Themenüberblick

Der große Irrtum

Das Altersheim ist für viele Menschen eine Horrorvorstellung. Gleichzeitig sagen Experten voraus, dass immer mehr Menschen immer älter werden und ihr Pflegebedarf ansteigt. Damit später nicht ein erklecklicher Anteil der Gesellschaft seine Schreckensvision leben muss, wird seit einigen Jahren gegengesteuert. Ein zweites Schreckgespenst bremst jedoch den Eifer: die Kostenexplosion.

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Zunächst hat sich die Erkenntnis durchgesetzt: Je länger jemand zu Hause bleibt, desto besser. Die Unterstützung für pflegende Angehörige wird genauso ausgebaut wie die mobile Pflege. Zweitens versuchen immer mehr Trägervereine, also Betreiber von Wohn- und Pflegeinstitutionen, vom klassischen Altersheim wegzukommen. ORF.at hat sich ein solches Altersheim angesehen und mit einer modernisierten Variante (Stichwort „Stockwerkgemeinschaften“), mit einem Generationenwohnheim und mit einer Generationen-WG verglichen.

Gleich vorweg: Hier wurde nicht nach jenen Missständen gesucht, die zum verheerenden Bild von Alters- und Pflegeheimen geführt haben - man kennt die Bilder von wundgelegenen Menschen, denen das Trinken rationiert wird, damit sie nicht so oft auf die Toilette gehen. So geht es in keiner der genannten Einrichtungen zu. Die Frage lautete vielmehr: Was sind die Ansprüche ans Wohnen im Alter? Und in welchem Modell wird man ihnen (im Idealfall) in welcher Hinsicht gerecht, in welcher nicht? Welche Wege sind es wert, sie weiterzuverfolgen?

Die Leidenschaft fürs Kochen bleibt

In dem, was man heute als Altersheim bezeichnen würde - eigentlich ist es ein Pflegeheim, in dem aber auch Menschen mit wenig Pflegebedarf wohnen -, lebt Frau N. Sie weiß jede Menge Geschichten aus ihrer Zeit als Köchin eines katholischen Internats zu erzählen. Im Haus Klosterneuburg der Caritas lebt sie erst seit wenigen Monaten. Davor wohnte Frau N., sie ist über 90 Jahre alt, gemeinsam mit ihrer Tochter in einem großen Haus. Ihre Bauernstube hatte sie in jahrzehntelanger Kleinarbeit zu einem Kleinod der Gemütlichkeit ausgebaut. Im Laufe der Jahre jedoch wurden die Spannungen zwischen ihr und ihrer Tochter immer größer. Frau N. fing zunächst an, im Heim an einzelnen Aktivitäten teilzunehmen, die für Klienten angeboten werden, die noch zu Hause wohnen.

Pensionisten beim Bingo spielen

ORF.at/Zita Köver

Bingo - der fröhliche Höhepunkt jeder Woche

Bis die Tochter laut Frau N. schließlich vorschlug, sie möge erwägen, gleich ganz dort zu bleiben: Beim Auszug aus der Bauernstube flossen die Tränen der stolzen Frau nur heimlich. Immerhin konnte sie ihre Sammlung liebgewonnener Dekorationsgegenstände und einzelne Möbelstücke mit ins Heim nehmen. Frau N. lebt gerne im Haus Klosterneuburg. Beim gemeinsamen Vorbereiten der Kürbissuppe schwingt sie das Messer wie eh und je. Und beim Bingospielen am Nachmittag macht ihr keiner was vor, die Rollstuhlfahrerin kämpft mit Feuer und Flamme um den Sieg. Sie lebt gerne hier. Fast alle Angestellten findet die Frau lieb.

Was der Tag bringt

Frau N. zählt zur Minderzahl jener Bewohner im Haus Klosterneuburg, die mit von der Partie sind, wenn es etwas zu erleben gilt, zu jenen, deren körperliche und geistige Fitness dem Alter entsprechend beeindrucken. Viele andere müssen intensiv betreut werden oder sind in unterschiedlichem Ausmaß an Formen von Demenz erkrankt. Sie werden gewaschen, gepflegt, medizinisch versorgt und zum Frühstückstisch gesetzt. Ein Wurstbrot, ein paar nette Worte, eine sanfte Berührung und Nostalgiemusik. Man bemüht sich. Aber wenn alles erledigt ist, was passiert dann?

Gemeinschaftsraum im Pflegeheim

ORF.at/Zita Köver

Zeit absitzen im Aufenthaltsraum - immerhin mit Nostalgiemusik und alten Möbeln

Einige Klienten sitzen den Gutteil des Tages im Aufenthaltsraum herum, hängen ihren Gedanken nach, gehen mit ihren Rollatoren in den engen Gängen auf und ab. Andere bleiben in ihren Zimmern. Gerne, heißt es vonseiten der Heimleitung, würde man rund um die Uhr individuell mit diesen Klienten arbeiten. Aber außer Therapiemaßnahmen und einzelnen Betreuungsstunden ist nicht viel drin - das Personal fehlt. Tagesfüllend ist das nicht. Das Pflegepersonal ist in neuen Konzepten des Umgangs mit dementen Patienten geschult - aber es bräuchte in Einzelfällen eine Eins-zu-eins-Betreuung. Auch beim Trägerverein, der Caritas, ist man sich des Problems bewusst. Deshalb werden die Heime nach und nach modernisiert und umgebaut. In Klosterneuburg wird schon nächstes Jahr in neue Räumlichkeiten umgezogen.

Offenes Konzept mit Vor- und Nachteilen

Im 22. Wiener Gemeindebezirk wurde das Haus St. Teresa bereits auf jenes System, das auch in Klosterneuburg nach dem Umbau eingeführt wird, umgestellt: Auf jeder Etage funktionieren ein bis zwei kleine „Hausgemeinschaften“ im Großen und Ganzen autonom. Wie früher auf einem Marktplatz oder in einer Bauernstube soll es da zugehen. Viele Menschen, auf einem Haufen, zusammengewürfelt. Architektonisch dominiert ein offenes Konzept mit breiten Gängen, riesigen Fensterflächen und Sitzecken, die nicht durch Türen vom Rest des Raums getrennt sind. Die Küchenzeile befindet sich zentral in dem nach allen Richtungen offenen Aufenthaltsraum. Küchengeruch zieht durch die Gänge. Wer mithelfen will beim Kochen, hilft mit.

Die, deren Körper und Geist von den Devastierungen des Lebens bereits schwer gezeichnet sind, werden nicht mehr in Zimmern „verwahrt“, sondern sitzen mitten im Leben und lassen viele Sinneseindrücke auf sich einprasseln. Sie profitieren. Im Haus Klosterneuburg befürchtet man jedoch, dass dadurch weniger zentrale Aktivitäten für selbstständige Pensionisten angeboten werden können. Sozialbetreuer werden durch Alltagsbetreuer ersetzt, die gemeinsam mit den Klienten kochen und leichte Hausarbeiten machen. Die Sozialbetreuer, die bleiben, müssen plötzlich ausbildungsfremde Tätigkeiten wie Kochen übernehmen. Nicht alle sind erfreut. Dass es bei dem neuen System unter anderem auch um Kosteneinsparungen geht, bestreitet die Caritas.

Der „Altersheimschock“

Im Kolpinghaus „Gemeinsam leben“ Wien-Leopoldstadt sind die Räumlichkeiten ähnlich offen gestaltet. Riesige Fensterfronten allerorten, ein Kaffeehaus im Eingangsbereich, ein Dachgarten: Geschlossen sind nur die Türen der Bewohnerzimmer. Herr S. sitzt im Aufenthaltsraum im Rollstuhl, die Hand mit den zwei schwer beweglichen Fingern auf den Tisch gelegt, sein Oberkörper vornübergebeugt, und blickt seinen Gesprächspartner mit wachen Augen an.

Er leidet an Parkinson, an den Folgen diverser Unfälle - und hat den Blick, den Witz, den Geist eines intellektuellen jungen Mannes. Zuletzt war er daheim mit seinem Rollator gestolpert, hing in dem Gerät fest, fiel um und klemmte sich dabei zwei Finger ab. Ein Schock sei es für ihn gewesen, als danach seine Familie beschlossen habe, ihn ins „Altersheim“ zu schicken.

Die Leidenschaft, in Schachteln verpackt

Herr S. hatte keine Bauernstube und keine Puppen. Bei ihm waren es die Bibliothek, die Sammlung klassischer Schallplatten und die Besuche im Konzerthaus, auf die er fortan verzichten musste. Ihm sei versprochen geworden, dass man ihm jederzeit Bücher bringe, wenn er welche aus seinem über die Jahrzehnte angewachsenen Bestand haben möchte. Die seien aber in unbeschriftete Schachteln verpackt im Keller verstaut worden. Und dann heiße es nur, es sei zu mühsam, einzelne Bücher herauszusuchen. Herr S. sagt, er hat aufgehört, um seine Bücher zu bitten. Er begnüge sich mit jenen, die er mitnehmen konnte, und mit einigen CDs.

Bewohner in einem Pflegeheim spielen mit Kindern

ORF.at/Zita Köver

Memory mit Hortkindern: das Leben beleben

Mitten im Leben

Vierzig Jahre lang hatte Herr S. unterrichtet. Besonderes Augenmerk legte er auf die Lesefähigkeit der Schüler. In keinem Schulfach und auch nicht später im Leben reüssiere ein Heranwachsender, wenn er nicht rasch und sinnerfassend lesen könne. Für Herrn S. ist das Generationenheim in der Engerthstraße der richtige Ort. In jedem Stockwerk wohnen neben alten Menschen auch Frauen mit ihren Kindern - Familien, die vieles durchmachen mussten, die hier vorübergehend ein Zuhause bekommen.

Auf den ersten Blick fehlt die Gemütlichkeit, weil sich das Leben in Durchgangsbereichen abspielt, die noch dazu durch die Fenster nach außen hin offen wirken. Auf den zweiten Blick sieht man die Vorteile: Das viele Licht tut gut, vor allem wenn die Sonne scheint. Und man sitzt auch hier inmitten des Alltagstrubels. Der Fernseher läuft, der Gang bietet durch die Arbeit im Haus, wegen der Besucher, bedächtig umherstreifenden Bewohner und wegen der hie und da herumwuselnden Kinder viele Eindrücke.

„Waffengewalt“ im Lift als Abwechslung

Genauso ein Durchgangsbereich ist das Kaffeehaus in der Eingangshalle. Die Kinder der Nachmittags- und Lernbetreuung, die im Haus untergebracht ist, werden hierher gebracht, um mit alten Menschen zu spielen. Einmal in der Woche kommt man zusammen, normalerweise in einem kleinen Veranstaltungssaal, um das Geschäft des Cafes nicht zu stören. Diesmal ist der Raum aber besetzt, also darf die Spielgemeinschaft im gemütlichen Kaffeehaus sitzen. Von Oma-Enkel-Herzlichkeit ist das Beisammensein trotzdem ein Stück weit entfernt. Lediglich vier sehr alte Damen mit Pflegebedarf sind dabei, zwei von ihnen mit kommunikativen Einschränkungen. Immerhin: Die Kinder tauen auf, wenn ihnen beim Memory der Ehrgeiz einschießt.

Mit den Kids, die im Haus leben (das sind andere als jene in der Nachmittagsbetreuung), gibt es ebenfalls den einen oder anderen Berührungspunkt. Das beginnt schon damit, dass die Kleinen durch die Gänge laufen. So wie jener Bub, der im Lift alle Anwesenden mit einer Spielzeugwaffe bedroht. Statt Todesangst vermitteln solche Situationen das Gefühl, doch noch am echten Leben anzudocken. Die Idee einer Großfamilie wird nicht wiederbelebt, aber zumindest die Krankenhausatmosphäre wird durchbrochen, wenn man schon ständig von medizinischem Gerät und Pflegeutensilien umgeben ist.

Wenn Generationenwohnen funktioniert

Herr S. wurde bis Juni regelmäßig in eine nahe Schule begleitet, wo er mit Schülern das Lesen trainierte. Auch im Haus selbst hat er schon Nachhilfe gegeben. In der Theatergruppe ist er ebenfalls mit Kindern zusammen. Für ihn und einige andere funktioniert das Generationenwohnen. Ein großer Rest der Bewohner erlebt die Familien im Haus wenigstens als belebende Kulisse.

Generationen-WG

ORF.at/Zita Köver

Die Generationen-WG: Noch eher ein Neben- als ein Miteinander

Ein Experiment und die Schlüsse daraus

Müsste das Generationenwohnen nicht ganz von selbst funktionieren, sobald man alte und junge Menschen in einem Haus zusammenwürfelt? Müssten Austausch und gegenseitige Hilfe nicht automatisch zustande kommen, auch ohne die Anleitung von Profis? Schließlich lebten früher nicht selten drei, wenn nicht vier Generationen in einem Haushalt zusammen. Die Antwort findet sich in einer WG der Österreichischen Jungarbeiterbewegung (ÖJAB): Von selbst funktioniert gar nichts - nicht ohne Familienbande. Die ÖJAB nimmt mit ihrem Experiment eine Vorreiterrolle ein. Zwei WGs werden betrieben. Eine davon, die größere, kann in ihrer jetzigen Form als gescheitert gelten. Bei der ÖJAB ist man sich dessen bewusst, spricht von wichtigen Erfahrungen und plant Änderungen für die Zukunft.

Das fängt schon bei der Größe der WG an: 29 Menschen wohnen hier zusammen. Eine Wohngemeinschaft als kleine, eingeschworene Gruppe bildet sich in so einem Rahmen nicht. Ein eigenes Klo gibt es nur in einem einzigen Zimmer - das folgerichtig von der einzigen wirklich betagten Dame bewohnt wird, die einziehen wollte. Ein eigenes WC ist jenes Minimum an Intimität, das von alten Menschen eingefordert wird.

Ein Gruß, ein kleiner Küchenplausch

Der Rest der WG wird hauptsächlich von jenen bewohnt, die auf günstigen Wohnraum angewiesen sind: Studenten, Flüchtlinge und einkommensschwache Migranten. Ob man an generationenübergreifendem Wohnen interessiert ist, war kein verpflichtendes Kriterium für den Einzug. Auch wenn hier mehr neben- als miteinander gelebt wird, braucht man sich um Frau D. keine Sorgen zu machen. Sie verreist, kümmert sich ehrenamtlich um eine Bibliothek der ÖJAB, hat Freunde.

Dass es neben dem Grüßen und gelegentlichen Plaudern und den wenigen von der ÖJAB geplanten Events nicht zu intensivem Kontakt oder gar spontanen, gemeinsamen Aktivitäten in der WG kommt, findet sie dennoch schade - schließlich war das einer der Hauptgründe, warum sie ihre schöne Altbauwohnung aufgegeben hat. Auch einer der jüngeren Bewohner, er ist berufstätig, beklagt diesen Zustand. Man fragt sich, warum er dann nicht selbst initiativ wird. Die Conclusio der ÖJAB: Kleinere WGs mit Toiletten in jedem Zimmer, und es muss jemanden geben, der aktiv das Zusammenleben in der Wohngemeinschaft orchestriert. Das Wohn- und Pflegeheim Neumargareten der ÖJAB hat übrigens einen hervorragenen Ruf - und ermöglicht mit einem Kindergarten im Haus viel generationenübergreifenden Kontakt.

Der größte Wunsch

In jeder der Institutionen wurden Menschen darüber befragt, was sie für die Weiterentwicklung des Wohnens im Alter an Vorschlägen parat hätten. Bei Herrn S. im Generationenwohnheim folgte die Antwort ohne jede Nachdenkpause: „Einzelzimmer.“ Viele andere leben gerne in Zweibettsimmern. Herr S. aber meint, man solle mehr darauf achten, dass Bewohner, die man auf Gedeih und Verderb zusammensteckt, biografisch und vom Bildungsniveau her zusammenpassen. Er hat eine Leidensgeschichte darüber zu erzählen, wie es sich anfühlt, wenn das nicht der Fall ist. Er und sein Zimmergenosse hatten - milde formuliert - keinen guten Draht zueinander. Mittlerweile hat Herr S. einen Wohnraum für sich allein. Dass es im Generationenwohnheim nicht erlaubt ist, eigene Möbel mitzunehmen, führt zu einer sterilen Anmutung der Zimmer. Die Individualität wird hier in enge Schranken verwiesen.

„Beschäftigungstherapie“

Und welche Schlüsse lassen sich aus den ersten Erfahrungen mit neuen Wohnformen für alte Menschen schließen? Ungemein wichtig sind alle Möglichkeiten der Aktivität, wie etwa die riesige Eisenbahnlandschaft, die ein paar Männer im Haus Klosterneuburg zusammenbauen, wie das Bingospiel für Frau N. und die Kinderaktivitäten für Herrn S. Menschen mit Demenzerkrankungen in belebte Umgebungen zu setzen scheint ebenfalls ein positiver Zugang, genauso wie das Miteinander der Generationen, wenn man es intensiv fördert. Für alle gilt: Möglichst vieles - auch Gegenstände - aus seinem alten Leben mitnehmen zu dürfen steigert die Zufriedenheit ungemein.

Zwei Bewohner eines Pflegeheim in ihrem Zimmer

ORF.at/Zita Köver

Eine Liebesgeschichte findet ihre Fortsetzung im Haus Klosterneuburg. Möbel, Bilder und Nippes von zu Hause sind hier explizit erlaubt und gerne gesehen.

Krankenhausatmosphäre, also enge Gänge und lange Fluchten mit zahllosen verschlossenen Türen und kaum Tageslicht, sind ein Ärgernis und drücken die Stimmung. Je individueller die Angebote, desto besser. Beschäftigungen wie Kürbisbasteln, Bingospielen und das Malen von Herbstbildern sind nicht jedermanns Sache, auch wenn sie den meisten Heimbewohnern anscheinend Spaß machen und wichtige therapeutische Übungen sind. Ein älterer Herr geht vorbei und zischelt augenzwinkernd: „Beschäftigungstherapie.“ Und auch Herr S. würde wohl lieber mit Beamer und ordentlichen Boxen die Aufzeichnung eines Theaterabends sehen.

Ein Trugschluss

Abgesehen von Missständen ist es genau das, was für viele Menschen den Ausschlag gibt, sich vor dem hohen Alter so zu fürchten - eine Angst, die zum Damoklesschwert so manchen Lebensentwurfs wird: der Individualität beraubt zu werden. In einem krankenhausartigen Zimmer verwahrt zu werden, vielleicht noch gemeinsam mit jemanden, mit dem man sonst nie ein Wort gewechselt hätte. Und nur die Wahl zu haben zwischen Seifenoper, Bastelstunde und an die Decke starren. Der einzige Ausweg: mehr Geld für individuelle Betreuung statt Einsparungen. Mehr Gehalt für motiviertes Pflegepersonal statt Einsparungen. Egal, ob in modernen Pflegeheimen, Generationenwohnheimen oder WGs.

Jackson Pollock statt Herbstdeko

Für die Zukunft, wenn neue Generationen an alten Menschen heranwachsen: Wie wäre es dann mit einem Jackson-Pollock-Farbspritznachmittag statt Jahreszeitendeko? Aber auch vor dem Basteln, das sie in den Heimen sehen, sollten die heute Jungen keine Angst haben. Jede Generation hat ihre eigenen kulturellen Codes - und im hohen Alter eigene Bedürfnisse. Ein Großteil der Menschen dort ist in seinen Möglichkeiten sehr eingeschränkt und kann mit Lieblichkeit, mit Berührungen und Memory spielen sichtlich viel anfangen. 90 ist nicht 70. Man verändert sich.

Als positiv gilt jedenfalls zu vermerken, dass zahlreiche Trägervereine mit unkonventionellen Formen des Wohnens im Alter experimentieren. Ein neues Qualitätsbewusstsein greift Raum. Gleichzeitig schwebt ein diffuses Gefühl von Ausgeliefertsein über dem System, weil Gott sei Dank immer mehr Menschen immer älter werden und weil Verbesserungen nur selten gleichzeitig Einsparungen bringen. Händeringend fordern alle Trägervereine mehr Geld.

Doch mit dem Thema „Wohnen im Alter“ ist keine Wahl zu gewinnen. Weil es den heute 30-, 40- und 50-Jährigen weit entfernt scheint. Ein großer Irrtum, wenn man bedenkt, dass es Jahrzehnte dauern wird, das System umzukrempeln. Jeder Euro an Steuergeld, der heute hier eingespart wird, trifft morgen die aktive Bevölkerung von heute. Dann soll sich keiner beschweren, wenn er am Nachmittag vor „Reich und Schön“ geparkt wird.

Simon Hadler (Text), Zita Köver (Fotos), beide ORF.at

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