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„Wirtschaft fehlt Humankapital“

Die fehlende soziale Durchlässigkeit des österreichischen Bildungssystems haben bereits etliche Studien kritisiert. Doch damit Hand in Hand geht auch, dass sozialer Aufstieg immer schwieriger wird. In 80 Prozent der OECD-Länder habe sich die soziale Ungleichheit in den vergangenen 30 Jahren verstärkt, hieß es in einer Enquete des Hauptverbands der österreichischen Sozialversicherungsträger. Und das sei eine Gefahr für das Wirtschaftswachstum.

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„Ein Teil der Bevölkerung wird nicht ausgebildet“, so Karl Aiginger, Leiter des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO). Dieser Teil sei im Schulsystem nicht integriert und habe auch zu wenig Weiterbildung.

Die Folge: „Die Wirtschaft hat zu wenig Humankapital, das ist die wichtigste Wachstumsquelle in einem wohlhabenden Land, wie das Österreich ist.“ Die meisten Vermögensunterschiede seien nicht während eines Lebens erworben, sondern geerbt, so Aiginger, wie auch das Ö1-Mittagsjournal berichtet - mehr dazu in oe1.ORF.at.

Chancen für sozial Schwache verschlechtert

Reiche würden tendenziell reich bleiben, für Arme sei der Aufstieg kaum möglich, sagte die Soziologin Dorothee Spannagel vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung in Düsseldorf. Erwerbsarbeit werde in Deutschland als Grundlage für Reichtum tendenziell unwichtiger, Reiche beziehen einen steigenden Anteil ihrer Ressourcen aus Vermögenseinkommen. Und die Reichen und sehr Reichen konnten trotz Wirtschafts- und Finanzkrise ihre gehobene Lage sichern.

Die Chancen für sozial Schwache hätten sich in den vergangenen Jahren deutlich verschlechtert. In der Nachkriegszeit sei die soziale Mobilität höher gewesen, so Spannagel. Damals sei es möglich gewesen, allein mit Bildung durch entsprechende Berufe einen Aufstieg auch innerhalb einer Generation zu schaffen.

Bei Bildung schon vor Schulbeginn ansetzen

Leichter, als Einkommensunterschiede über Steuern auszugleichen, sei es, sie von Anfang an zu verhindern, so Aiginger. Dafür müssten Bildungschancen angeglichen werden. „Es gilt nicht bloß die Symptome zu beseitigen, sondern ihre Wurzeln auszureißen“, so der WIFO-Chef. "Diese Wurzeln sind Ungleichheiten in der Bildung, Bildungsvererbung, aber auch Genderunterschiede während der Erwerbsarbeit.

Wilfried Altzinger, Wirtschaftswissenschaftler an der Wirtschaftsuniversität Wien, erachtet als wesentlichen Hebel Bildung. Und da müsse man möglichst früh - also noch vor dem Schulbeginn - ansetzen. Die ersten Lebensjahre seien ausschlaggebend, so Altzinger. In diesem Bereich ist es vonseiten der öffentlichen Hand gut möglich, einzugreifen - insbesondere bei sozial benachteiligten Familien.

Viele Studien, ein Ergebnis

Altzinger erhob für Österreich einen engen Zusammenhang zwischen Bildung der Eltern und Bildungsabschlüssen ihrer Kinder: Während die Kinder von Eltern mit Pflichtschule als höchste abgeschlossene Schulbildung nur in sechs Prozent aller Fälle einen akademischen Abschluss erreichen, sind es bei Kindern von Eltern mit Universitätsabschluss 54 Prozent. Die Bildungsunterschiede seien immer auch mit Einkommensunterschieden verbunden.

Er ist freilich nicht der Erste, der diese Daten liefert: Schon unzählige andere Studien haben den starken Zusammenhang zwischen dem Bildungsstand der Eltern und den Leistungen der Schüler dokumentiert. Im Vorjahr kam die von Statistik Austria präsentierte Analyse „Bildung in Zahlen 2011/12“ zu diesem Schluss, 2012 waren es die Ergebnisse der ersten Bildungsstandard-Testungen in Mathematik in der achten Schulstufe sowie die Volksschulvergleichsstudien PIRLS (Lesen) und TIMSS (Mathematik, Naturwissenschaften). Und 2011 war die Vererbung von Bildung eine der zentralen Erkenntnisse der PISA-Studie sowie auch von Erhebungen der OECD.

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