Friede auf Erden und andere Kuriositäten
Die Erwachsenen sind in Küche und Keller zugange, und man hat seine Ruhe - und darf ausnahmsweise bis zum Abwinken fernsehen, zumindest bis es Zeit für die Bescherung ist. Diese weihnachtliche Kindheitserinnerung teilen inzwischen Generationen. Damit hat sich das TV-Weihnachtsprogramm über die Jahre hinweg beinahe selbst zum Brauchtum gemausert. Und Brauchtum will gepflegt sein.
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Für das Fernsehen bedeutet das: Zum Teil noch so absurde Versatzstücke der TV-Unterhaltung müssen unbedingt jedes Jahr im Programm sein, wollen die Sendeverantwortlichen keine Proteststürme ernten. Es gibt weit Verbreitetes (nota bene die Mutter aller Weihnachtsfilme, „Ist das Leben nicht schön?“), Ähnliches (TV-Galas, Ansprachen, Musikschaffende des jeweiligen Landes arbeiten sich an Weihnachtsliedern ab), und dann noch Spezialitäten, die im jeweiligen Land Pflichtprogramm sind - und überall sonst nur für ratloses Staunen sorgen würden.

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Weihnachten mit Donald kann Ihre Ehe gefährden
Kalle Anka, Adventente
Für Schweden ist es etwa Pflicht, zu Weihnachten „Kalle Anka och hans vänner önskar God Jul“ (Donald Duck und seine Freunde wünschen frohe Weihnachten) anzusehen, einen chaotischen Zusammenschnitt von nur bedingt weihnachtlichen Disney-Zeichentrickfilmschnipseln aus dem Jahr 1958. Der lief und läuft auch in anderen Ländern im Weihnachtsprogramm. Nirgendwo sonst hat sich das einstündige Programm aber so zum Kult entwickelt: Alle Jahre wieder werden die Einschaltquoten der seit fünf Jahrzehnten ausgestrahlten Filmrolle in Schweden nur vom Songcontest geschlagen.
Als brauchte es noch einen Beweis dafür, dass sich die TV-Tradition über alle Sinnfragen erhaben zeigt: Die Ratings der immer gleichen Show schwanken von Jahr zu Jahr beträchtlich, mit dem Jahr 2008 als Tiefpunkt der Seherzufriedenheit. Trotzdem wacht jedes Jahr wieder jeder zweite Schwede penibel darüber, dass alles wie immer läuft: etwa, dass die ursprünglich improvisierte Synchronisation unverändert und die Moderation weiterhin live ist. Arne Weise, Präsentator von 1972 bis 2002, führte seine drei Scheidungen und seine Suchtprobleme darauf zurück, dass er Weihnachten 30 Jahre lang mit Donald verbringen musste.
Training am Gerät schult Kasterldenken
In allen skandinavischen Ländern, vor allem aber in Norwegen, ist außerdem der TV-Adventkalender jedes Jahr ein Muss. Die aufwendig produzierten 24-teiligen Spielserien reichen von kindisch-kindlichen Weihnachtsmärchen bis zur sozialkritisch-bissigen Satire. „Klassiker“ werden dabei immer wieder mit Neuproduktionen durchmischt. Dann zitiert ein TV-„Julkalender“ - auch länderübergreifend - oft den anderen, sehr zum Gaudium der Fernsehnationen, die die Insiderwitze durch jahrelanges Training am (TV-)Gerät ausnahmslos verstehen.
Überhaupt gilt für Europa: Je weiter im Norden, desto wichtiger scheint wegen der Kälte und der frühen Dunkelheit das weihnachtliche TV-Programm - schon überhaupt bei Überlänge, wenn der Weihnachtsmann erst am 25. Dezember die Geschenke bringt. In Großbritannien geht es dabei vor allem um unzählige Serienspecials, den seit Jahrzehnten ausgestrahlten Hitparaden-Jahresrückblick „Top of the Pops“ und seit 1982 auch das Zeichentrickrührstück „The Snowman“. Kenner sind zudem auf die wechselnde Gestaltung des Inserts „Die BBC wünscht frohe Weihnachten“ nach den Schlussnachrichten gespannt.

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Die Königin der TV-Traditionen: Queen Elizabeth II. hält heuer bereits ihre 58. Weihnachtsansprache in den Fernsehstationen des Commonwealth
Wenn in Großbritannien am 25.12. um 15.00 Uhr schließlich alle ermattet in den Seilen hängen, setzt Königin Elizabeth II. mit ihrer jährlichen Fernsehansprache den Schlussakkord unter das Festtagsprogramm. Die Rede gibt es zur jeweils entsprechenden Ortszeit auch im restlichen Commonwealth zu sehen, von Kanada bis Australien. Dort zählt wiederum das „Carol Service“ („Weihnachtslieddienst“) zum Standard. Die bekanntesten Gesangsstars des Landes sollen mit der alljährlichen TV-Singschule das Weihnachtsliedrepertoire der Australier aufpolieren.
Jedem Land sein eigener Weihnachtsspleen
Die üblichen Weihnachtsfilme und TV-Specials sind in Australien wiederum nicht sonderlich populär: Schließlich fällt Weihnachten dort mitten in den Sommer. Demonstrativ finden die weihnachtlichen Livesendungen in Strand- und Barbecue-Umgebung statt. Überhaupt ist Weihnachten die Zeit, in der regionale Eigenständigkeit im TV Trumpf ist. Sogar Österreich und Deutschland unterscheiden sich dabei maßgeblich: Dort muss etwa der Loriot-Sketch „Weihnachten bei Hoppenstedts“ auf dem Festtagsprogramm stehen, sonst fehlt etwas.
Wenig verwunderlich kann in Europa vor allem Frankreich auf ein Portfolio an eigenen Produktionen zurückgreifen. Das Weihnachtsprogramm ist dort von Filmen dominiert. Die drücken meist sehr auf die Tränendrüse: Alleinstehende, Alleinerziehende oder sonst vom Schicksal gebeutelte Charaktere trotzen dabei rund ums Frohe Fest irgendwelchen tragischen Widrigkeiten. Umgekehrt setzt der Süden Europas auf Shows, Shows und noch mehr Shows. Man stelle sich „Licht ins Dunkel“ ohne karitativen Hintergrund oder besinnliche Stimmung vor.
New Yorks Dauerbrenner
Die regionalen Spezialitäten gehen aber noch mehr ins Detail. New York gehört zu Weihnachten etwa dem Sender WPIX, beziehungsweise dessen „Yule Log“: Erstmals 1966 wurde das brennende Holzscheit in der Residenz des New Yorker Bürgermeisters abgefilmt (und dabei gleich ein wertvoller Teppich versengt) und, mit Weihnachtsmusik unterlegt, als dreistündige Dauerschleife am 25. Dezember 1967 erstmals ausgestrahlt. Die Sendung war wider Erwarten ein epochaler Erfolg - sowohl hinsichtlich der Reichweite als auch hinsichtlich der Ratings - und wurde zum Dauerbrenner.

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Das einzig wahre „Yule Log“
Inzwischen gibt es Fansites, von Experten verachtete Imitationen, Internetstreams und sogar eine Doku („A Log’s Life“). Noch in den 90ern wollte der Sender dabei das Scheit loswerden, doch die Versuche scheiterten. Immer wieder musste WPIX es nach Zuseherbeschwerden zurück ins Programm hieven, und das mit einigem Widerwillen: Durch die bizarre - aber werbefreie - Sendung entgingen dem Sender erhebliche Einnahmen. Dabei stand auch am Anfang kühle Kalkulation: Während das Scheit im TV brannte, musste der Sender keine hohen Feiertagsgehälter für die daheimgebliebene Belegschaft zahlen.
Wirtschaftliche Erwägungen waren auch Geburtshelfer eines der wenigen weltumspannenden weihnachtlichen TV-Phänomene. Als der US-Entertainer Bing Crosby 1977 eine Großbritannien-Tour unternahm, nahm man praktischerweise gleich dort - bei viel geringerem Gehaltsniveau der TV-Arbeiter - die alljährliche Crosby-Weihnachtsshow auf und suchte dafür Gäste. Gebucht wurden etwa das Model Twiggy, ein paar britische Schauspieler und Sänger David Bowie, der Werbung für seine neue Single „Heroes“ machen wollte.
Heroes, just for one Christmas Day
Schnell war ein Deal ausgemacht - und Bowies „Heroes“ kam tatsächlich als eine Art groteske Traumsequenz in „Bing Crosby’s Merrie Olde Christmas“ unter. Sinn ergab das allerdings keinen, und so hätte Bowie zur dramaturgischen Rechtfertigung davor mit Crosby das Lied vom „Little Drummer Boy“ trällern sollen. Der stets klug taktierende Bowie warf im letzten Moment aber alles über den Haufen. Die schnell zurechtgeschusterte Gegenmelodie war höher und Bowie damit besser hörbar als Crosby mit seinem „Pa rum pum pum pum“-Gegrummel.

Bettmann
Zwei Farben Weiß: „Mr. White Christmas“ Crosby vs. „Thin White Duke“ Bowie
Am Ende waren beide glücklich: der bereits schwerkranke Crosby, dass die Sequenz mit dem „adretten Burschen“ nach einer Stunde erledigt war, und Bowie, dass er sich von „Mr. White Christmas“ nicht hatte unterbuttern lassen und zudem für seine Single Werbung auf dem US-Markt gemacht hatte. Crosby sollte die Ausstrahlung der Show am 30. November 1977 nicht mehr erleben - und hätte sich wohl nicht träumen lassen, dass der Soundtrack der holprigen Spielsequenz zum gesuchten Bootleg würde, das erst 1982 erstmals als Single erhältlich war. Und noch weniger, dass manche „Peace on Earth“ (Friede auf Erden) inzwischen für ein echtes Weihnachtslied halten.
Lukas Zimmer, ORF.at
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