen ist ein stabiler Jemen von entscheidender Bedeutung. Je mehr sich die Auseinandersetzungen in den Süden des Landes ausdehnen, desto mehr ist auch die knapp 30 Kilometer breite Meeresstraße Bab al-Mandab bedroht, die für die europäische Wirtschaft große Bedeutung hat. Denn die Schiffshandelsroute zwischen Europa und Asien verbindet das Rote Meer mit dem Golf von Aden und ist ohnehin bereits durch Piraterie aus Somalia stark gefährdet.

Hafenstadt Aden im Jemen

Reuters/Khaled Abdullah

Durch den Golf von Aden verläuft eine wichtige Handelsroute nach Europa

Schon jetzt ist die Angst vor einem Terrorismusexport durch eines der aktivsten Al-Kaida-Netzwerke groß. Befürchtet wird, dass der Jemen im Fall eines erfolgreichen Kampfes gegen den IS in Syrien und dem Irak zu einem Rückzugsgebiet für Dschihadisten werden könnte. Nicht zuletzt deshalb sei der Kampf der Huthis und der USA gegen Al-Kaida im Jemen relevant, betont Heinze: „Wenn sich Al-Kaida halten kann und Zulauf vom IS bekommt, ist das eine große Gefahr.“ Für Washington ist AQAP der gefährlichste Ableger des Terrornetzwerks. Von hier ausgehende Anschläge im Westen werden befürchtet. Die USA fliegen daher regelmäßig Angriffe auf Al-Kaida im Jemen.

Saudi-Arabien geschwächt

Im Jemen treffen sich zudem die machtpolitischen Interessen des Iran und Saudi-Arabiens. Es geht um die Vorherrschaft in der Region. Der saudische Nachbar im Norden hat aufgrund seiner langen, großteils ungesicherten Grenze ein Interesse an einem weitgehend stabilen Jemen. Riad fürchtet eine Migrationswelle ungelernter Kräfte und eine Infiltration durch das Terrornetzwerk Al-Kaida. Allerdings liefe eine zu große Stabilität des Landes ebenfalls den Interessen Saudi-Arabiens zuwider. „Der Jemen ist in der Region als Republik das einzige Gegenmodell zu den Monarchien. Dieses Modell sollte nicht zu erfolgreich sein“, erklärt Heinze.

Hisbollah und Teheran als Berater

Mit dem Erstarken der schiitisch dominierten Huthi-Bewegung verlor Saudi-Arabien an Einfluss - die zuvor unterstützten Kräfte sind nicht mehr relevant, und die Muslimbrüder stehen in Saudi-Arabien auf der Terrorliste. Riad verstärkte zuletzt seine Truppen an der Grenze zum Jemen. Besorgt ist Saudi-Arabien vor allem aufgrund der besonderen Rolle des Iran, des großen Gegenspielers des sunnitisch-wahhabitischen Königreichs.

Denn die Huthis sind eng mit dem Iran und der schiitischen, vom Iran unterstützten Hisbollah-Miliz im Libanon verbunden. Ob die Huthis tatsächlich mit Geld und Waffen aus dem Iran unterstützt werden, wie in den USA behauptet wird, ist nicht bewiesen. Fakt ist, dass der Iran die Huthis mit politischer Beratung unterstützt. Für die militärische Strategie nimmt die schiitische Bewegung Anleihen bei der Hisbollah. Aus diesen Kooperationen - Medientraining inklusive - entstand auch ein eigener TV-Kanal der Huthis.

Atomverhandlungen ebenfalls Faktor

Auch ein erfolgreicher Abschluss der Atomverhandlungen des Westens mit dem Iran könnte sich auf den Jemen auswirken. Gibt es eine Einigung, stärkt das die Legitimität des Iran - in der Region würden sich die Kräfteverhältnisse ändern. Heinze: „Das könnten die Saudis als Bedrohung betrachten.“

Unklar ist, wie weit die Huthis noch in den Süden vordringen und ob sie es schaffen, ihre Machtposition aufrechtzuerhalten. Ihr Agieren auf politischer Ebene werde durch das militärische Vorgehen konterkariert, so Heinze. Der Widerstand gegen den wachsenden Einfluss der Huthis wächst. Attacken und Attentate auf Stammesangehörige stehen an der Tagesordnung. Heinze: „Die vertriebenen Akteure werden misstrauischer.“

Simone Leonhartsberger, ORF.at

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