Kritik an Missmanagement der Politik
Von Wasserknappheit, Rationierungen und bewachten Wassertransporten war in Brasilien bisher kaum die Rede, zählen doch die Süßwasserreserven des Landes zu den größten der Welt. Doch im wirtschaftlich wichtigsten Bundesstaat Sao Paulo im Südwesten des Landes herrscht mittlerweile die schlimmste Trockenheit seit über 80 Jahren.
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Die Hoffnungen ruhen nun auf der üblicherweise regenreichen Sommerperiode, die insbesondere ab Dezember Niederschläge bringen soll. Die Wasservorräte sind aber mittlerweile so ausgeschöpft, dass selbst die üblichen Regenmengen nicht ausreichen würden, befürchten Experten. Es werde mindestens vier, fünf Jahre dauern, bis sich der Wasserhaushalt normalisiere. Sie warnen zugleich vor ähnlich niedrigen Niederschlägen in den kommenden Monaten. Im Vergleich mit den Jahren zuvor fielen heuer im ersten Halbjahr etwa 40 Prozent weniger Regen. In der letzten Regensaison bis Februar gab es nur ein Drittel der sonst üblichen Niederschlagsmenge.
„Tote Reserven“ bereits angezapft
Die in der Metropole Sao Paulo und in den Städten des Umlands lebenden 20 Millionen Einwohner sind großteils von dem in den 60er und 70er Jahren errichteten Cantareira-System abhängig. Es umfasst fünf miteinander verbundene Speicherseen mit einem Volumen von 990 Millionen Kubikmetern. Sie sollten einen Ausgleich zwischen der Regen- und Trockenzeit schaffen und dadurch die Wasserversorgung der schnell wachsenden Metropole garantieren.

APA/AP/Andre Penner
Die austrocknenden Speicherseen des Cantareira-Systems zur Wasserversorgung Sao Paulos geben vor Jahren versunkene Autos frei
Die starke Abhängigkeit von diesem System hatte immer wieder Kritiker auf den Plan gerufen, bisher mangelte es aber nie an Regennachschub. Das von dem börsennotierten, staatlich kontrollierten Unternehmen SABESP verwaltete System funktionierte. Mittlerweile pendelt sich der Wasserstand in den Speicherseen bei maximal fünf Prozent ein. Im Oktober vergangenen Jahres lag das Niveau bei 40 Prozent. Nur durch die „toten Reserven“, eine Notversorgung aus dem Grundwasser, die angezapft und hochgepumpt wurden, konnte der Pegelstand zeitweise etwas erhöht werden. Je weiter das Wasser nach oben gepumpt werden muss, desto größer werden die Umweltbedenken.
„Unbekanntes Territorium“
Die Regierung sucht nun nach Lösungen. Es sollen weitere Kläranlagen entstehen und Dutzende neue Reservoirs. Ein weiterer Plan von Sao Paulo, den Fluss Paraiba do Sul umzuleiten und damit das Cantareira-System wieder zu füllen, stößt auf heftigen Widerstand im Bundesstaat Rio de Janeiro, der ebenfalls auf Wasser aus dem Fluss angewiesen ist. Diese Pläne kommen allerdings ohnedies spät. „Wir betreten unbekanntes Territorium“, sagte der Wasserexperte Renato Tagnin von der Umweltschutzgruppe Coletivo Curupira im AP-Interview: „Wenn es so weitergeht, werden wir kein Wasser mehr haben. Wir haben keine weiteren Mechanismen.“
Wirtschaftliche Konsequenzen
Viele Kleinstädte in der Region begrenzen das Wasserangebot bereits. Noch will man in der Millionenstadt Wasser nicht offiziell rationieren. Doch die Mehrheit der Bevölkerung in der Region Sao Paulo ist immer wieder von Ausfällen betroffen. Tanklastwagen liefern Wasser, das in Tonnen und Fässern gelagert wird. Die Regierung versucht mit einem Anreizsystem - wer weniger Wasser verbraucht, bekommt einen Rabatt - gegenzusteuern. Spürbare Verbesserungen sind dadurch allerdings nicht zu erwarten, ist doch der größte Wasserverbraucher die Landwirtschaft.

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Die Trockenheit ist in der Umgebung der Metropole Sao Paulo deutlich zu sehen
Die Zuckerrohrplantagen im Hinterland von Sao Paulo leiden ebenso unter dem Wassermangel wie die Papier- und Textilindustrie. Die Einnahmen sind entscheidend für Brasilien. Der Bundesstaat Sao Paulo trägt zu einem Drittel zu Brasiliens Wirtschaft bei. 40 Prozent der Industrieproduktion sind ebenfalls dort zu finden. Negative Auswirkungen werden befürchtet - etwa auf die Weltmarktpreise für Zuckerrohr. Denn Brasilien gilt als größter Produzent von Zuckerrohr, Rindfleisch und Orangensaft.
Polizei eskortiert Wassertransport
Dauert die Trockenheit noch länger, könnte auch zunehmend die Stromversorgung darunter leiden. Diese basiert zu 80 Prozent auf Wasserkraft. Auch in den Stauseen der Wasserkraftwerke zeichnen sich rekordverdächtig niedrige Pegelstände ab.

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Bewohner von Itu stellen sich mit Flaschen und Kanistern für Wasser an
In einigen Gegenden mündet die Wasserknappheit bereits in ein Sicherheitsproblem. In der besonders stark betroffenen Stadt Itu im Umland von Sao Paulo fließt schon länger kein Wasser mehr aus den Leitungen. Wassertransporte werden von der Polizei eskortiert, um die Fahrzeuge vor Überfällen zu schützen. Die Bevölkerung dort ist fast ausschließlich auf gekauftes Wasser angewiesen. Die Behörden zwangen die 160.000-Einwohner-Stadt, ihren täglichen Wasserverbrauch von bisher 62 Millionen Liter auf acht Millionen Liter zu reduzieren.
Fehlplanung und Missmanagement
Trotz Warnungen spielte die Regierung die Situation insbesondere vor der Wahl im Oktober herunter. Aber auch danach setzt sie auf Beruhigung. „Das Wasser wird nicht ausgehen“, versicherte der wiedergewählte Gouverneur von Sao Paulo, Geraldo Alckmin. Offenbar soll die SABESP-Führung aber auch von „höchster Stelle“ daran gehindert worden sein, den Ernst der Trockenheit deutlich zu machen, wie lokale Medien über durchgesickerte Aufnahmen berichteten.
Zu langsame Reaktion der Politik, Fehlplanung und Missmanagement etwa durch starke Verluste aufgrund von Lecks in Wasserleitungen werden als Ursache dafür gesehen, dass das Ausbleibend des Regens nun solche Auswirkungen hat. Kritisiert wird auch, dass die abfließende Wassermenge nicht zuletzt aufgrund des Bevölkerungswachstums zwar immer wieder gesteigert, die Reserven aber nicht in dem entsprechend notwendigen Ausmaß erhöht und gesichert worden seien.
Regen könnte künftig weniger werden
Fraglich ist, ob der notwendige Regen in diesem Sommer und in den nächsten Jahren wieder in seiner gewohnten Intensität kommen wird. Denn abseits der Verfehlungen in Politik und Verwaltung könnten die Ursachen für den ausbleibenden Regen viel tiefer liegen. Basierend auf der Analyse von 200 unterschiedlichen Studien über die Klimarolle des Amazonas-Gebiets kommt der Wissenschaftler Antonio Donato Nobre vom brasilianischen Nationalen Institut für Raumforschung (Instituto Nacional de Pesquisas Espaciais, INPE) zu dem Schluss, dass die Rodungen im Regenwald des Amazonas-Gebiets in direktem Zusammenhang mit der Trockenheit in Sao Paulo stehen.
„Abholzung ändert das Klima“
Denn der Wald im Amazonas-Becken zeichnete bisher für den üppigen Regen in der Region von Sao Paulo verantwortlich. Wolken bildeten sich durch das im Boden und in den Bäumen gespeicherte Wasser. Diese Front zog Richtung Süden und sorgte für die großen sommerlichen Niederschlagsmengen auch im Bundesstaat Sao Paulo. „Die Abholzung im Amazonas-Regenwald ändert das Klima. Das zeigen nicht mehr nur Modelle, sondern bereits die Beobachtung“, betont Nobre im Interview mit dem „Guardian“.
In den letzten 40 Jahren wurden allein in Brasilien 763.000 Quadratkilometer Regenwald abgeholzt - mehr als neunmal die Fläche Österreichs. Ein sofortiger Stopp der Abholzungen allein reiche nicht, ist Nobre überzeugt. Es müsse aufgeforstet werden. Es ist Skepsis angebracht, ob sich tatsächlich etwas bewegt. Denn der Einfluss der Agrarlobby ist in den letzten Jahren noch gewachsen. Allein im August und September dieses Jahres wurden laut lokalen Medienberichten in Brasilien über 1.600 Quadratkilometer Regenwald abgeholzt - 122 Prozent mehr als im Vergleichszeitraum 2013.
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