Themenüberblick

Umsturz ohne Systembruch

Der rumänische Langzeitdiktator Nicolae Ceausescu hatte die politischen Umbrüche im kommunistischen Ostblock - von Polen und Ungarn über den Berliner Mauerfall bis zur „Samtenen Revolution“ in der Tschechoslowakei - monatelang ungerührt ausgessen. Auch von außen deutete Anfang Dezember 1989 nichts darauf hin, dass das vom Familienclan und dem Geheimdienst Securitate mit eisernem Griff regierte, wirtschaftlich völlig heruntergekommene Land vom revolutionären Fieber erfasst werden könnte.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Doch dann machte Ceausescu einen entscheidenden Fehler: In der revolutionären Stimmung - denn auch im abgeschotteten Rumänien war die Nachricht vom Fall der Regime in Warschau, Budapest, Prag und Ostberlin angekommen - versuchte der Diktator auch die kleinste kritische Regung zu unterdrücken und nahm den reformierten Pfarrer Laszlo Tökes im Westen des Landes wegen mehrere regimekritischer Aussagen ins Visier. Als dessen Gemeinde im westrumänischen Timisoara (Temeswar) im Dezember erfuhr, dass Tökes auf Druck des Regimes in ein kleines Dorf strafversetzt werden sollte, kam es zu Mahnwachen vor seinem Haus, die sich am 16. Dezember zu einer Demonstration gegen Ceausescu entwickelten.

Die letzte Rede vom rumänische Langzeitdiktator Nicolae Ceauscescu

AP/Agerpres

Ceausescus vorletzte Rede am 21. Dezember: Nicht zu sehen ist die Menschenmenge, die nicht mehr applaudiert, sondern aufbegehrt

Am 17. Dezember fielen die ersten Schüsse in Timisoara. Daraufhin ließ Ceausescu den Armee-Einsatz verstärken und verabschiedete sich am 18. Dezember zu einem Staatsbesuch in den Iran. Bis zu seiner Rückkehr am 20. Dezember eroberten jedoch die Revolutionäre Timisoara, die Armee wechselte ins Lager der Aufständischen. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich der Aufstand gegen Ceausescu im Land.

Von Timisoara nach Bukarest

Am 21. Dezember erreichte die Protestwelle die Hauptstadt Bukarest. Ceausescu hatte dort das Volk zu einer der üblichen Großkundgebungen aufgerufen, doch dabei wurde er zum ersten Mal in seinem Leben vom Publikum ausgebuht. Verzweifelt versprach er dem Volk höhere Löhne und Pensionen. Bis in die Nacht hinein gab es Kundgebungen, Barrikaden, Angriffe auf Panzerfahrzeuge der Armee. Demonstranten schnitten das kommunistische Wappen aus rumänischen Fahnen, die daraufhin mit einem Loch in der Mitte geschwenkt wurden.

Ein Hubschrauber mit Ceausescu an Bord fliegt über Bukarest

Reuters/Lucian Crisan

Für alle sichtbar ergreift das Diktatorenpaar die Flucht

Tags darauf ließ Ceausescu eine weitere „Sympathiekundgebung“ organisieren, die noch mehr misslang als jene vom Vortag. Vor lauter Protestrufen kam er fast nicht mehr zum Sprechen, ruderte auf dem Balkon des Zentralkomitees nur noch hilflos mit den Armen. In der Füh hatte sich sein Verteidigungsminister Vasile Milea das Leben genommen. Ceausescu ernannte den Armeegeneral Victor Athanasie Stanculescu zu Mileas Nachfolger.

Flucht in die Falle

Stanculescu übernahm durch ein raffiniertes Doppelspiel eine Schlüsselrolle. Er organisierte die „Flucht“ des Ehepaares Ceausescu mit dem Hubschrauber, die aber in Wirklichkeit eine Gefangennahme war. Gleich danach befahl er der Armee, sich zurückzuziehen. Stanculescu ließ sich ein Bein in Gips legen, verschwand unter diesem Vorwand für drei Tage aus der Öffentlichkeit, organisierte aber zugleich Ceausescus Hinrichtung - die nach einem letzten quasi-stalinistischen Schauprozess am 25. Dezember stattfand.

Das Ehepaar Ceauscescu kurz vor der Hinrichtung

AP

Elena und Nicolae Ceausescu während des von moskautreuen Kommunisten im Eilverfahren durchgezogenen Geheimprozesses

Blutiger Kontrapunkt

Bilder vom Prozess und von der Hinrichtung wurden noch am selben Tag im rumänischen Fernsehen gezeigt und gingen um die ganze Welt. Die groben Bilder von einem Diktatorenpaar, das den Lauf der Ereignisse verständnislos verfolgt, und deren blutigen Leichnamen nach der Erschießung waren ein fassungslos machender Kontrapunkt zu all jenen Bildern von Befreiung und Freiheit aus den anderen Ländern, die in den Monaten und Wochen zuvor friedlich ihre kommunistischen Regime abgeschüttelt hatten.

Der tote Ceausescu

picturedesk.com/AFP/ROMPRES

Ceausescu diente der weiterregierenden kommunistischen Elite als Sündenbock

Bis dahin fanden in Bukarest heftige Kämpfe zwischen Revolutionären und bis heute mysteriösen „Terroristen“ statt. Damals hieß es, Ceausescu-Anhänger aus der Geheimpolizei Securitate würden auf das Volk schießen. Doch bis heute halten sich Theorien, laut denen Ceausescus Nachfolger Ion Iliescu bewusst Verwirrung gestiftet habe, um die eigene Position zu festigen. Die meisten Revolutionstoten - landesweit insgesamt 1.142 - starben zwischen dem 22. und dem 25. Dezember. Iliescu war ein moskautreuer Kommunist und deswegen von Ceausescu kaltgestellt worden. An der Spitze einer von Altkommunisten dominierten Front der Nationalen Rettung (FSN) übernahm Iliescu schließlich nach Ceausescus Sturz die Macht.

Täter nie zur Verantwortung gezogen

Tatsächlich wurde die Revolution vom kommunistischen Establishment abgewürgt. Der Umsturz stellte sich letztlich als nicht viel mehr als eine Palastrevolte heraus. Bis heute wurde - außer den Ceausescus - kein einziger Rumäne für Folter, Verfolgung, Terror und Verarmung während der kommunistischen Herrschaft strafrechtlich zur Verantwortung gezogen. Zahlreiche Opfer und Täter sind mittlerweile gestorben.

Kampfszene aus Bukarest im Dezember 1989

Reuters/Charles Platiau

Nach wenigen Tagen brachten die neuen und alten Machthaber die Revolution zum Schweigen

Eine vor sieben Jahren veröffentlichte Liste des Instituts für die Untersuchung kommunistischer Verbrechen mit 170 Personen, die für eine Anklage infrage kämen, führte bisher zu keiner einzigen Verurteilung. Ein einziger Prozess startete diesen Herbst - gegen den mittlerweile 89-jährigen ehemaligen Gefängnisleiter Alexandru Visinescu.

Verdrängung und Verharmlosung

Dass die Vergangenheit nicht juristisch aufgearbeitet wird, habe, so die Korruptionsexpertin Laura Stefan vom Bukarester Thinktank Expert Forum gegenüber dem britischen „Guardian“, „viele Auswirkungen darauf, wie unsere Gesellschaft heute ist“. Eine der Folgen ist eine wachsende Ceausescu-Nostalgie. So war vor der jüngsten Präsidentenwahl in einer Umfrage fast ein Viertel der Rumänen der Meinung, dass Ceausescu als Staatschef am geeignetsten war. Viele Rumänen setzen nun auf den neuen Präsidenten Klaus Johannis aus Sibiu (Hermannstadt). Mit ihm, so die Hoffnung, könnte der Prozess der Veränderung, die vor 25 Jahren in seiner westrumänischen Heimat von Laszlo Tökes eingeleitet wurde, fortgesetzt werden.

Links: