Themenüberblick

„Das wärmende Gefühl des Zusammenstehens“

30 Jahre Sternmarsch in die Au beschäftigen die politischen Gemüter in Österreich noch heute. War es der Beginn der Ökobewegung, die „Geburtsstunde der Grünen“ - oder nicht? War es ein grundsätzliches Bürgererwachen gegen den österreichischen Modus des „Nach-oben-Buckelns“ und die Ansicht, die Mächtigen wären immer im Recht? Wenn am 8. Dezember ein neuer Sternmarsch in die Au angetreten wird, dann offenbart sich auch, wie der Blick auf die Zeitgeschichte von Erzählungen und Wahrnehmungen geprägt ist.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Von einem „Pfadfinderlager“ hatte der innerparteiliche SPÖ-Rebell der 1980er Jahre, Josef Cap, einmal beim Rückblick auf die Besetzung der Hainburger Au ab dem 8. Dezember 1984 pointiert gesprochen. Heute sieht er das abgeklärter: „Hainburg war schon ein demokratiepolitischer Meilenstein“, so der frühere SPÖ-Klubobmann in der letzten ORF-Sendung „Stöckl“. Innerparteilich, so Cap, sei der Widerstand gegen die Wasserkraft schwieriger zu argumentieren gewesen als der Widerstand gegen Zwentendorf 1978.

Karte zeigt den Standort der Besetzung und das geplante Wasserkraftwerk in der Hainburger Au 1984

APA; ORF.at

Die Karte zeigt die ungefähre Lage des Kraftwerks in der der Stopfenreuther Au vor der geplanten Umleitung des Flussverlaufs

Rupprechter: „Es war mehr eine Bürgerbewegung“

Der heutige Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter (ÖVP), Jahrgang 1961, erinnert sich wieder an andere Beweggründe, warum er wie andere aus dem bürgerlichen bzw. bäuerlichen Lager im Advent 1984 in die Au gepilgert ist: „Es war mehr eine Bürgerbewegung. Es waren viele Bürgerliche dabei. Und es war auch ein Protest gegen die damalige Regierung.“ In der Diskussion bei Claudia Stöckl betont Rupprechter vor allem den Beweggrund des Mitentscheidenwollens: „Wir waren gegen dieses Drüberfahren.“

Man sei schon für den Schutz der Au gewesen, aber entscheidender sei noch zu sehen, dass damals für den Bau des Kraftwerks „auch Gesetze gebrochen wurden“. „Es war sicherlich auch die Sternstunde aller Grünbewegten, die sich über alle Parteien hinweg gebildet haben, also auch der SPÖ“, so der heutige Landwirtschaftsminister, der die oft pointierte Zuspitzung zur Lagerfeuerromantik von Hainburg für sich so auf den Nenner bringt: „Es gab das wärmende Gefühl des Zusammenstehens.“

„Entscheidend war der demokratiepolitische Effekt“

Freda Meissner-Blau, damals wie viele spätere Grüne, etwa Alexander Van der Bellen, noch in der SPÖ, erinnert sich heute an den Enthusiasmus, der von dem Projekt Sternmarsch ausging. „Das war der Anfang von einem sehr starken Enthusiasmus. Wir haben mit 500 gerechnet, aber es waren dann 10.000“, so Meissner-Blau, die auch darauf verweist, wie man vor der Zeit Sozialer Netzwerke Gruppen von Menschen hinter einem Projekt versammeln konnte: „Man hat Telefonketten gemacht, zehn angerufen, zehn haben weitere zehn angerufen usw. Das Entscheidende war der demokratiepolitische Effekt, dass die Menschen draufgekommen sind, dass wir das Schicksal mitbestimmen können.“ Hainburg habe zur Erkenntnis geführt, dass die Mächtigen gar nicht so mächtig seien, „wie die immer dachten“. „Es ist das Ende des Nach-oben-Duckens in diesem k. u. k. Österreich.“

„Pressekonferenz der Tiere“

Der Widerstand gegen Hainburg ging durch alle politischen Lager. Gegen das Kraftwerk opponierten etwa Günther Nenning (SPÖ), Freda Meissner-Blau (damals SPÖ), Hubert Gorbach (damals FPÖ), Friedensreich Hundertwasser, Peter Turrini und Arik Brauer. Ein überparteiliches Personenkomitee mit Konrad Lorenz an der Spitze wurde geschaffen. Den Sprung ins Bewusstsein der Bevölkerung schafften die Opponenten mit der „Pressekonferenz der Tiere“ am 7. Mai 1984: Nenning war als „roter Auhirsch“ verkleidet, der Wiener Stadtrat Jörg Mauthe (ÖVP) als Schwarzstorch, Gorbach als Blaukehlchen, Peter Turrini als Rotbauchunke, Othmar Karas (ÖVP) kam damals als Kormoran.

Cap erinnert an Gräben in SPÖ

Für Cap bleibt die Erinnerung an innere Konflikte in der SPÖ. In einer kleinen Gruppe habe es die Erkenntnis gegeben, dass „das natürzerstörende Wachstum kein Programm sein“ könne, so Cap. Es sei aber auch „die Frage des Gegenwissens zum Expertenwissen der damaligen Zeit“ gewesen, so Cap. Damals seien das Atomparadigma und das Wachstumsprogramm gerade in der Gewerkschaft sehr stark gewesen. Den Kampf für eine Wende des Denkens habe man letztlich „publizistisch führen“ müssen. „Es war eine Frage, welchen Weg die SPÖ gehen kann - kann sie die Umweltströmungen in sich aufnehmen? Es hat eine wachsende Zahl gegeben, die ein anderes Wachstumsmodell wollten. Die Gewerkschaft war damals dagegen“, so Cap.

Ein „Waterloo“ für Rot-Blau

Bei einem Sternmarsch von rund 5.000 Umweltschützern in die Hainburger Au formierte sich am 8. Dezember 1984 jene Protestbewegung, die auf zivilem Weg das Kraftwerk Hainburg verhindern sollte. Für die damalige rot-blaue Regierung unter Bundeskanzler Fred Sinowatz (SPÖ) wurde die Auseinandersetzung um die Stopfenreuther Au zu einem, wie die Austria Presse Agentur schrieb, „Waterloo“.

PK mit Othmar Karas, Alfred Gusenbauer, Bernhard Lötsch, Günther Nenning (als Hirsch) im Presseclub Concordia 1984

picturedesk.com/Contrast/Peter Kurz

„Pressekonferenz der Tiere“ mit prominenten Teilnehmern: von links nach rechts Othmar Karas, Alfred Gusenbauer (dahinter), Bernd Lötsch, Günther Nenning, Herbert Rainer, Jörg Mauthe

Der Stein des Anstoßes war der geplante Bau eines Donau-Wasserkraftwerkes in der unberührten Stopfenreuther Au rund 30 Kilometer stromabwärts von Wien entfernt. Hätte ein solches Projekt noch zehn Jahre zuvor kaum ernstlichen Widerstand seitens der Bevölkerung hervorgerufen, stieß der Bau 1984 nicht nur auf den aufkommenden ökologischen Zeitgeist.

Zeitgeist und Zivilgesellschaft

In Deutschland formierte sich ab dem Jahr 1981 der Widerstand gegen die Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf, unweit der österreichischen Grenze (ein Jahr nach Hainburg sollte sich dort die Großaktion gegen den Bau der Anlage mit über 35.00 Teilnehmern entladen). Man schrieb die Zeit des Widerstandes aufkommender Bürgerbewegungen in Westeuropa, etwa des Widerstandes der sich formierenden Friedensbewegung in der BRD gegen den NATO-Doppelbeschluss. Österreich hatte mit der Volksabstimmung zu Zwentendorf 1978 seine eigene Geschichte zur Formierung des Bürgerwillens.

Umweltschützer besetzen 1984 die Hainburger Au

picturedesk.com/Contrast/Erwin Schuh

Am 19. Dezember 1984 eskaliert der Polizeieinsatz in der Au

Von einem „Revival des Konzepts der Zivilgesellschaft“ sprechen die angloamerikanischen Verfassungsrechtler Jean L. Cohen und Andrew Arato, auf deren Werk sich auch der Philisoph Jürgen Habermas bei der Überarbeitung seines Klassikers „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ stützen will. Auch im Wesen Europas habe es einen Aufstand gegeben gegen den Fortschrittsoptimismus einer komplett liberalisierten Demokratie und Konzepte komplett staatlich gelenkter Entwicklungen.

„Ein neuer Anspruch wird formuliert“

Für den deutschen Politphilosophen Claus Offe ist die Geschichte der Grün-Bewegung ohnedies weniger als die Geschichte einer Ökologiebewegung zu lesen: Für Offe zeitigt der Wohlfahrtsstaat weitreichende Konsequenzen für das Konzept der Zivilgesellschaft, „weil er Autonomieformen in der Gesellschaft oder die Idee von Partizipation aushöhlte“. Für Offe ist die Geschichte der Grünen demgemäß zunächst eine Bewegung, „die versucht, einen neuen zivilgesellschaftlichen Anspruch zu formulieren“. Das werde wiederum von „Wertedebatten begleitet, die von einem Widerstand gegen die bisher etablierte Politik geprägt sind“.

„Eher zufällig ökologisch“

Für den Politologen Peter Filzmaier ist Hainburg ein Symboldatum, das, wie er gegenüber ORF.at sagt, eher „zufällig“ ein ökologisches Ereignis war. „Der Widerstand gegen die da oben“ hätte sich auch an einem sozialen Thema entladen können, so Filzmaier, der zwei Narrative zu Hainburg als zutreffend sieht: Hainburg sei die Geburtsstunde der Grünen insofern, als sich eine Bewegung zuerst außerparlamentarisch formierte habe, bevor sie ins Parlament kam. Das sei für viele spätere Auseinandersetzungen der Grünen charakteristisch und stütze die These von der Bürgerbewegung, die sich politisch formierte.

Natürlich sei es auch eine Bürgergewegung gewesen, die in Österreich auf Entwicklungen der 1970er Jahre zurückgreife. „1968 war in Österreich ein Lüfterl“, so Filzmaier, der das Sich-Formieren der Zivilgesellschaft in Österreich als länger dauernden Prozess beschreibt. „Das Markante an Hainburg ist, dass nun nicht mehr das Argument, das Kraftwerk schaffe Arbeitsplätze, wie ein Automatismus gezogen hat“, so der Politologe. Da habe es Veränderungen in der Haltung der Gesellschaft gegeben.

Hainburg als Mediengeschichte

Für Filzmaier ist Hainburg nicht zuletzt eine Mediengeschichte, in der Zeitungen auf veränderte Stimmungslagen in der Leserschaft reagiert und sich letztlich wirksam „draufgesetzt“ haben. Die Medien hätten die Stimmung „gegen die da oben“ gespürt und mit einem Richtungswechsel „weg vom Verlautbarungsjournalismus“ verstärkt. Insofern sei Hainburg auch ein Wendepunkt des Boulevards in Österreich.

Als wenige Tage vor Weihnachten die „Kronen Zeitung“ nach den brutalen Polizeieinsätzen in der Au von der „Schande von Hainburg“ geschrieben habe, da habe auch der damalige Kanzler Sinowatz, wie er ja selbst gesagt hatte, gewusst: „Jetzt ist es vorbei.“

Gerald Heidegger, ORF.at

Links: