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„Ein paar Elfmeter liegen gelassen“

Seit mehr als sechs Jahren ist Kanzler Werner Faymann SPÖ-Chef. Wenn er sich am nächsten Wochenende zum dritten Mal zur Wiederwahl als Parteichef stellt, geht es um eines: Möglichst hohe Zustimmung bei den Funktionären, die Faymann 2012 mit einer Zustimmung von nur 83 Prozent ihren Unmut zeigten.

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Parallel dazu wurde sein Pendant in der Koalition, Vizekanzler Reinhold Mitterlehner, erst jüngst mit 99 Prozent formell als ÖVP-Chef bestätigt. Da sähe eine schwache Zustimmungsrate - auch wenn realpolitisch bedeutungslos - gerade vor dem Superwahljahr 2015 nicht gut aus. Das wird aber auch kaum passieren, dafür ist die SPÖ-Parteibasis zu gut geordnet und verantwortungsbewusst. Und Faymann nahm im Vorfeld mit der Übernahme der Gewerkschaftspositionen in Sachen Steuerreform Ärger mit dem Koalitionspartner in Kauf, um parteiintern die Reihen zu schließen und sich gute Stimmung und Unterstützung zu sichern.

„Aus dem Feld schlagen“

Anlässlich des Parteitags stellt sich allerdings eine seit Jahren brennende Frage mit neuer Deutlichkeit, die der Politologe Peter Filzmaier gegenüber ORF.at so formulierte: Die SPÖ konzentriere sich auf den falschen Gegner. Der historische Hauptgegner ÖVP habe längst an Bedeutung verloren, die FPÖ sei der eigentliche Konkurrent, zu dem die meisten SPÖ-Wähler hinwechseln.

Um diese Wechselwähler zu erreichen, müsse die Sozialdemokratie die Freiheitlichen bei sozialpolitischen Themen konfrontieren und „aus dem Feld schlagen“. Und genau hier fehlen der SPÖ weiter die Rezepte - so die übereinstimmende Meinung von Filzmaier, dem Politikberater Thomas Hofer (H & P Public Affairs) und dem Meinungsforscher Wolfgang Bachmayer (OGM).

Die „Schwächefelder“ der FPÖ

Wie Hofer im Gespräch mit ORF.at betonte, habe die SPÖ in der direkten Auseinandersetzung mit den Freiheitlichen bereits „ein paar Elfmeter liegen gelassen“. Die SPÖ setze zu wenig auf ihre ureigenen „Stärkefelder“ bzw. ziehe sie die FPÖ zu wenig auf deren „Schwächefelder“. Soll sagen: Die SPÖ biete den Freiheitlichen dort zu wenig Paroli, wo diese „kein Profil“ hätten, die SPÖ aber traditionell stark sei.

Natürlich könne so ein Kurs auch gefährlich sein, räumt Hofer ein. Für die Opposition sei es immer leicht, Angriffe mit dem Verweis darauf, dass nicht sie, sondern die SPÖ in der Regierung sitze, abzuwehren.

Auch Bachmayer betonte gegenüber ORF.at, dass die FPÖ als Oppositionspartei es leichter hat: Sie könne die „Finger in die Wunden“ legen, müsse aber nicht für konkrete Maßnahmen oder das Verzögern einer Entscheidung geradestehen. In die Sozialkompetenz habe die FPÖ in den letzten Jahren einiges investiert. Das einzige Thema, bei dem die Freiheitlichen signifikant schwächer seien, sei die Bildung, stimmt Bachmayer mit Filzmaier überein.

Strategische Kooperation mit ÖVP

SPÖ und ÖVP müssten nach Hofers Ansicht versuchen, bei jenen Themen, bei denen man sich innerkoalitionär einigen könne, akkordiert gegen die Opposition vorzugehen. Bei den Themen wiederum, wo eine Einigung ohnehin unmöglich sei, könne man ja mehr auf koalitionsinterne Frontstellung zwecks Schärfung des eigenen Parteiprofils innerhalb der Regierung gehen.

Diese strategische Form der Regierungszusammenarbeit sei nicht stark genug ausgeprägt - das gelte allerdings für beide Parteien, betonte Hofer.

Überholte Rollenteilung

In wenigen Monaten werde der Wiener Bürgermeister Michael Häupl bei der Landtags- und Gemeinderatswahl „ganz sicher“ den anderen Weg - nämlich die direkte Konfrontation mit der FPÖ - wählen. Gefragt, warum die SPÖ im Bund das nicht auch so mache, meinte Hofer, da sei er selbst „überfragt“. Eine Erklärung könnte sein, dass die Sorge mitschwinge, dass man bei einem offenen Angriff auf die FPÖ ja auch die eigene Zielgruppe ins Visier nimmt und es daher möglicherweise nicht gut sei, „wenn man auf die FPÖ hinhaut“.

Die Sozialdemokratie verweise zwar immer wieder auf die eigene Kompetenz als Sozialpartei, greife die FPÖ aber nicht an. Hierzulande sei es, so Hofer, wohl noch zu sehr internalisiert, dass Regierungsparteien nur ihre Leistungen verteidigen, aber selbst nicht angriffig werden dürften, diese Rolle allein der Opposition vorbehalten sei. Hofer verweist auf die USA, wo dies seit der Präsidentschaft von Bill Clinton Geschichte sei. Dass diese klassische Rollenteilung „eigentlich überholt“ sei, müsse den Regierungsparteien wohl erst stärker bewusst werden.

Auch Häupl-Taktik geht an Kernproblem vorbei

Dass es auf Wien-Ebene der SPÖ viel leichter fällt, der FPÖ stimmungsmäßig und inhaltlich Paroli zu bieten, erklärt Hofer einerseits damit, dass der grüne Koalitionspartner deutlich weniger Gewicht habe als die ÖVP in der Bundesregierung. Andererseits habe Häupl selbst ein strategisches Interesse daran, die Landtags- und Gemeinderatswahlen zu einem Duell, einer Art Entscheidungsschlacht zu stilisieren. Häupl habe 2010 von dieser Taktik profitiert, obwohl er damit nicht SPÖ-FPÖ-Wechselwähler zurückgewann, sondern sich andere Wählerpools erschloss.

Daher, ist Hofer überzeugt, werde Häupl auch 2015 wieder mit der drohenden Alternative einer FPÖ-Mitregierung in Wien arbeiten. Häupl habe schon im Streit über den FPÖ-Kandidaten für den Posten des Vizestadtschulrats, Maximilian Krauss, ganz bewusst mit Blick auf 2015 den strategischen Konflikt gesucht, frei nach dem Motto: „Mit der FPÖ nehme ich (gemeint: Häupl, Anm.) die Auseinandersetzung in jedem Themenfeld auf“, so der Politologe.

„Zarte Versuche“

Im Nationalratswahlkampf habe die SPÖ „zarte Versuche“ gestartet, der FPÖ inhaltlich aktiv Kontra zu geben. Hofer räumt auch ein, dass eine Wahlkampfstrategie, in der die FPÖ nach dem Motto „Was würde passieren, wenn Blau regiert?“ ins Visier genommen wird, schwierig zu kommunizieren sei. Negativ müsse so eine Kampagne aber nicht zwangsläufig sein.

Letztlich gehe es für die SPÖ - über den Parteitag hinaus - darum, zu entscheiden: Wie aktiv oder passiv agiert man? Der Tipp des Politikberaters fällt eindeutig aus: Die „eigenen Stärkefelder trommeln“.

Annäherung statt Abgrenzung

Aber das einzige wirkliche Rezept, so deutet wiederum Bachmayer an, wäre wohl eine Regierungsbeteiligung der FPÖ - unter SPÖ-Führung: Wenn die Freiheitlichen etwa für die Umsetzung von Sozialthemen verantwortlich wären, würde mit „hoher Wahrscheinlichkeit eine Situation eintreten, die deren Wähler enttäuscht“. Dazu komme, dass SPÖ und FPÖ einander - die Themen Menschenrechte und Abgrenzung nach rechts ausgenommen - bei vielen Themen näher seien als SPÖ und ÖVP.

In naher Zukunft sei daher durchaus eine sichtbare Annäherung von Sozialdemokratie und Freiheitlichen möglich, so Bachmayer. Und 2018, wenn regulär die nächste Nationalratswahl ansteht, könnte es sein, dass sich drei verschiedene Zweierkoalitionen ausgingen, sprich SPÖ mit ÖVP, ÖVP mit FPÖ und SPÖ mit FPÖ. Zu diesem Zeitpunkt werde dann einer der aktuell vehementesten Verfechter einer klaren Abgrenzungsstrategie von der FPÖ, der Wiener Bürgermeister Michael Häupl, nicht mehr aktiv sein, so dass die Ausgangslage ganz anders sein könnte.

Dass die Situation für die SPÖ nicht einfach ist, räumt Bachmayer offen ein, der keine „einfachen Antworten“ sieht. Übrigens: Auch aus der SPÖ-Parteizentrale gab es trotz mehrmaliger Nachfrage von ORF.at keine Antwort.

Guido Tiefenthaler, ORF.at

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