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Die Zumutungen des Menschseins

Wenn es um Menschenrechte geht, denkt man zunächst an Folteropfer in faschistischen Staaten. Beim „This Human World“-Festival wird jedoch gezeigt, dass es viele andere Lebenssituationen gibt, die niemandem zumutbar sind, aber allzu vielen Menschen auf dieser Welt zugemutet werden - auch in Europa.

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Das zeigt schon der Eröffnungsfilm des griechischen Regiseurs Athanasios Karanikolas, „At Home“. Gleich zu Beginn des Spielfilms sieht man eine Frau. Sie ist 40, vielleicht 45 Jahre alt und wohnt in einem wunderschönen Architektenhaus mit Meerblick. Sie bringt das Mädchen zum Reiten und plaudert zu Hause mit Freunden. Erst nach gut zehn Minuten wird klar: Die vermeintlichen Freunde sind ihre Arbeitgeber, das Mädchen deren Tochter. Nadja ist Haushälterin, Kindermädchen und der Kummerkasten ihrer Chefin.

Szene aus dem Film "At Home"

J.M. Louis/SHNP3

Wie eine Mutter kümmert sich Nadja - bis zum Rauswurf

Am Abend sind Gäste im Haus. Die Gastgeber geben sich mondän und fortschrittlich. Nadja sei eigentlich keine Angestellte, sondern eine enge Freundin. Und die gebürtige Georgierin sei doch keine Ausländerin, sie sei doch schon so lange in Griechenland. Alles scheint eitel Wonne - auf den ersten Blick. Denn die Familie beschäftigt Nadja illegal, um sich das Geld für die Sozialversicherung und sonstige Abgaben zu sparen - und wohl auch, um nicht nach Kollektivvertrag bezahlen zu müssen. Bei allem Reichtum: Warum nicht dort sparen, wo’s nicht wehtut?

This Human World

Das Filmfestival für Menschenrechte findet vom 4. bis 13. Dezember im Schikaneder, Top Kino, Gartenbaukino und im Filmcasino statt.

Moderne Leibeigenschaft

Ein Arrangement, wie es an der Tagesordnung steht, nicht nur in Griechenland. Im Grunde ist das Beschäftigen ausländischer „Putzfrauen“ in Österreich nichts anderes - nur, dass diese von mehreren Arbeitgebern stundenweise „geteilt“ werden. Was das für die Betroffenen bedeuten kann, zeigt „At Home“. Nadja wird krank. Die Kosten der Untersuchungen werden von ihren Arbeitgebern noch mit großer Geste übernommen. Aber der Arzt ist ein guter Bekannter von ihnen und warnt sie vor den Kosten, die da noch auf sie zukommen werden.

Und weil’s in der Firma gerade nicht so läuft, sagt der Mann seiner Frau, dass man sich von Nadja wohl wird trennen müssen. Die jedoch kann und will nicht glauben, was gerade passiert, auch wenn ihr Freund versucht, ihr die Naivität auszutreiben. Es könne doch nicht sein, dass „ihre Familie“ sie plötzlich verstoße, ohne Krankenversicherung krank im Stich lasse. Aber es ist so. „At Home“ ist ein ruhiger Film, der mit langen, eindringlichen Einstellungen arbeitet und dem Zuschauer Zeit lässt, die Demütigung seiner Protagonistin Stück für Stück nachzufühlen. Diese Form moderner, unterschwelliger Leibeigenschaft ist weit verbreitet.

Kinderhölle im Drogensumpf

Ein weiterer Film zeigt, wie die Menschenrechte von Kindern mitten in der Europäischen Union mit Füßen getreten werden. Der Schauplatz von Alexander Nanaus Dokumentation „Toto and His Sisters“ ist Bukarest. Toto ist zehn Jahre alt und lebt mit seinen Schwestern Andreea (15) und Ana (17) in einem heruntergekommenen Plattenbauviertel der rumänischen Hauptstadt. Die Mutter sitzt im Gefängnis wegen Drogenhandels, Vater gibt es keinen. Zwei Onkel sollten auf die Kinder aufpassen.

Szene aus dem "Toto And His Sisters"

Strada Film

Toto, ständig umgeben von Junkies

Sollten - denn stattdessen verwandeln sie die Wohnung in eine Höhle, in der ständig ein Haufen Junkies herumliegt, in der ständig gedealt und gespritzt wird. Ana, die Älteste, hängt an der Nadel, seit sie 13 Jahre alt ist. Um Toto und Andrea kümmert sich niemand. Die beiden wollen nicht in denselben Sumpf geraten wie der Rest der Familie. Toto schläft auf dem Sofa gemeinsam mit Junkies, gebrauchte Spritzen liegen direkt neben dem Polster. Aber untertags geht er zur Schule und gibt sein Bestes.

„Sei stark. Sei stur“

Andreea flüchtet, so oft sie kann, zu Freundinnen, einen geregelten Tagesablauf hat sie nicht. Toto schleppt seine Schwester schließlich mit in die Schule und mit zu einem Hip-Hop-Tanzkurs. Eine Sozialarbeiterin sagt zu dem Teenagermädchen: „Sei stark. Sei stur. Geh niemals einen Schritt zurück.“ Als schließlich die Älteste der drei, Ana, auch noch verhaftet wird und nach ihrer Rückkehr statt, wie versprochen, clean zu bleiben wieder zur Spritze greift, fasst Andreea einen Entschluss und geht mit Toto in ein Waisenhaus.

Regisseur Nanau ist mit „Toto and His Sisters“ viel gelungen. Weil er nicht überall filmen konnte, hat er Toto und Ana die Kamera in die Hände gedrückt. Er selbst war stets nur als stiller Beobachter dabei, durfte bei Anhörungen vor Gericht und sogar bei einer Razzia filmen. Mit einem Kaleidoskop aus Szenen hält Nanau die Schwebe zwischen der Hölle der Wohnung und der Hoffnung, die von der Schule, von den Sozialarbeitern und von den Hip-Hop-Trainern ausgeht. Er muss seine Botschaft nicht aussprechen: Es lohnt sich für diese Kinder zu kämpfen.

Sex, Sex, Sex

Drei Schwerpunkte gibt es heuer beim „This Human World“-Festival. In „This Human Works“ geht um Arbeitswelten wie etwa in „At Home“. „A World of Prisons“ beschäftigt sich mit den Auswirkungen von Inhaftierung und Wegsperren auf die Betroffenen und ihre Angehörigen (etwa „Toto and His Sisters“).

Der dritte Schwerpunkt - „Every Time We Fuck We Win!“ - stößt beim Ticketverkauf auf das größte Interesse: Hier wird, wie schon der Titel sagt, „gefickt“, was das Zeug hält. Vorgestellt wird die Welt schwuler, lesbischer und sonst wie queerer Pornos. Selbstbestimmte Sexualität, bunt, laut, wild und nach außen getragen, wird der allgegenwärtigen Diskriminierung entgegengesetzt. Man könnte von einem Anti-Putin-Schwerpunkt sprechen.

Ja, gerade Film

Amnesty-Generalsekretär Heinz Patzelt schreibt im Programmheft: „Lange bevor Menschenrechte verwirklicht und deren Verletzung erfolgreich verhindert wird, braucht es das Verstehen und Erleben der Menschenrechtsidee mit Herz und Hirn. Welches Medium wäre wohl besser geeignet als der Film, diese Vielfalt verständlich zu machen?“ Das ist sperrig formuliert und klingt nach Plattitüde, stimmt aber. Einen Besuch (eigentlich viele Besuche) ist das „This Human World“-Festival aber aus einem weiteren Grund unbedingt wert: Die Filme sind verdammt gut.

Simon Hadler, ORF.at

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